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Bundesverfassungsgericht Urteil17.12.2014

Privilegierung des Betrie­bs­ver­mögens bei der Erbschaftsteuer in derzeitiger Ausgestaltung nicht vollständig verfas­sungs­konformGesetzgeber muss bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen

Das Bundes­verfassungs­gericht hat §§ 13 a und 13b und § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkung­steuer­gesetzes (ErbStG) zur Privilegierung des Betrie­bs­ver­mögens bei der Erbschaftsteuer für verfas­sungs­widrig erklärt. Die Vorschriften sind zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen. Zwar liegt es im Ent­scheidungs­spiel­raum des Gesetzgebers, kleine und mittlere Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und zur Erhaltung der Arbeitsplätze steuerlich zu begünstigen. Die Privilegierung betrieblichen Vermögens ist jedoch unver­hält­nismäßig, soweit sie über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürf­nis­prüfung vorzusehen. Ebenfalls unver­hält­nismäßig sind die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindest­lohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungs­vermögens­anteil bis zu 50 %. §§ 13 a und 13b ErbStG sind auch insoweit verfas­sungs­widrig, als sie Gestaltungen zulassen, die zu nicht zu recht­fer­ti­genden Un­gleich­behandlungen führen. Die genannten Verfas­sungs­verstöße haben zur Folge, dass die vorgelegten Regelungen insgesamt mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind.

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens ist Miterbe des 2009 verstorbenen Erblassers. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kredi­t­in­stituten und einem Steue­r­er­stat­tungs­an­spruch zusammen. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30 % nach Steuerklasse II fest. Der Kläger macht geltend, die nur für das Jahr 2009 vorgesehene Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei verfassungswidrig. Einspruch und Klage, mit denen er eine Herabsetzung der Steuer erreichen wollte, blieben erfolglos. Im Revisi­ons­ver­fahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 27. September 2012 dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 13 a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfas­sungs­widrig ist. Die Gleichstellung von Personen der Steuerklassen II und III in § 19 Abs. 1 ErbStG sei zwar verfas­sungs­rechtlich hinzunehmen, jedoch sei diese Vorschrift in Verbindung mit den Steuer­ver­güns­ti­gungen der §§ 13 a und 13b ErbStG gleich­heits­widrig.

Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs wegen erheblicher Gleich­heits­verstöße zulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Vorlage des Bundes­fi­nanzhofs im Wesentlichen zulässig ist. Art. 3 Abs. 1 GG verleiht Steuer­pflichtigen keinen Anspruch auf verfas­sungs­rechtliche Kontrolle steuer­recht­licher Regelungen, die Dritte gleich­heits­widrig begünstigen, das eigene Steuer­rechts­ver­hältnis aber nicht betreffen. Anderes gilt jedoch, wenn Steuer­ver­güns­ti­gungen die gleich­heits­ge­rechte Belastung durch die Steuer insgesamt in Frage stellen. Für das Ausgangs­ver­fahren kommt es zwar nicht unmittelbar auf die Auslegung und Anwendung der §§ 13 a und 13b ErbStG an. Dennoch durfte der Bundesfinanzhof von ihrer Entschei­dungs­er­heb­lichkeit für das Ausgangs­ver­fahren ausgehen. Die vom Bundesfinanzhof geltend gemachten Gleich­heits­verstöße sind so erheblich, dass sie die erbschaft­steu­er­rechtliche Begünstigung für betriebliches Vermögen insgesamt erfassen; zudem ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens in der Summe von solchem Gewicht, dass im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit die Besteuerung nicht­be­trieb­lichen Vermögens davon nicht unberührt bleiben könnte.

Fehlende bundes­ge­setzliche Regelung ließe erhebliche Nachteile für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens befürchten

Für die vorgelegten Normen besteht eine Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG. Im gesamt­s­taat­lichen Interesse erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundes­ge­setzliche Regelung nicht erst dann, wenn sie unerlässlich für die Rechts- oder Wirtschaft­s­einheit ist. Es genügt vielmehr, dass der Bundes­ge­setzgeber problematische Entwicklungen für die Rechts- und Wirtschaft­s­einheit erwarten darf. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, prüft das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, wobei dem Gesetzgeber eine Einschät­zungs­prä­ro­gative im Hinblick auf diese Bedingungen einer bundes­ge­setz­lichen Regelung und deren Erfor­der­lichkeit im gesamt­s­taat­lichen Interesse zusteht. Im vorliegenden Fall durfte der Bundes­ge­setzgeber davon ausgehen, dass ohne bundes­ge­setzliche Regelung eine Rechts­zer­split­terung mit nicht unerheblichen Nachteilen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanz­ver­waltung zu befürchten wäre.

