Dokument-Nr. 7784
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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.02.2009
Stückzahlmaßstab des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbarBesteuerung von Spielautomaten darf nicht mehr pauschal nach aufgestellter Stückzahl erfolgen
Die Besteuerung von Spielautomaten darf nicht mehr nach Stückzahl vorgenommen werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Vielmehr sei auf das Einspielergebnis abzustellen.
Die Vorlage betrifft die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Stückzahlmaßstabs für die Besteuerung von Geldgewinnspielautomaten nach § 4 Abs. 1 des bis zum 1. Oktober 2005 geltenden Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes (SpStG). Nach dieser Vorschrift in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung beträgt der Steuersatz je Spielgerät und Kalendermonat 600 DM. Weder die Einspielergebnisse der Spielgeräte noch der von den Spielern getätigte Einsatz werden bei der Bemessung der Steuer berücksichtigt.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens betrieb von Januar 1999 bis Februar 2000 zwei Spielhallen in Hamburg, in denen zunächst 18, später 16 automatische Spielgeräte mit Geldgewinnmöglichkeit aufgestellt waren. Die Klägerin gab entsprechende Spielgerätesteueranmeldungen ab und erhob jeweils gleichzeitig Einspruch, den das im Ausgangsverfahren beklagte Finanzamt zurückwies. Dagegen reichte die Beschwerdeführerin Klage zum Finanzgericht Hamburg ein. Mit Beschluss vom 26. April 2005 hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 4 Abs. 1 des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt.
Stückzahlmaßstab führt zu ungleicher Belastung der Automatenhersteller
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis, dass § 4 Abs. 1 SpStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, aber nicht nichtig ist. Der Stückzahlmaßstab führt zu einer ungleichen Belastung der Automatenaufsteller, weil er strukturell nicht geeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler zu gewährleisten. Während die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts den Stückzahlmaßstab noch als verfassungsrechtlich tragfähige unbedenkliche Grundlage für die Erhebung der Steuer ansah, lässt sich dies - wie zwischenzeitlich auch das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof erkannt haben - nach den nunmehr geltenden technischen Standards nicht mehr rechtfertigen. Das Spielgerätesteuergesetz kann aber für die Veranlagungszeiträume bis zum 1. Oktober 2005 noch angewendet werden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Gesetzgebungskompetenz der Freien und Hansestadt Hamburg für den Erlass des Spielgerätesteuergesetzes ergibt sich aus Art. 105 Abs. 2a GG. Die hamburgische Spielgerätesteuer erfüllt als örtliche Aufwendungssteuer die Voraussetzungen dieser Kompetenznorm; die Wahl des Besteuerungsmaßstabs und die Frage der Abwälzbarkeit der Steuer haben auf die Gesetzgebungskompetenz keinen Einfluss.
Die vorgelegte Norm verstößt aber gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil der Stückzahlmaßstab sich als untauglich für die Erhebung der Spielgerätesteuer erwiesen hat und so die Aufsteller in nicht zu rechtfertigender Weise ungleich belastet. An einem Fehlen der Abwälzbarkeit auf die Spieler scheitert die Steuer hingegen nicht.
Individueller Vergnügungsaufwand ist eigentlicher Maßstab für Steuer
Die Vergnügungsteuer in Form der Spielgerätesteuer knüpft an die gewerbliche Veranstaltung von Automatenspielen an. Steuerschuldner ist der Veranstalter des Vergnügens. Eigentliches Steuergut ist gleichwohl der Vergnügungsaufwand des einzelnen Spielers, weil die Vergnügungssteuer darauf abzielt, dessen mit der Einkommensverwendung für das Vergnügen zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu belasten. Damit aber ist, wie das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach entschieden hat, der individuelle, wirkliche Vergnügungsaufwand der sachgerechteste Maßstab für eine derartige Steuer.
Gesetzgeber hat bei der Erschließung von Steuerquellen Gestaltungsfreiheit
Der Gesetzgeber ist indessen von Verfassungs wegen nicht auf einen derartigen Wirklichkeitsmaßstab beschränkt. Der Gesetzgeber hat bei der Erschließung einer Steuerquelle, die den Vergnügungsaufwand des Einzelnen betrifft, weitgehende Gestaltungsfreiheit. Dies gilt insbesondere auch für die Wahl des Besteuerungsmaßstabs. Der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit wird durch Art. 3 Abs. 1 GG erst dort eine Grenze gesetzt, wo ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre.
Ersatzmaßstab einer Spielgerätesteuer muss lockeren Bezug zu Vergnügungsaufwand des Spielers aufweisen
Wählt der Gesetzgeber im Vergnügungsteuerrecht statt des Wirklichkeitsmaßstabs einen Ersatz- oder Wahrscheinlichkeitsmaßstab, so ist er allerdings auf einen solchen beschränkt, der einen bestimmten Vergnügungsaufwand wenigstens wahrscheinlich macht. Der Rechtfertigungsbedarf für die Wahl eines Ersatzmaßstabs wird dabei umso höher, je weiter sich der im Einzelfall gewählte Maßstab von dem eigentlichen Belastungsgrund entfernt. Jedenfalls muss der , denn der Ersatzmaßstab nutzt den gesetzgeberischen Spielraum in Bezug auf die Realitätsnähe der Steuerbemessung, dieser Spielraum entbindet aber nicht von der notwendigen inhaltlichen Ausrichtung der Steuer am Belastungsgrund.
Der in § 4 Abs. 1 SpStG vorgesehene Stückzahlmaßstab überschreitet diesen Spielraum und führt so zu einer ungleichen Belastung der Automatenaufsteller. Er hat sich nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg und auch darüber hinaus als generell untauglich erwiesen, weil er strukturell nicht geeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler zu gewährleisten. Eine tragfähige Rechtfertigung dafür, diesen Ersatzmaßstab gleichwohl zu verwenden, besteht nicht mehr.
