21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil15.12.2016

Allein Gericht trifft Entscheidung über Glaubhaftigkeit von Angaben eines GewaltopfersAussage­psychologisches Gutachten kann für Rechtsfindung nützlich sein - Abschließende Würdigung der Tatsachen obliegt jedoch allein dem Gericht

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass einzig das Gericht selbst und nicht ein von ihm gehörter aussage­psychologischer Sachver­ständiger entscheidet, ob Angaben eines Gewaltopfers zur Tat relativ wahrschein­licher sind als die Annahme, dass das von ihm Geschilderte so nicht stattgefunden habe.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens hatte geltend gemacht, im September 1989 durch Folter und sexuellen Missbrauch im Kaßberg-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. Zehn Jahre später beantragte sie deswegen ohne Erfolg eine Beschä­dig­ten­ver­sorgung nach Opferent­schä­di­gungsrecht. Ihr Opferent­schä­di­gungs­antrag blieb auch vor dem Sozialgericht, dem Landes­so­zi­al­gericht und dem Bundes­so­zi­al­gericht erfolglos.

LSG verzichtet auf Einholung eines weiteren aussa­ge­psy­cho­lo­gischen Gutachtens

Das Sozialgericht hatte u.a. zwei aussa­ge­psy­cho­lo­gische Begutachtungen der Klägerin veranlasst. Die Sachver­ständigen fanden Hinweise auf fremd- und autosuggestive Einflüsse der Aussagen der Klägerin bzw. auf intentionale Täuschung. Das Landes­so­zi­al­gericht hatte entgegen den bisherigen Vorgaben des 9. Senats des Bundes­so­zi­al­ge­richts davon abgesehen, ein weiteres aussa­ge­psy­cho­lo­gisches Gutachten über die Frage einzuholen, ob die Angaben der Klägerin zu der von ihr behaupteten Gewalttat als "in hohem Maße wahrscheinlich glaubhaft" oder "mit relativer Wahrschein­lichkeit glaubhaft" zu beurteilen seien, sondern dies selbst beurteilt. Die Angaben der Klägerin erschienen danach als nicht ausreichend glaubhaft. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei nicht nachgewiesen, auch nicht unter Zugrundelegung der besonderen Bewei­ser­leich­te­rungen des sozialen Entschä­di­gungs­rechts. Diese lassen insoweit eine gute Möglichkeit ausreichen, dass die Angaben des Opfers zutreffen. Seinen Verzicht auf ein weiteres Gutachten hatte das Landes­so­zi­al­gericht auf grundsätzliche methodische Erkenntnisse aus weiteren ins Verfahren eingeführter Gutachten gestützt. Danach dienen aussa­ge­psy­cho­lo­gische Begutachtungen ausschließlich der Substantiierung des Erlebnisbezugs und der Zuverlässigkeit einer Aussage, nicht hingegen der Erlangung (inhaltlich) zutreffender Aussagen nach juristischen Beweismaßstäben.

BSG billigt Vorgehen des LSG

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat dieses Vorgehen gebilligt: Ein aussa­ge­psy­cho­lo­gisches Gutachten ist im sozialen Entschä­di­gungsrecht zulässig und kann für die Rechtsfindung nützlich sein. Allerdings obliegt die anschließend umfassende rechtliche Würdigung der vom Sachver­ständigen bereit gestellten Feststellungen, Erkenntnisse und Schluss­fol­ge­rungen allein dem Gericht.

Hinweis auf die Rechtslage

§ 1 OEG

(1) 1 Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesund­heit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundes­ver­sor­gungs­ge­setzes.

§ 6 OEG

(3) Das Gesetz über das Verwal­tungs­ver­fahren der Kriegs­op­fer­ver­sorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis 5, sowie die Vorschriften des Sozial­ge­richts­ge­setzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

§ 15 KOVVfG

1 Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlo­ren­ge­gangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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