03.12.2024
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Bundessozialgericht Urteil23.05.2013

Jobcenter muss erhöhte Mietkosten aufgrund von Sanktion gegen einen in einer Bedarfs­ge­mein­schaft lebenden SGB II-Bezieher tragenFamiliäre Bedarfs­ge­mein­schaft haftet nicht für Fehlverhalten des volljährigen Kindes

Werden einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aufgrund von Sanktionen die Leistungen für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen gestrichen, können die mit dem Sanktionierten in einer Bedarfs­ge­mein­schaft lebenden Familien­an­ge­hörigen weitere Leistungen für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen beanspruchen. Eine faktische "Mithaftung" für ein nach dem SGB II sanktioniertes Fehlverhalten eines im Haushalt lebenden volljährigen Kindes sieht das SGB II jedoch nicht vor. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozialgerichts hervor.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls lebte mit ihrem minderjährigen Sohn und - zumindest zeitweise - dem 22 jährigen Sohn D zusammen. Sie bezogen SGB II-Leistungen für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen in Höhe der tatsächlichen Miet- und Nebenkosten von 526,50 Euro. Nach mehreren Sanktionen wurden dem Sohn D diese Leistungen in der Zeit vom 1. Februar bis 30. April 2009 vollständig entzogen. Hintergrund ist die Regelung des § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II aF, nach der das Arbeits­lo­sengeld II für unter 25 Jährige bei wiederholten Pflicht­ver­let­zungen (z.B. Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme) um 100 % gemindert wird. Für den Zeitraum vom 1. Februar bis 30. April 2009 bewilligte der SGB II-Träger die Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft neu, berücksichtigte bei der Klägerin und dem minderjährigen Sohn wie bisher einen Anspruch für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen nach dem so genannten "Kopfteilprinzip" in Höhe von jeweils 175,50 Euro (1/3 von 526,50 Euro) und setzte den Anteil des Sohns D mit " Euro" fest. Dieser ging nicht gegen die Leistungs­kürzung vor. Die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn wandten im Sozial­ge­richts­ver­fahren ein, dass die tatsächlichen Mietkosten nur noch zu zwei Dritteln übernommen würden.

Klägerin und ihr minderjähriger Sohn können weitere Leistungen für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen beanspruchen

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die zusprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn können jeweils weitere Leistungen für Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen in Höhe von 87,75 Euro beanspruchen. Infolge des sankti­o­ns­be­dingten Wegfalls des Anteils für den Sohn D haben sich die von ihnen tatsächlich zu tragenden Wohnungs­auf­wen­dungen erhöht. Dieser Bedarf ist nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmen. Die Vorschrift sieht keine nur anteilige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bei der Nutzung einer Wohnung durch mehrere Mitglieder einer Bedarfs­ge­mein­schaft vor.

Bedarfsbezogene Gründe können Abweichung vom Kopfteilprinzip erforderlich machen

Zwar ist für den Regelfall davon auszugehen, dass die Unterkunfts- und Heizauf­wen­dungen unabhängig von Alter und Nutzungs­in­tensität anteilig pro Kopf aufzuteilen sind. Dies gilt jedoch - trotz gemeinsamer Nutzung einer Wohnung - ausnahmsweise nicht, wenn bedarfsbezogene Gründe eine Abweichung vom Kopfteilprinzip erforderlich machen. Dies ist hier der Fall. Fraglich ist zwar, ob der beklagte SGB II-Träger berechtigt war, die Leistungen für den Sohn D vollständig zu kürzen. Einen möglichen Anspruch des Sohnes konnten die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn jedoch nicht als "bereite Mittel" realisieren. Für den hier streitigen Zeitraum von drei Monaten muss ihr erhöhter Bedarf daher durch weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgeglichen werden.

SGB II sieht keine "Mithaftung" für sanktioniertes Fehlverhalten des volljährigen Sohnes vor

Soweit der SGB II-Träger vorträgt, dass die Sanktion damit teilweise ins Leere laufe, hat dies keine Bedeutung für die Indivi­du­a­l­ansprüche der beiden Kläger. Die Klägerin zu 1 ist aufgrund der im SGB II vorgesehenen Bedarfs­ge­mein­schaft mit ihrem volljährigen Sohn bereits zum Einsatz ihres Einkommens auch für ihn verpflichtet. Eine faktische "Mithaftung" für ein nach dem SGB II sanktioniertes Fehlverhalten des volljährigen Sohnes sieht das SGB II jedoch nicht vor.

Rechtgrundlagen

§ 22 SGB II - Leistungen für Unterkunft und Heizung (Fassung: 1.1.2009 bis 27.10.2009)

(1) Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. [...] Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfe­be­dürftigen oder der Bedarfs­ge­mein­schaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfe­be­dürftigen oder der Bedarfs­ge­mein­schaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. [...]

§ 31 SGB II aF - Absenkung und Wegfall des Arbeits­lo­sen­geldes II und des befristeten Zuschlags (Fassung: 1.10.2007 bis 31.12.2010)

[...]

(3) [...] Bei einer Minderung des Arbeits­lo­sen­geldes II um mehr als 30 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung kann der zuständige Träger in angemessenem Umfang ergänzende Sach-leistungen oder geldwerte Leistungen erbringen (Satz 6). Der zuständige Träger soll Leistungen nach Satz 6 erbringen, wenn der Hilfebedürftige mit minderjährigen Kindern in Bedarfs­ge­mein­schaft lebt (Satz 7).

(5) Bei erwerbsfähigen Hilfe­be­dürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, wird das Arbeits­lo­sengeld II unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 beschränkt; die nach § 22 Abs. 1 angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sollen an den Vermieter oder andere Empfangs­be­rechtigte gezahlt werden. Bei wiederholter Pflicht­ver­letzung nach Absatz 1 oder 4 wird das Arbeits­lo­sengeld II um 100 vom Hundert gemindert. [...] Bei einer Minderung des Arbeits­lo­sen­geldes II nach Satz 2 kann der Träger unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung erbringen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen (Satz 5). Die Agentur für Arbeit kann Leistungen nach Absatz 3 Satz 6 an den erwerbsfähigen Hilfe­be­dürftigen erbringen.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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