Die Anwendung des Stückzahlmaßstabs nach § 4 Abs. 1 SpStG führt zu einer Gleichbehandlung wesentlich ungleicher Sachverhalte. Das Halten von Geldgewinnspielgeräten wird danach - unterschieden lediglich nach Spielhallen und sonstigen Aufstellorten - gleich hoch besteuert, unabhängig davon, in welchem Umfang die Nutzer der Spielgeräte an den einzelnen Automaten im jeweiligen Besteuerungszeitraum Vergnügungsaufwand betrieben haben. Die festgestellten Schwankungsbreiten in den Einspielergebnissen der Gewinnspielautomaten sind so gravierend, dass von dem für eine Vergnügungsteuer gebotenen hinreichenden Bezug zwischen Besteuerungsmaßstab und zu besteuerndem Vergnügungsaufwand im Geltungsbereich des Hamburgischen Spielgerätesteuergesetzes keine Rede mehr sein kann. Bei Abweichungen der Einspielergebnisse um mehrere hundert Prozent nicht nur in Einzelfällen, sondern nahezu als Regelfall fehlt es an jeder Korrelation zwischen dem - bloßen - Aufstellen von Automaten und dem Vergnügungsaufwand der Spieler, gleich ob er nach den Einspielergebnissen oder dem Spieleinsatz bemessen wird.
Tauglichkeit des Stückzahlmaßstabs für die Spielgerätebesteuerung kann nicht weiter aufrecht erhalten werden
Frühere Annahmen des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigung der Tauglichkeit des Stückzahlmaßstabs für die Spielgerätebesteuerung (vgl. BVerfGE 14, 76; 31, 8), denen auch die ältere verwaltungs- und finanzgerichtliche Rechtsprechung gefolgt war, können angesichts der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich und der damit einhergehenden Erkenntnismöglichkeiten nicht weiter aufrecht erhalten werden. Dies gilt insbesondere deswegen, weil seit dem 1. Januar 1997 nur noch Geldgewinnspielgeräte mit manipulationssicherem Zählwerk aufgestellt sein dürfen und deshalb seither der Aufwand der Spieler hinreichend zuverlässig erfasst werden kann.
Die festgestellte Ungeeignetheit des Stückzahlmaßstabs für die Erhebung der Spielgerätesteuer ist im Übrigen nicht den Besonderheiten der Rechts- oder Tatsachenlage in Hamburg geschuldet, sondern bei den derzeitigen Gegebenheiten des Spielgerätemarktes offenbar strukturell bedingt. Der Stückzahlmaßstab ist daher als generell ungeeignet für die Bemessung der Spielgerätesteuer anzusehen, weil er allenfalls in mehr oder weniger zufälligen Einzelkonstellationen den nach dem Gebot der steuerlichen Lastengleichheit geforderten, hinreichenden Bezug zwischen der Steuerbemessung und dem Vergnügungsaufwand des Spielers sicherzustellen vermag. So konnte in jüngerer Zeit der gebotene zumindest lockere Bezug mit dem erhobenen Zahlenmaterial in keinem Fall positiv belegt werden. Zudem sind die mit dem Nachweis verbundenen Schwierigkeiten und - unterstellt, er ließe sich im Einzelfall feststellen - die Unsicherheiten im Hinblick auf den Bestand dieses inhaltlichen Bezugs so erheblich, dass die Verwendung eines solchen Maßstabs weder dem Steuerpflichtigen, noch dem Steuerträger zugemutet werden kann und auch für die Steuerverwaltung nicht praktikabel ist.
Sonstige Sachgründe, insbesondere die Praktikabilität, die Annahme eines internen Belastungsausgleichs bei den Automatenaufstellern, die Verfolgung von Lenkungszwecken und die Möglichkeit des Fehlens eines anderweitigen zulässigen Maßstabs vermögen die Beibehaltung des Stückzahlmaßstabs bei dieser Sachlage nicht zu rechtfertigen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein wirklichkeitsnäherer Maßstab deswegen nicht zur Verfügung stünde, weil ein stärker am Aufwand der Spieler orientierter Maßstab mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar wäre.
Unternehmen können durch Gestaltung und Ausstattung der Spielhallen Umsatzsteigerung erzielen, um so Steuern und Gewinn zu erwirtschaften
Die Verfassungswidrigkeit der im Ausgangsverfahren angegriffenen Steuererhebung folgt damit aus der Unzulässigkeit des Stückzahlmaßstabs. Sie ergibt sich jedoch nicht zusätzlich daraus, dass die Steuer nicht auf die Spieler abwälzbar wäre. Es reicht aus, wenn die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den eigentlichen Steuerträger angelegt ist, auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Abwälzung faktisch unmöglich wäre, sind nicht ersichtlich. Vielmehr blieb den Unternehmern auch unter der Geltung von § 4 Abs. 1 SpStG die Möglichkeit, etwa durch die Auswahl geeigneter Standorte sowie durch eine entsprechende Gestaltung und Ausstattung der Spielhallen auf eine Umsatzsteigerung hinzuwirken und die Selbstkosten auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken, um nicht nur die Steuer, sondern auch noch einen Gewinn erwirtschaften zu können.
Die Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 SpStG führt nicht zu dessen Nichtigkeit. Es verbleibt vielmehr bei der Feststellung der Unvereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die Spielgerätesteuer kann mit dem Stückzahlmaßstab des § 4 Abs. 1 SpStG noch für eine Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des Spielvergnügungsteuergesetzes in Hamburg am 1. Oktober 2005 erhoben werden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.04.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 45/09 des BVerfG vom 28.04.2009
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