Erbschaft­steu­erliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen Vermögens verstößt in Teilen gegen Gleichheitssatz

Die erbschaft­steu­erliche Begünstigung des Übergangs betrieblichen Vermögens verstößt in Teilen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber im Steuerrecht einen weit reichenden Entschei­dungs­spielraum sowohl bei der Auswahl des Steuer­ge­gen­stands als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der einmal getroffenen Belas­tungs­ent­scheidung müssen sich ebenfalls am Gleichheitssatz messen lassen. Sie bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, für den die Anforderungen an die Rechtfertigung mit Umfang und Ausmaß der Abweichung steigen.

Gesetzgeber bleibt auch bei weitem Einschät­zungs­spielraum bei außer­fis­ka­lischen Förderzielen an Gleichheitssatz gebunden

Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts außer­fis­ka­lische Förderziele zu verfolgen. Er verfügt über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förde­rungs­würdig hält und welche Verschonungen von der Steuer er zur Erreichung dieser Ziele vorsieht. Allerdings bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Je nach Intensität der Ungleich­be­handlung kann dies zu einer strengeren Kontrolle der Förderziele durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht führen.

Verscho­nungs­re­gelung bedarf beim Übergang großer Unter­neh­mens­vermögen der Korrektur

Die Verscho­nungs­re­gelung als solche ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, bedarf beim Übergang großer Unter­neh­mens­vermögen aber der Korrektur. Die Verscho­nungs­re­gelung führt zu Ungleich­be­hand­lungen der Erwerber betrieblichen und nicht­be­trieb­lichen Vermögens, die ein enormes Ausmaß erreichen können. Nach §§ 13 a und 13b ErbStG bleiben 85 % oder 100 % des Wertes von Betriebsvermögen, von land- und forst­wirt­schaft­lichem Vermögen und von bestimmten Anteilen an Kapital­ge­sell­schaften außer Ansatz, wenn die im Gesetz hierfür vorgesehenen weiteren Voraussetzungen erfüllt werden. Hinzu kommen Abschläge gemäß § 13 a Abs. 2 ErbStG sowie die generelle Anwendung der günstigeren Steuerklasse gemäß § 19 a ErbStG.

Der Gesetzgeber unterliegt einer strengeren Kontrolle am Maßstab der Verhält­nis­mä­ßigkeit, weil die Unterscheidung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen nicht nur einen Randbereich erfasst, denn mehr als ein Drittel des in den Jahren 2009 bis 2012 unentgeltlich übertragenen Vermögens wurde über §§ 13 a und 13b ErbStG von der Erbschaftsteuer befreit. Außerdem haben die Erwerber vielfach nur geringen Einfluss darauf, ob das ihnen geschenkte oder von ihnen ererbte Vermögen dem förde­rungs­würdigen Vermögen zuzuordnen ist.

Verscho­nungs­re­gelung verfolgt zur Vermeidung von steuerbedingten Liqui­di­täts­pro­blemen und Erhaltung von Arbeitsplätzen legitimes Ziel

Die Verscho­nungs­re­gelung soll vor allem Unternehmen schützen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder des Erben zum Unternehmen geprägt sind, wie es für Famili­en­un­ter­nehmen typisch ist. Steuerlich begünstigt werden soll ihr produktives Vermögen, um den Bestand des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze nicht durch steuerbedingte Liqui­di­täts­probleme zu gefährden. An der Legitimität dieser Zielsetzung bestehen aus verfas­sungs­recht­licher Sicht keine Zweifel.

