03.12.2024
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Bundessozialgericht Urteil04.06.2014

Wohnungs­aufwendungen­verordnung des Landes Berlin unwirksamWerte des bundesweiten Heizspiegels nicht zur ausreichenden Begründung einer Gesamt­angemessenheits­grenze geeignet

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Wohnungs­aufwendungen­verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II des Landes Berlin vom 3. April 2012 für unwirksam erklärt. Ein solches Brutto­warm­mieten­konzept ist laut Gericht zwar grundsätzlich zulässig, es entbindet jedoch nicht von den auch für Satzungen oder Verordnungen nach §§ 22 a ff SGB II geltenden Ermittlungs­anforderungen zur Bestimmung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Diesen Anforderungen wird die Wohn­aufwendungen­verordnung hinsichtlich des Bedarfs für die Heizung allerdings nicht gerecht.

Die miteinander verheirateten im Land Berlin - dem Antragsgegner - lebenden Antragsteller des zugrunde liegenden Streitfalls beziehen seit dem 2. Mai 2011 Arbeits­lo­sengeld II. Sie bewohnen mit ihrer am 2. August 2012 geborenen Tochter eine ca. 68 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung, die über eine mit Erdgas betriebene Etagenheizung verfügt. Die von ihnen zu zahlende Bruttowarmmiete betrug im Jahr 2012 monatlich zunächst 615,08 und ab August 625,08 Euro. Entsprechend dem schon zuvor gezahlten Betrag bewilligte das zuständige Jobcenter den Antragstellern ab 1. Mai 2012 Leistungen für die Unterkunft und Heizung von 542 Euro monatlich (Bescheid vom 5.4.2012, Wider­spruchs­be­scheid vom 30.10.2012). Das dagegen gerichtete Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (S 169 AS 30680/12) ist dort noch anhängig. Mit Änderungs­be­scheid vom 21. Mai 2013 erhöhte das Jobcenter die Leistungen der Antragsteller für Unterkunft und Heizung auf 579 Euro monatlich ab 1. Mai 2012 unter Hinweis auf die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung.

LSG erklärt Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung für unwirksam

Aufgrund des schon zuvor von den Antragstellern am 14. Juni 2012 gestellten Normen­kon­trol­lantrags auf Überprüfung der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung hat das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis zum 31. Juli 2013 für unwirksam erklärt. Zwar sei deren Brutto­wa­rm­mie­ten­konzept grundsätzlich zulässig, für die Bestimmung der Höhe der angemessenen Heizkosten fehle jedoch eine belastbare Datengrundlage. Die Grenzwerte des vom Antragsgegner herangezogenen bundesweiten Heizkos­ten­spiegels seien Ausdruck für ein unwirt­schaft­liches Heizverhalten, beinhalteten aber keine Werte für die jeweiligen angemessenen Aufwendungen für die Heizung. Ohne zutreffende Bestimmung des angemessenen Heizungsbedarfs sei auch keine zutreffende Bestimmung des Gesamtbedarfs möglich.

Antragsgegner hält Festlegung der Bruttowarmmiete für zulässig

Zur Begründung seiner vom Landes­so­zi­al­gericht zugelassenen Revision führt der Antragsgegner aus, die Festlegung einer Bruttowarmmiete sei nach der gesetz­ge­be­rischen Entscheidung in § 22 b Abs. 1 Satz 3 SGB II zulässig und zu deren Festlegung dürften keine unüberwindbaren Hürden aufgestellt werden. Die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung sei auch hinsichtlich der Heizkosten auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts (Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R) erstellt worden und eine andere Lösung sei nicht ersichtlich.

BSG: LSG erklärt Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung zu Recht für unwirksam

Das Bundes­so­zi­al­gericht wies die Revision zurück. Das Landes­so­zi­al­gericht hat die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung des Landes Berlin vom 3. April 2012 (GVBl Berlin 2012, 99 – Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung) zu Recht für unwirksam erklärt.

Normen­kon­trol­lantrag zulässig

Da die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung der Antragsteller über den ihnen vom Jobcenter aufgrund der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung zugebilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung liegen, ist ihr Normenkontrollantrag zulässig. Die Zulässigkeit ihres Normen­kon­trol­lantrags führt zu einer objektiv-rechtlichen Überprüfung der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung.

Brutto­wa­rm­mie­ten­konzept entbindet nicht von Ermitt­lungs­an­for­de­rungen zur Bestimmung angemessener Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Der Kern der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung ist die in ihrem § 4 vorgesehene Gesamtan­ge­mes­sen­heits­grenze für eine Bruttowarmmiete. Ein solches Brutto­wa­rm­mie­ten­konzept ist nach § 22 b Abs. 1 Satz 3 SGB II grundsätzlich zulässig. Es entbindet jedoch nicht von den auch für Satzungen oder Verordnungen nach §§ 22 a ff SGB II geltenden Ermitt­lungs­an­for­de­rungen zur Bestimmung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wie der Senat schon in seinem Urteil vom 17. Oktober 2013 (Az. B 14 AS 70/12 R) entschieden hat.

Grenzwert des bundesweiten Heizspiegels nicht zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten geeignet

Diesen Anforderungen wird die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung hinsichtlich des Bedarfs für die Heizung nicht gerecht. In der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung wird zur Bestimmung dieses Bedarfs die rechte Spalte "zu hoch" des bundesweiten Heizspiegels zugrunde gelegt, deren Werte Ausdruck für zu hohe Heizkosten sind und die Leistungs­be­rech­tigten grundsätzlich begünstigt. Der Senat hat jedoch wiederholt entschieden, dass dieser Grenzwert nicht zur Bestimmung der angemessenen Heizkosten geeignet ist, sondern nur als ein Grenzwert im Einzelfall, der weitere Nachprüfungen erforderlich macht (BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R -; BSG vom 12.5.2013 - B 14 AS 60/12 R -).

Beruht jedoch einer von zwei Summanden auf einer unzutreffenden Grundlage, so gilt dies auch für die Summe, hier also die in § 4 Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung vorgesehene Gesamtan­ge­mes­sen­heits­grenze.

Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung hier insgesamt rechtswidrig und unwirksam

Mit der objektiv-rechtlichen Rechts­wid­rigkeit dieser Grenze auf der Grundlage des in der Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung verfolgten Brutto­wa­rm­mie­ten­konzepts ist die Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung insgesamt rechtswidrig und unwirksam. Sie enthält keine hiervon abtrennbaren Teile. Auf Vor- oder Nachteile der Regelung mittels Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung zu den Heizkosten bei ihrer Anwendung im Einzelfall kommt es in einem Normen­kon­troll­ver­fahren nicht an. Die unzutreffende Ermittlung der Bruttowarmmiete nach § 4 Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung wirkt sich auch auf die in § 6 Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung vorgesehene Bestimmung der individuell angemessenen Bedarfe aus, weil diese Sonderregelung an die - unzutreffend bestimmte - Bruttowarmmiete anknüpft. Dass die in § 6 Wohnauf­wen­dun­gen­ver­ordnung vorgesehene, einheitliche prozentuale Erhöhung auch im Übrigen mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist, hat der Senat in dem schon angeführten Urteil vom 17. Oktober 2013 ausgeführt.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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