24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.02.2009

Stück­zahl­maßstab des Hamburgischen Spiel­ge­rä­te­steu­er­ge­setzes mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbarBesteuerung von Spielautomaten darf nicht mehr pauschal nach aufgestellter Stückzahl erfolgen

Die Besteuerung von Spielautomaten darf nicht mehr nach Stückzahl vorgenommen werden. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Vielmehr sei auf das Einspiel­er­gebnis abzustellen.

Die Vorlage betrifft die verfas­sungs­rechtliche Zulässigkeit des Stück­zahl­maßstabs für die Besteuerung von Geldge­winn­spiel­au­tomaten nach § 4 Abs. 1 des bis zum 1. Oktober 2005 geltenden Hamburgischen Spiel­ge­rä­te­steu­er­ge­setzes (SpStG). Nach dieser Vorschrift in der für das Ausgangs­ver­fahren maßgeblichen Fassung beträgt der Steuersatz je Spielgerät und Kalendermonat 600 DM. Weder die Einspiel­er­gebnisse der Spielgeräte noch der von den Spielern getätigte Einsatz werden bei der Bemessung der Steuer berücksichtigt.

Sachverhalt

Die Beschwer­de­führerin und Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens betrieb von Januar 1999 bis Februar 2000 zwei Spielhallen in Hamburg, in denen zunächst 18, später 16 automatische Spielgeräte mit Geldge­winn­mög­lichkeit aufgestellt waren. Die Klägerin gab entsprechende Spiel­ge­rä­te­steu­er­an­mel­dungen ab und erhob jeweils gleichzeitig Einspruch, den das im Ausgangs­ver­fahren beklagte Finanzamt zurückwies. Dagegen reichte die Beschwer­de­führerin Klage zum Finanzgericht Hamburg ein. Mit Beschluss vom 26. April 2005 hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob § 4 Abs. 1 des Hamburgischen Spiel­ge­rä­te­steu­er­ge­setzes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt.

Stück­zahl­maßstab führt zu ungleicher Belastung der Automa­ten­her­steller

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts kam zu dem Ergebnis, dass § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, aber nicht nichtig ist. Der Stück­zahl­maßstab führt zu einer ungleichen Belastung der Automa­ten­auf­steller, weil er strukturell nicht geeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnü­gungs­aufwand der Spieler zu gewährleisten. Während die frühere Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts den Stück­zahl­maßstab noch als verfas­sungs­rechtlich tragfähige unbedenkliche Grundlage für die Erhebung der Steuer ansah, lässt sich dies - wie zwischen­zeitlich auch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht und der Bundesfinanzhof erkannt haben - nach den nunmehr geltenden technischen Standards nicht mehr rechtfertigen. Das Spiel­ge­rä­te­steu­er­gesetz kann aber für die Veran­la­gungs­zeiträume bis zum 1. Oktober 2005 noch angewendet werden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz der Freien und Hansestadt Hamburg für den Erlass des Spiel­ge­rä­te­steu­er­ge­setzes ergibt sich aus Art. 105 Abs. 2a GG. Die hamburgische Spielgerätesteuer erfüllt als örtliche Aufwen­dungs­steuer die Voraussetzungen dieser Kompetenznorm; die Wahl des Besteu­e­rungs­maßstabs und die Frage der Abwälzbarkeit der Steuer haben auf die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz keinen Einfluss.

Die vorgelegte Norm verstößt aber gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil der Stück­zahl­maßstab sich als untauglich für die Erhebung der Spiel­ge­rä­te­steuer erwiesen hat und so die Aufsteller in nicht zu recht­fer­ti­gender Weise ungleich belastet. An einem Fehlen der Abwälzbarkeit auf die Spieler scheitert die Steuer hingegen nicht.

Individueller Vergnü­gungs­aufwand ist eigentlicher Maßstab für Steuer

Die Vergnü­gung­steuer in Form der Spiel­ge­rä­te­steuer knüpft an die gewerbliche Veranstaltung von Automa­ten­spielen an. Steuerschuldner ist der Veranstalter des Vergnügens. Eigentliches Steuergut ist gleichwohl der Vergnü­gungs­aufwand des einzelnen Spielers, weil die Vergnügungssteuer darauf abzielt, dessen mit der Einkom­mens­ver­wendung für das Vergnügen zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungs­fä­higkeit zu belasten. Damit aber ist, wie das Bundes­ver­fas­sungs­gericht schon mehrfach entschieden hat, der individuelle, wirkliche Vergnü­gungs­aufwand der sachgerechteste Maßstab für eine derartige Steuer.

