21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil29.07.2004

Rente wegen Berufs­un­fä­higkeit: Zumutbarkeit von Vergleichs­berufen richtet sich nach Mehrstu­fen­schemaBeruf gleicher oder nächst niedriger Stufe zumutbarer Vergleichsberuf

Kann ein Versicherter seinen Beruf nicht mehr ausüben, erhält er nur dann eine Rente wegen Berufs­un­fä­higkeit, wenn er nicht mehr in der Lage ist einen vergleichbaren Beruf auszuüben. Die Zumutbarkeit des Vergleichs­berufs richtet sich nach einem Mehrstu­fen­schema. Davon ausgehend ist der Beruf gleicher oder nächst niedriger Stufe ein zumutbarer Vergleichsberuf. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein ehemaliger Volkspolizist beantragte 1994 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Zuletzt war der Antragsteller als wissen­schaft­licher Mitarbeiter in einem Verkehr­s­kombinat tätig. Der Renten­ver­si­che­rungs­träger lehnte die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ab. Dagegen klagte der Antragsteller.

Sozialgericht und Landes­so­zi­al­gericht wiesen Klage ab

Sowohl das Sozialgericht Rostock als auch das Landes­so­zi­al­gericht Mecklenburg-Vorpommern wiesen die Klage ab. Der Kläger sei nämlich nicht berufsunfähig gewesen. Ihm sei ausgehend von seinen letzten Berufen als Volkspolizist und wissen­schaft­licher Mitarbeiter, die als gleichwertig anzusehen seien, zumutbar gewesen als Verwal­tungs­mi­t­a­r­beiter zu arbeiten. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Revision ein. Er meinte, das Berufungs­gericht habe die zuletzt vorgenommenen Tätigkeiten nicht als gleichwertig ansehen dürfen. Vielmehr sei die Tätigkeit eines Polizei­of­fiziers sozial und qualitativ höher zu bewerten. Daher sei sie nicht vergleichbar mit der Tätigkeit als Verwal­tungs­mi­t­a­r­beiter, so dass sie ihm nicht zuzumuten sei.

Anspruch auf Rente bei Berufs­un­fä­higkeit

Das Bundes­so­zi­al­gericht führte zunächst aus, dass der Anspruch auf Rente gemäß § 42 Abs. 1 SGB VI in der Fassung bis zum 31. Dezember 2000 unter anderem eine Berufs­un­fä­higkeit vorrausetzt. Eine solche liege vor, wenn der Versicherte aufgrund krankheits- oder gebre­chens­be­dingter Einschränkung seiner körperlichen, seelischen oder geistigen Leistungs­fä­higkeit nicht mehr in der Lage ist, seine bislang auf einer bestimmten Quali­fi­ka­ti­o­nshöhe vorgenommene Berufstätigkeit vollwertig oder zumindest halbwertig nach zu gehen. Eine Berufs­un­fä­higkeit liege dann nicht vor, wenn der Versicherte einen zumutbaren Vergleichsberuf (sog. Verwei­sungsberuf) ausüben könne.

Zumutbarkeit eines Vergleichs­berufs richtet sich nach Mehrstu­fen­schema

Um ihm Rahmen der Zumutbarkeit eines Vergleichs­berufs eine unter­schiedliche Rechtsanwendung und damit Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz) zu vermeiden, hat das Bundes­so­zi­al­gericht ein Mehrstufenschema entwickelt. Die Stufen sind nicht nach Entlohnung oder Prestige angeordnet, sondern geben von unten nach oben ihre Leistungs­qualität, gemessen an Dauer und Umfang der erforderlichen Ausbildung und beruflichen Erfahrung, an. Folgende Stufen gibt es:

- Stufe 1: Ungelernte Berufe

- Stufe 2: Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren

- Stufe 3: Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren

- Stufe 4: Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen

- Stufe 5: Berufe, die einen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufs­aus­bildung voraussetzen

- Stufe 6: Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschul­studium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht.

Verweisung auf gleicher oder nächst niedriger Stufe möglich

Eine Verweisung könne nur auf einen Beruf derselben Stufe oder der nächst niedrigeren erfolgen, so das Bundes­so­zi­al­gericht weiter. Dabei müsse das Überfor­de­rungs­verbot (Einarbeitung innerhalb von drei Monaten) beachtet werden. Zudem sei die konkrete Benennung eines Berufs erforderlich, der an mindestens 300 Arbeitsplätzen im Bundesgebiet ausgeübt wird. Eine konkrete Benennung sei nur dann nicht notwendig, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört oder wenn ein sogenannter einfacher Angelernter auf ungelernte Berufe verwiesen wird.

Keine schematische Anwendung des Mehrstu­fen­schemas

Darüber hinaus verwies das Gericht darauf, dass das Mehrstu­fen­schema nicht schematisch angewandt werden dürfe. Vielmehr können auch die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden. Diese müssen dann aber in den Entschei­dungs­gründen hinreichend deutlich gemacht werden.

Aufhebung des Berufungs­urteils

Da das Landes­so­zi­al­gericht nach Auffassung des Bundes­so­zi­al­ge­richts keine ausreichenden Feststellungen zu der Vergleich­barkeit des Verwei­sungs­berufs mit den bisher ausgeübten Tätigkeiten gemacht hat, hob es das Berufungsurteil auf und wies den Fall zur Neuentscheidung zurück.

Quelle: Bundessozialgericht, ra-online (vt/rb)

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