Empirische Nachweise von Unter­neh­mens­ge­fähr­dungen nicht notwendig

Die §§ 13 a und 13b ErbStG sind geeignet und im Grundsatz auch erforderlich, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Der Gesetzgeber verfügt insoweit über einen weiten Einschätzungs- und Progno­se­spielraum. Vor diesem Hintergrund ist es ausreichend, dass er eine ernsthafte Gefahr von Liqui­di­täts­pro­blemen bei der Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen vertretbar und plausibel diagnostiziert hat; eines empirischen Nachweises von Unter­neh­mens­ge­fähr­dungen nicht nur im Ausnahmefall bedarf es nicht. Die Verschonung von einer Bedürf­nis­prüfung abhängig zu machen, wäre schon deswegen nicht als milderes Mittel anzusehen, weil sie - insbesondere aufgrund von Bewer­tungs­fragen - Erschwernisse bei der Erhebung der Erbschaftsteuer mit sich brächte. Auch die Stundung erwiese sich nicht als gleich wirksames milderes Mittel.

Gewährung einer umfassenden Verschonung ohne jegliche Bedingungen steht nicht mit Gleichheitssatz im Einklang

Die durch die Verscho­nungs­re­gelung bewirkte Ungleich­be­handlung ist im Grundsatz verhältnismäßig im engeren Sinne, auch soweit sie eine Steuer­ver­schonung von 100 % ermöglicht. Der Gesetzgeber ist weitgehend frei in seiner Entscheidung, welche Instrumente er dafür einsetzt, eine zielgenaue Förderung sicherzustellen. In Anbetracht des erheblichen Ausmaßes der Ungleich­be­handlung stünde es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang, eine umfassende Verschonung ohne jegliche Bedingungen zu gewähren.

Privilegierung betrieblichen Vermögens bei größeren Unternehmen ohne Bedürf­nis­prüfung unver­hält­nismäßig

Unver­hält­nismäßig ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen ohne eine Bedürf­nis­prüfung hinausgreift. Hier erreicht die Ungleich­be­handlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß, das ohne die konkrete Feststellung der Verscho­nungs­be­dürf­tigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleich­heits­ge­rechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürf­nis­prüfung nicht mehr in Betracht kommt.

Festlegung einer Mindest­be­tei­ligung ist durch Typisierungs- und Verein­fa­chungs­be­fugnis des Gesetzgebers gedeckt

Die Verscho­nungs­re­gelung der §§ 13 a und 13b ErbStG verstößt auch in Teilen ihrer Ausgestaltung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Festlegung der begünstigten Vermögensarten. Die Mindest­be­tei­ligung von über 25 % bei Kapital­ge­sell­schaften scheidet bloße Geldanlagen aus. Bei einer Beteiligung von über 25 % durfte der Gesetzgeber von einer unter­neh­me­rischen Einbindung des Anteilseigners in den Betrieb ausgehen; im Übrigen ist die Festlegung einer Mindest­be­tei­ligung durch die Typisierungs- und Verein­fa­chungs­be­fugnis des Gesetzgebers gedeckt. Sie ist auch nicht verfas­sungs­recht­lichen Bedenken ausgesetzt, weil das Gesetz auf die Verhältnisse beim Erblasser abstellt und auf Erwerberseite kein personaler Einfluss auf das Unternehmen mehr vorhanden sein muss. Der Gesetzgeber darf an einer übergreifenden Systematik, die insgesamt gute Gründe hat, auch dort festhalten, wo auf andere Weise bessere Lösungen möglich sind. Die generelle Begünstigung des Erwerbs von Anteilen an Perso­nen­ge­sell­schaften ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Sie findet ihre Grundlage in der unter­schied­lichen zivil­recht­lichen Behandlung des Vermögens von Personen- und Kapital­ge­sell­schaften; der Gesetzgeber bewegt sich insoweit im Rahmen seines Einschätzungs- und Typisie­rungs­spielraums. Auch bei land- und forst­wirt­schaft­lichen Betrieben durfte der Gesetzgeber von einer unter­neh­me­rischen Einbindung jeglicher Beteiligung ausgehen; diese Betriebe werden zudem in besonders hohem Maße als Famili­en­be­triebe ohne größere Kapitaldecke geführt.

Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten privilegiert Erwerber des Betriebs unver­hält­nismäßig

Die Lohnsum­men­re­gelung ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, nicht jedoch die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten. Sie verfolgt das legitime Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Lohnsum­men­re­gelung anstelle einer strikten Bindung an den Erhalt der konkreten Arbeitsplätze liegt innerhalb seines Gestal­tungs­spielraums. Die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten verstößt jedoch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung verfolgt insbesondere das Ziel der Verwal­tungs­ver­ein­fachung. Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten werden jedoch unver­hält­nismäßig privilegiert. Nach den Ausführungen des Bundes­fi­nanzhofs weisen weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte auf. Betriebe können daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindest­lohnsumme verbundene Verwal­tungs­aufwand nicht so hoch ist wie teilweise geltend gemacht wird. Die Grenze einer zulässigen Typisierung wird überschritten, da das Regel-Ausnahme-Verhältnis der gesetz­ge­be­rischen Entlas­tungs­ent­scheidung faktisch in sein Gegenteil verkehrt wird. Sofern der Gesetzgeber an dem gegenwärtigen Verscho­nungs­konzept festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsum­men­pflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

Regelung über das Verwal­tungs­vermögen nicht mit Gleichheitssatz vereinbar

Die Behaltensfrist von fünf oder sieben Jahren ist im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, zumal sie durch Lohnsum­men­re­gelung und Verwal­tungs­ver­mö­genstest angemessen ergänzt wird. Die Regelung über das Verwal­tungs­vermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Ziele des Gesetzgebers, nur produktives Vermögen zu fördern und Umgehungen durch steuerliche Gestaltung zu unterbinden, sind zwar legitim und auch angemessen. Dies gilt jedoch nicht, soweit begünstigtes Vermögen mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwal­tungs­vermögen insgesamt in den Genuss der steuerlichen Privilegierung gelangt. Ein tragfähiger Recht­fer­ti­gungsgrund für eine derart umfangreiche Einbeziehung von Vermö­gens­be­stand­teilen, die das Gesetz eigentlich nicht als förde­rungs­würdig ansieht, ist nicht erkennbar. Das Ziel, steuerliche Gestal­tungs­mög­lich­keiten zu unterbinden, kann die Regelung kaum erreichen; im Gegenteil dürfte sie die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen eher begünstigen. Auch ein spürbarer Verwal­tungs­ver­ein­fa­chungs­effekt ist nicht erkennbar, denn der Anteil des Verwal­tungs­ver­mögens ist auch für die Anwendung der 50 %-Regel zu ermitteln. Schließlich ist die Regelung nicht mit der Typisierung des § 13 b Abs. 4 ErbStG in Einklang zu bringen, nach der jedes Unternehmen über nicht begüns­ti­gungs­fähiges Verwal­tungs­vermögen im Umfang von 15 % des gesamten Betrie­bs­ver­mögens verfügen soll.

Ein Steuergesetz ist verfas­sungs­widrig, wenn es - über den atypischen Einzelfall hinaus - Gestaltungen zulässt, mit denen Steue­r­ent­las­tungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleich­heits­rechtlich nicht zu rechtfertigen sind. Dies ist der Fall bei Gestaltungen, welche die Lohnsum­men­pflicht durch Betrie­b­s­auf­spal­tungen umgehen, welche die 50 %-Regel in Konzern­strukturen nutzen und bei sogenannten Cash-Gesellschaften.

Unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsum­men­vor­schrift würde unver­hält­nis­mäßige Privilegierung darstellen

Da bereits die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Pflicht zur Einhaltung der Mindest­lohnsumme eine unver­hält­nis­mäßige Privilegierung darstellt, gilt dies erst recht für Gestaltungen, die die unentgeltliche Übertragung von Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ohne Einhaltung der Lohnsum­men­vor­schrift ermöglichen. Der Bundesfinanzhof führt als Gestal­tungs­beispiel an, dass ein Betrieb mit mehr als 20 Beschäftigten in eine Besitz­ge­sell­schaft und eine Betrie­bs­ge­sell­schaft aufgespalten wird. Indem § 13 a Abs. 1 Satz 4 ErbStG es zulässt, dass die Bindung an die Lohnsumme auf diese Weise umgangen wird, verstößt er gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Beteiligung an einer Gesellschaft mit 50 % oder weniger ist insgesamt nicht dem Verwal­tungs­vermögen zuzuordnen