Gesetzgeber hat bei der Erschließung von Steuerquellen Gestal­tungs­freiheit

Der Gesetzgeber ist indessen von Verfassungs wegen nicht auf einen derartigen Wirklich­keits­maßstab beschränkt. Der Gesetzgeber hat bei der Erschließung einer Steuerquelle, die den Vergnü­gungs­aufwand des Einzelnen betrifft, weitgehende Gestal­tungs­freiheit. Dies gilt insbesondere auch für die Wahl des Besteu­e­rungs­maßstabs. Der gesetz­ge­be­rischen Gestal­tungs­freiheit wird durch Art. 3 Abs. 1 GG erst dort eine Grenze gesetzt, wo ein einleuchtender Grund für die Gleich­be­handlung oder Ungleich­be­handlung fehlt und diese daher willkürlich wäre.

Ersatzmaßstab einer Spiel­ge­rä­te­steuer muss lockeren Bezug zu Vergnü­gungs­aufwand des Spielers aufweisen

Wählt der Gesetzgeber im Vergnü­gung­s­teu­errecht statt des Wirklich­keits­maßstabs einen Ersatz- oder Wahrschein­lich­keits­maßstab, so ist er allerdings auf einen solchen beschränkt, der einen bestimmten Vergnü­gungs­aufwand wenigstens wahrscheinlich macht. Der Recht­fer­ti­gungs­bedarf für die Wahl eines Ersatzmaßstabs wird dabei umso höher, je weiter sich der im Einzelfall gewählte Maßstab von dem eigentlichen Belastungsgrund entfernt. Jedenfalls muss der , denn der Ersatzmaßstab nutzt den gesetz­ge­be­rischen Spielraum in Bezug auf die Realitätsnähe der Steuerbemessung, dieser Spielraum entbindet aber nicht von der notwendigen inhaltlichen Ausrichtung der Steuer am Belastungsgrund.

Der in § 4 Abs. 1 SpStG vorgesehene Stück­zahl­maßstab überschreitet diesen Spielraum und führt so zu einer ungleichen Belastung der Automa­ten­auf­steller. Er hat sich nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg und auch darüber hinaus als generell untauglich erwiesen, weil er strukturell nicht geeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnü­gungs­aufwand der Spieler zu gewährleisten. Eine tragfähige Rechtfertigung dafür, diesen Ersatzmaßstab gleichwohl zu verwenden, besteht nicht mehr.

Die Anwendung des Stück­zahl­maßstabs nach § 4 Abs. 1 SpStG führt zu einer Gleich­be­handlung wesentlich ungleicher Sachverhalte. Das Halten von Geldge­winn­spiel­geräten wird danach - unterschieden lediglich nach Spielhallen und sonstigen Aufstellorten - gleich hoch besteuert, unabhängig davon, in welchem Umfang die Nutzer der Spielgeräte an den einzelnen Automaten im jeweiligen Besteu­e­rungs­zeitraum Vergnü­gungs­aufwand betrieben haben. Die festgestellten Schwan­kungs­breiten in den Einspiel­er­geb­nissen der Gewinn­spiel­au­tomaten sind so gravierend, dass von dem für eine Vergnü­gung­steuer gebotenen hinreichenden Bezug zwischen Besteu­e­rungs­maßstab und zu besteuerndem Vergnü­gungs­aufwand im Geltungsbereich des Hamburgischen Spiel­ge­rä­te­steu­er­ge­setzes keine Rede mehr sein kann. Bei Abweichungen der Einspiel­er­gebnisse um mehrere hundert Prozent nicht nur in Einzelfällen, sondern nahezu als Regelfall fehlt es an jeder Korrelation zwischen dem - bloßen - Aufstellen von Automaten und dem Vergnü­gungs­aufwand der Spieler, gleich ob er nach den Einspiel­er­geb­nissen oder dem Spieleinsatz bemessen wird.

