Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Dezember 1999 beantragte ein Bergmann die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, da er seinen Hauptberuf nicht mehr ausüben konnte. Zuletzt war er als Hauer in einem Steinkohlenbergbau tätig. Der Rentenversicherungsträger lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass der Antragssteller auf eine zumutbare andere Tätigkeit habe verwiesen werden können. Der Antragssteller erhob daraufhin Klage.
Sowohl das Sozialgericht Gelsenkirchen als auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wiesen die Klage ab. Das Landessozialgericht begründete seine Entscheidung damit, dass dem Kläger unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustands sowie seiner bisher ausgeübten Tätigkeit, eine Tätigkeit als Zigarettenautomatenauffüller zumutbar sei. Der Kläger wiederum meinte, dieser Beruf sei ihm sozial nicht zumutbar gewesen. Denn er würde an der Verbreitung einer gesundheitsschädlichen und vielfach tödlichen Droge und somit aktiv bei der Schaffung von Abhängigkeit mitwirken. Dies könne er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er legte daher gegen die Entscheidung Revision ein.
Das Bundessozialgericht führte zunächst aus, dass die Gewährung einer Rente davon abhänge, ob der Versicherte berufsunfähig ist (§ 43 SGB VI in der Fassung bis zum 1. Januar 2001). Voraussetzung dafür sei unter anderem, dass es keine andere Tätigkeit gibt, die dem Versicherten sozial zuzumuten ist und die er sowohl gesundheitlich als auch fachlich bewältigen kann. Abzustellen sei dabei auf den bisherigen Beruf des Versicherten. Dies sei im allgemeinen diejenige versicherungspflichtige Tätigkeit, die zuletzt auf Dauer, das heißt mit dem Ziel ausgeübt wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze zu tätigen.
Für den Fall war maßgeblich, ob die Tätigkeit als Zigarettenautomatenauffüller sozial zumutbar war. Dies war deswegen fraglich, weil ein Versicherter nicht auf eine Tätigkeit verwiesen werden darf, die rechts- oder sittenwidriges Verhalten beinhaltet. Nach Ansicht des Bundessozialgerichts handele es sich beim Zigarettenautomatenauffüllen aber um eine erlaubte Tätigkeit. Diese verstoße weder gegen ein Gesetz noch gegen die guten Sitten.
Zudem folgte das Bundessozialgericht nicht der Argumentation des Klägers, wonach das Auffüllen von Zigarettenautomaten die Nikotinsucht fördere und von ihm nicht verlangt werden könne, an der Verbreitung einer gesundheitsschädlichen Droge mitzuwirken. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, dürften sämtliche Beschäftigte in der Tabakindustrie oder im Tabakhandel ihren Arbeitsplatz aufgeben und eine Rente beanspruchen, wenn andere zumutbare Arbeitsplätze nicht vorhanden wären. Dasselbe müsste für Versicherte gelten, die an der Produktion von Alkohol oder Kriegsspielzeug mitwirken. Aus der Argumentation sei deutlich geworden, dass es nicht um die Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit geht, sondern um die Äußerung einer politischen Meinung. Im Rentenversicherungsrecht sei jedoch nur eine konkrete Gewissensentscheidung maßgeblich und nicht eine allgemeinpolitische oder gesundheitspolitische Überzeugung. Eine Verletzung der Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) habe daher nicht vorgelegen.
Darüber hinaus habe auch kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) des Klägers vorgelegen, so das Bundessozialgericht. Denn es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Tätigkeit als Zigarettenautomatenauffüller den Kläger im Kernbereich seiner Persönlichkeit träfe.
Das Urteil des Landessozialgerichts wurde dennoch aufgehoben und zur Neuentscheidung zurückverwiesen, da nach Einschätzung des Bundessozialgerichts keine ausreichenden Feststellungen zu den weiteren Gesichtspunkten der sozialen Zumutbarkeit, nämlich der Vergleichbarkeit zwischen der neuen Tätigkeit und dem bisherigen Beruf, getroffen wurden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 08.01.2014
Quelle: Bundessozialgericht, ra-online (vt/rb)