Da der Verwal­tungs­ver­mö­genstest dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ folgt, ist die Beteiligung an einer Gesellschaft insgesamt nicht dem Verwal­tungs­vermögen zuzuordnen, wenn ihr Anteil an Verwal­tungs­vermögen 50 % oder weniger beträgt. Bei mehrstufigen Konzern­strukturen kann dies zu einem Kaskadeneffekt führen. Bei einer Beteiligung auf unterer Stufe mit einem Verwal­tungs­vermögen von bis zu 50 % entsteht dort insgesamt begünstigtes Vermögen, das auf der nächsthöheren Betei­li­gungsstufe vollständig als begünstigtes Vermögen gewertet wird, obwohl bei einer Gesamt­be­trachtung des Konzerns der Verwal­tungs­ver­mö­gens­anteil überwiegt. Indem die Vorschrift des § 13 b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG solche Konzern­ge­stal­tungen zulässt, verstärkt sie den ohnehin bereits im Hinblick auf die Grundform der 50 %-Regel festgestellten Gleich­heits­verstoß.

Gründe für steuerliche Privilegierung einer „Cash-Gesellschaft“ nicht ersichtlich

Eine „Cash-GmbH“ ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Vermögen ausschließlich aus Geldforderungen besteht. Bis zum 7. Juni 2013 rechneten Geldforderungen nicht zum Verwal­tungs­vermögen. Für die steuerliche Privilegierung von Geldvermögen in einer ausschließlich vermö­gens­ver­wal­tenden „Cash-Gesellschaft“ sprechen offensichtlich keine Gründe von solchem Gewicht, dass sie eine vollständige und in der Höhe unbegrenzte Besserstellung gegenüber sonstigem nicht betrieblichem Geldvermögen oder sonstigem Verwal­tungs­vermögen tragen könnten.

Normen gelten vorerst bis 30. Juni 2016 fort

Die festgestellten Gleich­heits­verstöße erfassen die §§ 13 a und 13b ErbStG insgesamt; dies gilt für die Ursprungs­fassung des Erbschaft­steu­er­re­form­ge­setzes vom 24. Dezember 2008 und alle Folgefassungen. Aufgrund der festgestellten Gleich­heits­verstöße erweisen sich wichtige Elemente der §§ 13 a und 13b ErbStG als verfas­sungs­widrig. Ohne sie können die restlichen - nicht beanstandeten - Bestandteile nicht mehr sinnvoll angewandt werden. Auch § 19 Abs. 1 ErbStG, der die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft, ist in der Verbindung mit §§ 13 a und 13b ErbStG für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären. Die genannten Normen gelten bis 30. Juni 2016 fort; der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Neuregelung zu treffen. Die Fortgeltung der verfas­sungs­widrigen Normen begründet keinen Vertrau­ens­schutz gegenüber einer bis zur Urteils­ver­kündung rückwirkenden Neuregelung, die einer exzessiven Ausnutzung der gleich­heits­widrigen §§ 13 a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

Abweichende Meinung der Richter Gaier und Masing sowie der Richterin Baer:

Wir stimmen der Entscheidung zu, sind aber der Ansicht, dass zu ihrer Begründung ein weiteres Element gehört: das Sozial­staats­prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Es sichert die Entscheidung weiter ab und macht ihre Gerech­tig­keits­di­mension erst voll sichtbar. Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unver­hält­nismäßig anwächst. Dass hier auch in Blick auf die gesell­schaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermö­gens­ver­teilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Netto­geld­ver­mögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht aber in ihrem Belieben. Wie der Senat schon für die Gleich­heits­prüfung betont, belässt die Verfassung dem Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum. Aufgrund seiner Bindung an Art. 20 Abs. 1 GG ist er aber besonderen Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­rungen unterworfen, je mehr von dieser Belastung jene ausgenommen werden, die unter markt­wirt­schaft­lichen Bedingungen leistungs­fähiger sind als andere. Die in der Entscheidung entwickelten Maßgaben tragen dazu bei, dass Verscho­nungs­re­ge­lungen nicht zur Anhäufung und Konzentration größter Vermögen in den Händen Weniger führen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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