24.11.2024
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Dokument-Nr. 17448

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Urteil09.10.2007BundessozialgerichtB 5b/8 KN 3/07 R
Vorinstanzen:
  • Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil09.08.2002, S 6 KN 50/01
  • Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil06.04.2006, L 2 KN 135/02
ergänzende Informationen

Bundessozialgericht Urteil09.10.2007

Rente wegen Berufs­un­fä­higkeit: Keine Berufs­un­fä­higkeit bei Ausübung einer sozial sowie gesundheitlich und fachlich zumutbaren anderen TätigkeitVorliegen einer sozialen Unzumutbarkeit bei Ausübung einer rechts- oder sittenwidrigen Tätigkeit

Eine Berufs­un­fä­higkeit liegt dann nicht vor, wenn der Versicherte eine sozial sowie gesundheitlich und fachlich zumutbare andere Tätigkeit ausüben kann. Ein Anspruch auf eine Berufs­unfähigkeits­rente besteht dann nicht. Eine sozial unzumutbare Tätigkeit liegt etwa vor, wenn sie rechts- oder sittenwidriges Verhalten beinhaltet. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts hervor.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Dezember 1999 beantragte ein Bergmann die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, da er seinen Hauptberuf nicht mehr ausüben konnte. Zuletzt war er als Hauer in einem Stein­koh­len­bergbau tätig. Der Renten­ver­si­che­rungs­träger lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass der Antragssteller auf eine zumutbare andere Tätigkeit habe verwiesen werden können. Der Antragssteller erhob daraufhin Klage.

Sozialgericht und Landes­so­zi­al­gericht wiesen Klage ab

Sowohl das Sozialgericht Gelsenkirchen als auch das Landes­so­zi­al­gericht Nordrhein-Westfalen wiesen die Klage ab. Das Landes­so­zi­al­gericht begründete seine Entscheidung damit, dass dem Kläger unter Berück­sich­tigung seines Gesund­heits­zu­stands sowie seiner bisher ausgeübten Tätigkeit, eine Tätigkeit als Zigaret­te­n­au­to­ma­ten­auf­füller zumutbar sei. Der Kläger wiederum meinte, dieser Beruf sei ihm sozial nicht zumutbar gewesen. Denn er würde an der Verbreitung einer gesund­heits­schäd­lichen und vielfach tödlichen Droge und somit aktiv bei der Schaffung von Abhängigkeit mitwirken. Dies könne er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er legte daher gegen die Entscheidung Revision ein.

Keine Berufs­un­fä­higkeit bei zumutbarer anderer Tätigkeit

Das Bundes­so­zi­al­gericht führte zunächst aus, dass die Gewährung einer Rente davon abhänge, ob der Versicherte berufsunfähig ist (§ 43 SGB VI in der Fassung bis zum 1. Januar 2001). Voraussetzung dafür sei unter anderem, dass es keine andere Tätigkeit gibt, die dem Versicherten sozial zuzumuten ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich bewältigen kann. Abzustellen sei dabei auf den bisherigen Beruf des Versicherten. Dies sei im allgemeinen diejenige versi­che­rungs­pflichtige Tätigkeit, die zuletzt auf Dauer, das heißt mit dem Ziel ausgeübt wurde, sie bis zum Eintritt der gesund­heit­lichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze zu tätigen.

Soziale Zumutbarkeit war fraglich

Für den Fall war maßgeblich, ob die Tätigkeit als Zigaret­te­n­au­to­ma­ten­auf­füller sozial zumutbar war. Dies war deswegen fraglich, weil ein Versicherter nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, die rechts- oder sittenwidriges Verhalten beinhaltet. Nach Ansicht des Bundes­so­zi­al­ge­richts handele es sich beim Zigaret­te­n­au­to­ma­ten­auf­füllen aber um eine erlaubte Tätigkeit. Diese verstoße weder gegen ein Gesetz noch gegen die guten Sitten.

Keine Verletzung der Gewis­sens­freiheit

Zudem folgte das Bundes­so­zi­al­gericht nicht der Argumentation des Klägers, wonach das Auffüllen von Zigaret­te­n­au­tomaten die Nikotinsucht fördere und von ihm nicht verlangt werden könne, an der Verbreitung einer gesund­heits­schäd­lichen Droge mitzuwirken. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, dürften sämtliche Beschäftigte in der Tabakindustrie oder im Tabakhandel ihren Arbeitsplatz aufgeben und eine Rente beanspruchen, wenn andere zumutbare Arbeitsplätze nicht vorhanden wären. Dasselbe müsste für Versicherte gelten, die an der Produktion von Alkohol oder Kriegsspielzeug mitwirken. Aus der Argumentation sei deutlich geworden, dass es nicht um die Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit geht, sondern um die Äußerung einer politischen Meinung. Im Renten­ver­si­che­rungsrecht sei jedoch nur eine konkrete Gewissensentscheidung maßgeblich und nicht eine allge­mein­po­li­tische oder gesund­heits­po­li­tische Überzeugung. Eine Verletzung der Gewis­sens­freiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) habe daher nicht vorgelegen.

Eingriff in allgemeines Persön­lich­keitsrecht lag nicht vor

Darüber hinaus habe auch kein Eingriff in das allgemeine Persön­lich­keitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) des Klägers vorgelegen, so das Bundes­so­zi­al­gericht. Denn es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Tätigkeit als Zigaret­te­n­au­to­ma­ten­auf­füller den Kläger im Kernbereich seiner Persönlichkeit träfe.

Berufungsurteil wurde aufgehoben

Das Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts wurde dennoch aufgehoben und zur Neuentscheidung zurückverwiesen, da nach Einschätzung des Bundes­so­zi­al­ge­richts keine ausreichenden Feststellungen zu den weiteren Gesichtspunkten der sozialen Zumutbarkeit, nämlich der Vergleich­barkeit zwischen der neuen Tätigkeit und dem bisherigen Beruf, getroffen wurden.

Quelle: Bundessozialgericht, ra-online (vt/rb)

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