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Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 13154

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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss07.02.2012

Ausschluss von Nicht-EU-Bürgern vom Landes­erziehungs­geld nach Bayerischem Landes­erziehungs­geldgesetz verfas­sungs­widrigBundes­verfassungs­gericht verpflichtet Gesetzgeber zur Neuregelung verfas­sungs­widriger Vorschriften

Der Ausschluss von Nicht-EU-Bürgern bei der Gewährung des Landes­erziehungs­geldes nach dem Bayerischen Landes­erziehungs­geldgesetz ist verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Der Freistaat Bayern führte 1989 das Landes­er­zie­hungsgeld ein, das im Anschluss an den Bezug des Bundes­er­zie­hungs­geldes gewährt wird und es Eltern ermöglichen soll, über einen längeren Zeitraum Elternzeit zu nehmen und ihre Kinder selbst zu betreuen. Nach dem Landes­er­zie­hungs­geld­gesetz (BayLErzGG) in seiner hier maßgeblichen Fassung des Jahres 1995 wurde das Landes­er­zie­hungsgeld nach dem Bezug des Bundes­er­zie­hungs­geldes grundsätzlich für weitere zwölf Lebensmonate des Kindes in Höhe von 500 DM monatlich gewährt. Bezugs­be­rechtigt war gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nur, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besaß.

Antrag auf Landes­er­zie­hungsgeld aufgrund der polnischen Staats­an­ge­hö­rigkeit zurückgewiesen

Die Klägerin des Ausgangs­ver­fahrens ist polnische Staatsangehörige und begehrt Landes­er­zie­hungsgeld für die Betreuung ihres im Jahr 2000 und damit vor dem Beitritt Polens zur Europäischen Union geborenen Kindes. Sie wohnt seit 1984 in Bayern und hat seit 1988 wiederholt gearbeitet. Ihr Antrag auf Landes­er­zie­hungsgeld wurde zurückgewiesen, weil ihr aufgrund ihrer polnischen Staats­an­ge­hö­rigkeit Landes­er­zie­hungsgeld nicht zustehe.

Sozialgericht legt Bundes­ver­fas­sungs­gericht Vorschrift zur verfas­sungs­recht­lichen Prüfung vor

Ihre hiergegen erhobene Klage führte zunächst zur Vorlage vor den Bayerischen Verfas­sungs­ge­richtshof, der die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG für vereinbar mit der bayerischen Verfassung erklärte. Das Sozialgericht hat die Vorschrift sodann dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur verfas­sungs­recht­lichen Prüfung vorgelegt, weil es sie für nicht vereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie hält.

Regelung sowohl in der Fassung von 1995 als auch die Nachfol­ge­re­gelung nicht mit allgemeinem Gleichheitssatz vereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG in der Fassung des Jahres 1995 wie auch die inhaltlich gleichen Nachfol­ge­re­ge­lungen nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, weil sie Personen, die nicht eine der dort genannten Staats­an­ge­hö­rig­keiten besitzen, ohne sachlichen Grund generell vom Anspruch auf Erziehungsgeld ausschließen. Der Gesetzgeber hat die verfas­sungs­widrigen Regelungen bis zum 31. August 2012 durch eine Neuregelung zu ersetzen, ansonsten tritt die Nichtigkeit der Vorschriften ein.

Verfas­sungs­rechtliche Pflicht zur Förderung von Familien durch Gewährung von Erziehungsgeld besteht nicht

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das zur Prüfung gestellte Staats­an­ge­hö­rig­keits­er­for­dernis verletzt nicht die aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abzuleitende Schutz- und Förderpflicht des Staates zugunsten der Familie. Denn das allgemeine verfas­sungs­rechtliche Gebot, die Pflege- und Erzie­hung­s­tä­tigkeit der Eltern zu unterstützen, begründet keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen und somit auch keine verfas­sungs­rechtliche Pflicht des Freistaats Bayern, Familien durch die Gewährung von Erziehungsgeld zu fördern.

Verfas­sungs­recht­licher Schutz der Familie ist nicht auf Deutsche beschränkt

Die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG verstößt jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), weil es an einem legitimen Gesetzeszweck fehlt, der die Benachteiligung der nicht erfassten ausländischen Staats­an­ge­hörigen rechtfertigen könnte. Die Gewährung von Erziehungsgeld zielt vor allem darauf, Eltern die eigene Betreuung ihres Kindes durch Verzicht auf eine Erwer­b­s­tä­tigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen und damit die frühkindliche Entwicklung zu fördern. Dieser Gesetzeszweck deckt nicht den in der vorgelegten Norm geregelten Leistungs­aus­schluss, da er bei ausländischen Staats­an­ge­hörigen und ihren Kindern auf gleiche Weise wie bei Deutschen zum Tragen kommt. Der verfas­sungs­rechtliche Schutz der Familie ist nicht auf Deutsche beschränkt.

Berufen auf Gesichtspunkt der Förderung so genannter Landeskinder ungerecht­fertigt

Die Ungleich­be­handlung kann auch nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine Förderung auf Personen zu begrenzen, die dauerhaft in Bayern leben werden, da das Kriterium der Staats­an­ge­hö­rigkeit weder auf diesen Zweck gerichtet noch geeignet ist, verlässlich Aufschluss über die Dauer des künftigen Aufenthalts einer Person zu geben. Da die vorgelegte Regelung nicht nach der Herkunft aus anderen Bundesländern, sondern nach der Staats­an­ge­hö­rigkeit unterscheidet, kann sie auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Förderung von sogenannten Landeskindern gerechtfertigt werden.

Bloßer „Mitnahmeeffekt“ nicht wahrscheinlich

Auch die Verhinderung von „Mitnah­me­ef­fekten“, die daraus resultieren könnten, dass sich Personen kurzfristig in Bayern niederlassen, um in den Genuss der bayerischen Erzie­hungs­geld­re­gelung zu gelangen, scheidet als tragfähiges Regelungsziel aus. Denn die Staats­an­ge­hö­rigkeit vermag keinen zuverlässigen Aufschluss über die Aufenthaltszeit in Bayern zu geben.

Vermeiden staatlicher Ausgaben kein Grund um Ungleich­be­handlung von Personengruppen zu rechtfertigen

Fiskalische Interessen können die Schlech­ter­stellung ausländischer Staats­an­ge­höriger durch Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG ebenfalls nicht rechtfertigen. Staatliche Ausgaben zu vermeiden, ist zwar ein legitimer Zweck, der jedoch für sich genommen eine Ungleich­be­handlung von Personengruppen nicht zu rechtfertigen vermag. Ist kein darüber hinausgehender sachlicher Diffe­ren­zie­rungsgrund vorhanden, muss der Gesetzgeber finanz­po­li­tischen Belangen erfor­der­li­chenfalls durch eine Beschränkung der Leistungshöhe oder der Bezugsdauer für alle Berechtigten Rechnung tragen.

Schließlich kann die Differenzierung nach der Staats­an­ge­hö­rigkeit schon deshalb nicht mit dem völker­recht­lichen Prinzip der Gegenseitigkeit gerechtfertigt werden, weil die Regelung der Bezugs­be­rech­tigung in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nicht anhand der gegenseitigen Verbürgung entsprechender Leistungen unterscheidet und somit gar keinen Raum zur Prüfung von Gegen­sei­tig­keits­vor­aus­set­zungen lässt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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