23.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil14.05.2014

Krankenkassen müssen Kosten für Buscopan® nicht generell übernehmenMedikament muss nicht generell für verord­nungsfähig erklärt werden

Stellt ein Pharma­un­ter­nehmen beim Gemeinsamen Bundesausschuss den Antrag, ein Arzneimittel in die Liste der Medikamente aufzunehmen, die trotz fehlender Verschreibungs­pflicht ausnahmsweise zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen, muss der Gemeinsame Bundesausschuss darüber umfassend entscheiden. Bei der Bearbeitung des Antrags der Firma B. in Bezug auf Buscopan® hat der Gemeinsame Bundesausschuss genau dies nicht hinreichend beachtet und muss deshalb prüfen, ob dieses Medikament als Standard­therapeutikum bei schweren und schwersten spastischen Abdominal­beschwerden in die Liste aufzunehmen ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts hervor.

Im zugrunde liegenden Verfahren stand die Aufnahme des nicht verschrei­bungs­pflichtigen Arzneimittels Buscopan Dragees in die Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie im Streit.

Pharma­un­ter­nehmen beantragt Aufnahme von Buscopan Dragees in die Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie

Das Arzneimittel ist zugelassen für das Anwen­dungs­gebiet "Behandlung von leichten bis mäßig starken Spasmen des Magen-Darm-Traktes sowie Behandlung spastischer Abdomi­nal­be­schwerden beim Reizdarmsyndrom". Die Klägerin beantragte beim beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Aufnahme von Buscopan Dragees in die Anlage I der Arzneimittel-Richtlinie (OTC-Übersicht) als Standa­rd­the­ra­peutikum zur Behandlung spastischer Abdomi­nal­be­schwerden beim Reizdarmsyndrom. Der Beklage lehnte den Antrag mit Beschluss vom 22. Januar 2009 ab. Es könne dahinstehen, ob schwerwiegende Fälle spastische Abdomi­nal­be­schwerden beim Reizdarmsyndrom als schwerwiegende Erkrankung im Sinne der Arzneimittel-Richtlinie anzusehen seien. Buscopan Dragees stellten jedenfalls nicht den Thera­pie­standard für die Behandlung dieser Beschwerden dar. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos.

LSG weist Klage des Pharma­un­ter­nehmens ab

Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin wies die Klage ab. Spastische Abdomi­nal­be­schwerden beim Reizdarmsyndrom seien keine "schwerwiegende Erkrankung" im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Allenfalls für die Indikation "spastische Abdomi­nal­be­schwerden beim schweren Reizdarmsyndrom" sei die Schwelle der "schwerwiegenden" Beein­träch­tigung erreicht. Für diese Indikation fehle es aber an dem erforderlichen Antrag. Unabhängig davon handle es sich bei Buscopan Dragees zwar um eine gängige Thera­pie­mög­lichkeit, nicht aber um den Thera­pie­standard.

Pharma­un­ter­nehmen weist auf Form- und Verfah­rens­fehler hin

Die Klägerin macht mit ihrer Revision geltend, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung Form- und Verfah­rens­fehler begangen habe. Spastische Abdomi­nal­be­schwerden beim Reizdarmsyndrom seien eine schwerwiegende Erkrankung, die standardmäßig mit Buscopan behandelt würden.

Gemeinsamer Bundesausschuss darf Verord­nungs­fä­higkeit an bestimmte Voraussetzungen binden

Das Bundes­so­zi­al­gericht verwies darauf, dass das klagende Pharma­un­ter­nehmen berechtigt ist, die Entscheidung des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses, ein (nur) apothe­ken­pflichtiges Medikament nicht in die Liste der ausnahmsweise verord­nungs­fähigen Arzneimittel aufzunehmen, anzufechten und die gerichtliche Feststellung zu erwirken, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Liste entsprechend ergänzen muss. Dabei ist der Gemeinsame Bundesausschuss berechtigt, die Verord­nungs­fä­higkeit an bestimmte Voraussetzungen zu binden, etwa an das Vorliegen besonders schwerer Krank­heits­verläufe oder an erfolglose Versuche der Behandlung der Erkrankung auf andere Weise. Deshalb können die Gerichte dem Gemeinsamen Bundesausschuss grundsätzlich keine bestimmte Fassung der Arznei­mit­tel­richtlinie vorschreiben.

Krank­heits­bilder beschreiben nicht per se "schwerwiegende" Erkrankung im Sinne des Gesetzes

Soweit der Gemeinsamen Bundesausschuss Buscopan® nicht generell auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 SGB V für die Behandlung des Reizda­rm­syndroms und der spastischen Beschwerden bei dieser Krankheit in der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung zugelassen hat, ist dessen Entscheidung nicht zu beanstanden. Diese Krank­heits­bilder beschreiben nicht per se eine "schwerwiegende" Erkrankung im Sinne des Gesetzes. Das kann bei "schweren und schwersten spastischen Abdomi­nal­be­schwerden" jedoch anders sein. Da sich der Gemeinsame Bundesausschuss nach seiner Einlassung im Verfahren vor dem Landes­so­zi­al­gericht zumindest nicht ausdrücklich mit der Frage befasst hat, ob Buscopan® bei diesen Diagnosen und unter Berück­sich­tigung der für den Arzt zur Verfügung stehenden therapeutischen Alternativen sowie möglichweise zusätzlicher Voraussetzungen (Erfolglosigkeit anderer Behandlungen) Thera­pie­standard sein kann, muss der Gemeinsame Bundesausschuss darüber noch entscheiden. Das Begehren der Klägerin, Buscopan® generell für verord­nungsfähig zu erklären, ist dagegen nicht begründet.

Rechtsvorschriften

§ 34 Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel

Erläuterungen

(1) Nicht verschrei­bungs­pflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, welche nicht verschrei­bungs­pflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Thera­pie­standard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Dabei ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Grundlage der Richtlinie nach Satz 2 dafür Sorge zu tragen, dass eine Zusam­men­stellung der verord­nungs­fähigen Ferti­g­a­rz­nei­mittel erstellt, regelmäßig aktualisiert wird und im Internet abruffähig sowie in elektronisch weiter­ver­a­r­beitbarer Form zur Verfügung steht. Satz 1 gilt nicht für:

1. versicherte Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr,

2. versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwick­lungs­stö­rungen.

Für Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, sind von der Versorgung nach § 31 folgende verschrei­bungs­pflichtige Arzneimittel bei Verordnung in den genannten Anwen­dungs­ge­bieten ausgeschlossen:

1. Arzneimittel zur Anwendung bei Erkäl­tungs­krank­heiten und grippalen Infekten einschließlich der bei diesen Krankheiten anzuwendenden Schnupfenmittel, Schmerzmittel, husten­dämp­fenden und hustenlösenden Mittel,

2. Mund- und Rachen­the­ra­peutika, ausgenommen bei Pilzinfektionen,

3. Abführmittel,

4. Arzneimittel gegen Reisekrankheit.

Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucher­ent­wöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6.

(6) Pharmazeutische Unternehmer können beim Gemeinsamen Bundesausschuss Anträge zur Aufnahme von Arzneimitteln in die Zusam­men­stellung nach Absatz 1 Satz 2 und 4 stellen.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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