Tauglichkeit des Stück­zahl­maßstabs für die Spiel­ge­rä­te­be­steuerung kann nicht weiter aufrecht erhalten werden

Frühere Annahmen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zur Rechtfertigung der Tauglichkeit des Stück­zahl­maßstabs für die Spiel­ge­rä­te­be­steuerung (vgl. BVerfGE 14, 76; 31, 8), denen auch die ältere verwaltungs- und finanz­ge­richtliche Rechtsprechung gefolgt war, können angesichts der technischen und wirtschaft­lichen Entwicklung in diesem Bereich und der damit einhergehenden Erkennt­nis­mög­lich­keiten nicht weiter aufrecht erhalten werden. Dies gilt insbesondere deswegen, weil seit dem 1. Januar 1997 nur noch Geldge­winn­spiel­geräte mit manipu­la­ti­o­ns­si­cherem Zählwerk aufgestellt sein dürfen und deshalb seither der Aufwand der Spieler hinreichend zuverlässig erfasst werden kann.

Die festgestellte Ungeeignetheit des Stück­zahl­maßstabs für die Erhebung der Spiel­ge­rä­te­steuer ist im Übrigen nicht den Besonderheiten der Rechts- oder Tatsachenlage in Hamburg geschuldet, sondern bei den derzeitigen Gegebenheiten des Spiel­ge­rä­te­marktes offenbar strukturell bedingt. Der Stück­zahl­maßstab ist daher als generell ungeeignet für die Bemessung der Spiel­ge­rä­te­steuer anzusehen, weil er allenfalls in mehr oder weniger zufälligen Einzel­kon­stel­la­tionen den nach dem Gebot der steuerlichen Lasten­gleichheit geforderten, hinreichenden Bezug zwischen der Steuerbemessung und dem Vergnü­gungs­aufwand des Spielers sicherzustellen vermag. So konnte in jüngerer Zeit der gebotene zumindest lockere Bezug mit dem erhobenen Zahlenmaterial in keinem Fall positiv belegt werden. Zudem sind die mit dem Nachweis verbundenen Schwierigkeiten und - unterstellt, er ließe sich im Einzelfall feststellen - die Unsicherheiten im Hinblick auf den Bestand dieses inhaltlichen Bezugs so erheblich, dass die Verwendung eines solchen Maßstabs weder dem Steuer­pflichtigen, noch dem Steuerträger zugemutet werden kann und auch für die Steuer­ver­waltung nicht praktikabel ist.

Sonstige Sachgründe, insbesondere die Praktikabilität, die Annahme eines internen Belas­tungs­aus­gleichs bei den Automa­ten­auf­stellern, die Verfolgung von Lenkungszwecken und die Möglichkeit des Fehlens eines anderweitigen zulässigen Maßstabs vermögen die Beibehaltung des Stück­zahl­maßstabs bei dieser Sachlage nicht zu rechtfertigen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein wirklich­keits­näherer Maßstab deswegen nicht zur Verfügung stünde, weil ein stärker am Aufwand der Spieler orientierter Maßstab mit dem Gemein­schaftsrecht nicht vereinbar wäre.

Unternehmen können durch Gestaltung und Ausstattung der Spielhallen Umsatz­stei­gerung erzielen, um so Steuern und Gewinn zu erwirtschaften

Die Verfas­sungs­wid­rigkeit der im Ausgangs­ver­fahren angegriffenen Steuererhebung folgt damit aus der Unzulässigkeit des Stück­zahl­maßstabs. Sie ergibt sich jedoch nicht zusätzlich daraus, dass die Steuer nicht auf die Spieler abwälzbar wäre. Es reicht aus, wenn die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den eigentlichen Steuerträger angelegt ist, auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Abwälzung faktisch unmöglich wäre, sind nicht ersichtlich. Vielmehr blieb den Unternehmern auch unter der Geltung von § 4 Abs. 1 SpStG die Möglichkeit, etwa durch die Auswahl geeigneter Standorte sowie durch eine entsprechende Gestaltung und Ausstattung der Spielhallen auf eine Umsatz­stei­gerung hinzuwirken und die Selbstkosten auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken, um nicht nur die Steuer, sondern auch noch einen Gewinn erwirtschaften zu können.

Die Verfas­sungs­wid­rigkeit des § 4 Abs. 1 SpStG führt nicht zu dessen Nichtigkeit. Es verbleibt vielmehr bei der Feststellung der Unvereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die Spiel­ge­rä­te­steuer kann mit dem Stück­zahl­maßstab des § 4 Abs. 1 SpStG noch für eine Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des Spiel­ver­gnü­gung­s­teu­er­ge­setzes in Hamburg am 1. Oktober 2005 erhoben werden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 45/09 des BVerfG vom 28.04.2009

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