18.10.2024
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Dokument-Nr. 4497

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Bundessozialgericht Urteil05.07.2007

BSG zur Feststellung des Behin­der­ten­grades bei Personen mit Wohnsitz im Ausland

Grundsätzlich steht ein Wohnsitz im Ausland einer (weiteren) Feststellung des Grades der Behinderung entgegen, weil das insoweit einschlägige Neunte Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB IX) nur auf Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland anwendbar ist. Etwas anderes gilt allerdings für im Ausland wohnende Personen, die den Nachweis ihres GdB benötigen, um in Deutschland bestimmte Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen. Das hat das Bundes­so­zi­al­gericht entschieden.

Die Feststellung des Grades der Behinderung nach dem Schwer­be­hin­der­tenrecht bei Personen mit Wohnsitz im Ausland ist nur in engen Grenzen möglich. Hierzu fällte das Bundes­so­zi­al­gericht folgende Entscheidungen.

Verfahren B 9/9a SB 2/07 R

Der Kläger des Verfahrens B 9/9a SB 2/07 R ist italienischer Staats­an­ge­höriger. Im Jahre 1991 stellte das für seinen damaligen Wohnort zuständige Versorgungsamt Soest einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Einen im Mai 2000 gestellten Erhöhungsantrag lehnte das Versorgungsamt ab. Während des anschließenden Klageverfahrens gegen das Land Nordrhein Westfalen verzog der Kläger im März 2001 nach Italien. Das Sozialgericht wies die Klage ab, weil sich der Gesund­heits­zustand des Klägers nicht wesentlich verschlechtert habe. Das vom Kläger angerufene Landes­so­zi­al­gericht lud zunächst den Freistaat Bayern bei, weil das Versorgungsamt München I für Personen mit Wohnsitz in Italien zuständig ist. Sodann bestätigte es die Entscheidung des Sozialgerichts für die Zeit bis März 2001. Im Übrigen hielt es die Berufung des Klägers für unzulässig, weil dieser im Hinblick auf seinen Auslands­wohnsitz für die Zeit ab April 2001 keine GdB-Feststellung mehr beanspruchen könne.

Verfahren B 9/9a SB 2/06 R

Der Kläger des Verfahrens B 9/9a SB 2/06 R ist deutscher Staats­an­ge­höriger. Bei ihm stellte das Amt für Familie und Soziales Chemnitz - Versorgungsamt - 1994 (und erneut 1998) einen GdB von 50 fest. Daraufhin erhielt er einen Schwer­be­hin­der­te­n­ausweis. Im April 2003 teilte der Kläger dem Amt mit, dass er im Oktober 2001 in die Schweiz umgezogen sei. Daraufhin hob das Amt den letzten Feststel­lungs­be­scheid von 1998 auf und erklärte, dass wegen des Wohnsitzes des Klägers in der Schweiz ein GdB nicht mehr festgestellt werde. Die gegen den Freistaat Sachsen gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Während des Berufungs­ver­fahrens lud das Landes­so­zi­al­gericht das Land Baden Württemberg bei, da das Versorgungsamt Freiburg für Personen mit Wohnsitz in der Schweiz zuständig ist. Sodann hob es die erstin­sta­nzliche Entscheidung und den angefochtenen Verwaltungsakt mit der Begründung auf, dass auch ein im Ausland wohnender Deutscher ein berechtigtes Interesse an der Feststellung seines GdB habe.

Entscheidung des Bundes­so­zi­al­ge­richts

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat zunächst geprüft, ob die Klagen gegen die richtigen Beklagten gerichtet sind. In der ersten Sache ist es davon ausgegangen, dass mit dem Wechsel der Verwal­tungs­zu­stän­digkeit der Freistaat Bayern als Beklagter an die Stelle des Landes Nordrhein-Westfalen getreten ist, weil nur dieser die begehrte Feststellung treffen kann. Demgegenüber richtet sich die in der zweiten Sache erhobene Anfech­tungsklage weiter gegen den Freistaat Sachsen, der den Aufhe­bungs­be­scheid erlassen hat.

In beiden Fällen sind die Berufungs­urteile aufgehoben und die Sachen an die jeweilige Vorinstanz zurückverwiesen worden. Grundsätzlich steht ein Wohnsitz im Ausland einer (weiteren) Feststellung des Grades der Behinderung entgegen, weil das insoweit einschlägige Neunte Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB IX) nur auf Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland anwendbar ist. Etwas anderes gilt allerdings für im Ausland wohnende Personen, die den Nachweis ihres GdB benötigen, um in Deutschland bestimmte Vergünstigungen in Anspruch nehmen zu können, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen. Zu denken ist zB an die Schwer­be­hin­der­ten­pau­sch­beträge im Einkom­men­steu­errecht sowie jedenfalls bei Staats­an­ge­hörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Europäischen Wirtschafts­raumes an die (vorzeitige) Altersrente für schwer­be­hinderte Menschen aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung. Ob das bei den Klägern der Fall ist, wird nunmehr zu ermitteln sein.

Erläuterungen
Hinweise zur Rechtslage:

§ 30 SGB I

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. ...

§ 37 SGB I

Das Erste und das Zehnte Buch gelten für alle Sozia­l­leis­tungs­be­reiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt; ...

§ 2 SGB IX

(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrschein­lichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. ...

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz ... im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. ...

§ 69 SGB IX

(1) Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundes­ver­sor­gungs­ge­setzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. ...

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 20/07 des BSG vom 05.07.2007

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