18.10.2024
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Bundesfinanzhof Beschluss27.09.2012

BFH hält Begünstigung von Unternehmen bei Erbschafts­steuer für verfas­sungs­widrigSeit 1.1.2009 geltende Fassung des Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz möglicherweise verfas­sungs­widrig / BVerfG soll Verfas­sungs­mä­ßigkeit

Der Bundesfinanzhof hält § 19 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schen­kung­s­teu­er­gesetz in der im Jahr 2009 geltenden Fassung (ErbStG) in Verbindung mit §§ 13 a und 13 b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) für verfas­sungs­widrig. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht muss nun darüber entscheiden.

Dem Verfahren liegt die Besteuerung eines Erbanfalls im Jahre 2009 zugrunde. Der Kläger war zu 1/4 Miterbe seines Onkels. Im Nachlass befanden sich Guthaben bei Kredi­t­in­stituten und ein Steue­r­er­stat­tungs­an­spruch. Der Wert des auf den Kläger entfallenden Anteils am Nachlass belief sich auf 51.266 EUR. Unter Berück­sich­tigung eines Freibetrags von 20.000 EUR und eines Steuersatzes von 30 % setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360 EUR fest.

Gesetzgeber nicht verpflichtet Erwerber der Steuerklasse II gegenüber Steuerklasse III zu bevorzugen

Der BFH teilt nicht die Ansicht des Klägers, die auf Steue­rent­ste­hungs­zeit­punkte im Jahr 2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II (u.a. Geschwister, Neffen und Nichten) mit Personen der Steuerklasse III (fremde Dritte) sei verfassungswidrig (Rz. 69 bis 77). Nach Auffassung des BFH ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III. Art. 6 Abs. 1 GG beziehe sich nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern, nicht aber auf Famili­en­mit­glieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister oder Abkömmlinge von Geschwistern (Rz. 72).

BFH: Steuer­ver­güns­ti­gungen von großer finanzieller Tragweite nicht gerechtfertigt

Der BFH ist jedoch der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13 a und 13b ErbStG in der auf den 1. Januar 2009 zurückwirkenden Fassung des Wachs­tums­be­schleu­ni­gungs­ge­setzes vom 22. Dezember 2009 deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, weil die in §§ 13 a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuer­ver­güns­ti­gungen in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen.

Im Einzelnen stützt der BFH seine Vorlage auf folgende Gesichtspunkte:

Steuerliche Verschonung bei Erwerb von Betrie­bs­vermögen rechtfertigt keine Überpri­vi­le­gierung

1. Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forst­wirt­schaft­lichem Vermögen und Anteilen an Kapital­ge­sell­schaften oder Anteilen daran stelle eine nicht durch ausreichende Gemein­wohl­gründe gerechtfertigte und damit verfas­sungs­widrige Überpri­vi­le­gierung dar (Rz. 82 bis 94). Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betrie­bs­fort­führung gefährde (siehe Gutachten des wissen­schaft­lichen Beirats beim BMF 01/2012; Rz. 89 ff.); es gehe weit über das verfas­sungs­rechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betrie­bs­vermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungs­fä­higkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaft­steu­er­zahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder - ggf. im Rahmen einer Stundung der Steuer - ohne weiteres beschafft werden könnten (Rz. 87).

Arbeits­plat­zerhalt als Begüns­ti­gungsgrund nicht mehr tragfähig

Der Begüns­ti­gungsgrund „Arbeits­plat­zerhalt“ erweise sich als nicht tragfähig, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten (Rz. 48) und schon deshalb nicht unter die „Arbeits­platz­klausel“ fielen und ferner das Gesetz Gestaltungen zulasse, die es in vielen Fällen auf einfache Art und Weise ermöglichten, dass es für die Gewährung des Verscho­nungs­ab­schlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten im Ergebnis nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankomme (Rz. 143 bis 148 mit Beispielen).

Erbschaft­steu­er­gesetz weist verfas­sungs­widrigen Begüns­ti­gungs­übergang auf

2. §§ 13 a und 13b ErbStG wiesen ferner einen verfas­sungs­widrigen Begüns­ti­gungs­überhang auf (Rz. 95 bis 142). Sie ermöglichten es Steuer­pflichtigen, durch rechtliche Gestaltungen nicht betrie­bs­not­wendiges Vermögen, das den Begüns­ti­gungszweck nicht erfülle, in unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben. Es unterliege weitgehend der Dispo­si­ti­o­ns­freiheit des Erblassers oder Schenkers, Vermö­gens­ge­gen­stände, die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermö­gens­ver­waltung gehalten würden, zu steuer­be­güns­tigtem Betrie­bs­vermögen zu machen (Rz. 97, 98). Die Bestimmungen hinsichtlich des sog. Verwal­tungs­ver­mögens (§ 13 b Abs. 2 ErbStG) seien nicht geeignet, risiko­be­haftetes und deshalb zu begünstigendes Betrie­bs­vermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begüns­ti­gungs­würdigem Betrie­bs­vermögen abzugrenzen, und widersprächen auch dem Folge­rich­tig­keitsgebot. So könne bei entsprechender Gestaltung der unschädliche Anteil des nicht begüns­ti­gungs­würdigen Verwal­tungs­ver­mögens sowohl bei der Regel­ver­schonung (85 % Befreiung) als auch bei der Optio­ns­ver­schonung (100 % Befreiung) deutlich über 90 % des gesamten Betrie­bs­ver­mögens betragen (Rz. 104 bis 116 mit Beispielen in Rz. 105 ff. und Rz. 113 ff.). Ferner gehörten Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei Kredi­t­in­stituten nicht zum Verwal­tungs­vermögen, sodass ein Anteil an einer GmbH oder GmbH und Co. KG, deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen bestehe (z.B. sog. "Cash-GmbH), durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen erworben werden könne, ohne dass Erbschaftsteuer anfalle (Rz. 117 bis 130).

Folgen: Steuerbefreiung die Regel - tatsächliche Besteuerung die Ausnahme

3. Die zusätzlich zu den Freibeträgen des § 16 ErbStG anwendbaren Steuer­ver­güns­ti­gungen nach §§ 13 a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen führten dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei (Rz. 149 bis 156).

Steuer­pflichtige durch Fehlbesteuerung in ihren Rechten verletzt

Die Verfas­sungs­verstöße führten - so der BFH - teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfas­sungs­widrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuer­pflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungs­fä­higkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

Quelle: Bundesfinanzhof/ ra-online

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