18.10.2024
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Bundessozialgericht Urteil12.02.2015

Keine zwangsläufige Absenkung der Ent­schädigungs­pauschale wegen überlanger Verfahrensdauer bei geringem Streitwert der ursprünglichen KlageGesetz bietet keine Legitimation für grundsätzliche Kappung der Entschädigung auf den Betrag des Streitwerts

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass allein der geringe Streitwert der ursprünglichen Klage nicht dazu führt, dass die jährliche Regel­ent­schä­digung (Ent­schädigungs­pauschale) wegen immaterieller Nachteile bei überlanger Verfahrensdauer auf den Streitwert des Ausgangs­ver­fahrens abgesenkt wird.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte das Landes­so­zi­al­gericht anstelle der begehrten 2.100 Euro nur eine Entschädigung von 216 Euro zugebilligt. Dies entsprach dem Streitwert der ursprünglichen Klage gegen die Absenkung der Regelleistung nach dem SGB II wegen Meldeversäumnis.

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer ist nicht ohne Weiteres auf Betrag des Streitwerts zu begrenzen

Das Bundes­so­zi­al­gericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass bei der Frage, in welchem Umfang die Klägerin einen Nachteil erlitten hat, der in Geld zu entschädigen ist, das Gesetz keine Legitimation für eine grundsätzliche Kappung der Entschädigung auf den Betrag des Streitwerts in Fällen bietet, in denen die Entschä­di­gungs­pau­schale den Streitwert um ein Vielfaches übersteigt. Die Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer ist in Verfahren mit niedrigen Streitwerten deshalb nicht ohne Weiteres auf den Betrag des Streitwerts begrenzt. Nur wenn die Entschädigung von 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen. Dies ist nur in atypischen Sonderfällen anzunehmen. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pauschalierung soll eine zusätzliche Belastung der Gerichte bei der Bemessung der Entschädigung in Geld vermeiden.

Geringe Streitwert in Grund­si­che­rungs­an­ge­le­gen­heiten als genereller Maßstab für Absenkung nicht tauglich

Der geringe Streitwert ist in Grund­si­che­rungs­an­ge­le­gen­heiten keine Besonderheit und als genereller Maßstab für eine Absenkung nicht tauglich. Berück­sich­ti­gungsfähig im Sinne einer Absenkung sind etwa eine außergewöhnlich geringe Bedeutung des Verfahrens für den Betroffenen oder aber auch eine nur kurzzeitige Verzögerung. Die noch fehlenden Feststellungen zu atypischen Besonderheiten wird das Landes­so­zi­al­gericht noch nachzuholen haben, ebenso wie diejenigen zur Unange­mes­senheit der Verfahrensdauer unter Berück­sich­tigung der jüngeren Senats­recht­sprechung.

Hinweis zur Rechtslage

Erläuterungen

§ 198 Gerichts­ver­fas­sungs­gesetz

(1) 1 Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichts­ver­fahrens als Verfah­rens­be­tei­ligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt.

2 Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfah­rens­be­tei­ligten und Dritter.

(2) 1 Ein Nachteil, der nicht Vermö­gens­nachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichts­ver­fahren unangemessen lange gedauert hat.

2 Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wieder­gut­machung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist.

3 Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung.

4 Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) 1 Entschädigung erhält ein Verfah­rens­be­tei­ligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzö­ge­rungsrüge).

2 Die Verzö­ge­rungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzö­ge­rungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist.

3 Kommt es für die Verfah­rens­för­derung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen.

4 Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschä­di­gungs­gericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt.

5 Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzö­ge­rungsrüge.

(4) 1 Wieder­gut­machung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschä­di­gungs­ge­richts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

2 Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus.

3 Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) 1Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzö­ge­rungsrüge erhoben werden.

2 Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden.

3 Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) [...]

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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