21.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil30.09.2010

BSG äußert verfas­sungs­rechtliche Bedenken an Anspruchs­vor­aus­set­zungen für Elterngeld an Ausländer mit bestimmten Aufent­halt­s­er­laub­nissenSozialgericht befragt Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Vereinbarkeit der Regelungen des Bundes­el­terngeld- und Eltern­zeit­gesetz mit dem Grundgesetz

Das Bundes­so­zi­al­gericht hält die Anspruchs­vor­aus­set­zungen für Elterngeld an Ausländer mit bestimmten Aufent­halt­s­er­laub­nissen teilweise für verfas­sungs­rechtlich bedenklich. Das Gericht legte daher die Klage einer Frau aus dem Kongo dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Entscheidung vor.

Nach Auffassung des Bundes­so­zi­al­ge­richts kann ein nicht freizü­gig­keits­be­rech­tigter Ausländer nur und erst dann Elterngeld beanspruchen, wenn er einen Aufent­halt­stitel besitzt, der entweder nach dem Gesetz bereits selbst zur Ausübung einer Erwer­b­s­tä­tigkeit berechtigt oder dem eine ausdrückliche Nebenbestimmung beigefügt ist oder war, die eine solche Erlaubnis enthält. Im Übrigen hält es der Senat für unvereinbar mit dem Gleich­be­hand­lungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, dass nach § 1 Abs. 7 Nr. 2 Buchstabe c in Verbindung mit Nr. 3 Buchstabe b Bundes­el­terngeld- und Eltern­zeit­gesetz Ausländern, denen eine Aufent­halt­s­er­laubnis wegen eines Krieges in ihrem Heimatland (§ 23 Abs. 1 Aufent­halts­gesetz), wegen eines Härtefalls (§ 23 a Aufent­halts­gesetz), zur Gewährung vorübergehenden Schutzes (§ 24 Aufent­halts­gesetz) oder aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 3 bis 5 Aufent­halts­gesetz) erteilt worden ist, ein Anspruch auf Elterngeld nur dann zusteht, wenn sie in Deutschland berechtigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozial­ge­setzbuch beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen.

Sachverhalt

Über die Anwendung dieser Vorschriften hat das Bundes­so­zi­al­gericht in einem Revisi­ons­ver­fahren entschieden, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Die Klägerin reiste 2002 aus dem Kongo nach Deutschland ein. Ihr Asylantrag war erfolglos. Seit Dezember 2005 besitzt sie eine Aufent­halt­s­er­laubnis nach § 25 Abs. 3 Aufent­halts­gesetz, die zunächst mit dem Zusatz "Erwer­b­s­tä­tigkeit nur mit Zustimmung der Auslän­der­behörde gestattet" versehen war und am 20. Juli 2007 verlängert wurde. Auf einen im Dezember 2007 gestellten Antrag der Klägerin wurde die Nebenbestimmung am 29. Januar 2008 dahin geändert, dass seit Antragstellung eine Beschäftigung jeder Art erlaubt ist. Durch eine Entscheidung der Bezirks­re­gierung Köln wurde die Rückwirkung dieser Erlaubnis auf den 20. Juli 2007 vorverlegt.

Antrag auf Elterngeld für Zwillinge bleibt vor den Gerichten ohne Erfolg

Nach ablehnender Verwal­tungs­ent­scheidung blieb das Begehren der Klägerin, ihr für die Zeit vom 22. August 2007 bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats ihrer am 9. März 2007 geborenen Zwillinge Elterngeld zu gewähren, sowohl vor dem Sozialgericht als auch vor dem Landes­so­zi­al­gericht ohne Erfolg.

Kein Anspruch auf Elterngeld für Zeitraum ohne Aufent­halt­s­er­laubnis

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Revision der Klägerin durch Teilurteil zurückgewiesen, soweit sie die Gewährung von Elterngeld bis zur Vollendung des 11. Lebensmonats der Zwillinge betrifft. Bis zum 28. Januar 2008 war die Klägerin nicht im Besitz einer Aufent­halt­s­er­laubnis, die zur Aufnahme einer Erwer­b­s­tä­tigkeit berechtigte. Die rückwirkende Erteilung einer solchen Erlaubnis ist insoweit unerheblich. Wegen des im Elterngeldrecht geltenden Lebens­mo­nats­prinzips scheidet damit ein Anspruch der Klägerin auf Elterngeld bis zum 8. Februar 2008 (Vollendung des 11. Lebensmonats der Zwillinge) aus.

Gesetzgeber stellt für Anspruch auf Elterngeld sachwidrige Kriterien auf

Für den 12. bis 14. Lebensmonat der Kinder hängen die Eltern­geldansprüche der Klägerin davon ab, ob die weiteren Regelungen des § 1 Abs. 7 Bundes­el­terngeld- und Eltern­zeit­gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Da der 10. Senat von der Verfassungswidrigkeit eines Teiles der insoweit einschlägigen Bestimmungen überzeugt ist, holt er dazu eine Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ein. Zwar darf der Gesetzgeber die Gewährung von Elterngeld an nicht freizü­gig­keits­be­rechtigte Ausländer davon abhängig machen, dass sich diese voraussichtlich auf Dauer in Deutschland aufhalten. Auch kann eine Integration in den inländischen Arbeitsmarkt eine solche Prognose begründen. Der Gesetzgeber hat jedoch jedenfalls insoweit sachwidrige Kriterien aufgestellt, als er einen aktuellen, eng umschriebenen Arbeits­ma­rktbezug während der Erziehungszeit fordert und zudem nur auf denjenigen abstellt, der Elterngeld beansprucht, also z.B. nicht eine entsprechende Integration seines Ehegatten ausreichen lässt.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 1 Bundes­el­terngeld- und Eltern­zeit­gesetz in der Fassung vom 5. Dezember 2006

(1) Anspruch auf Elterngeld hat, wer

1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,

2. mit einem Kind in einem Haushalt lebt,

3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und

4. keine oder keine volle Erwer­b­s­tä­tigkeit ausübt.

[…]

(7) Ein nicht freizü­gig­keits­be­rech­tigter Ausländer oder eine nicht freizü­gig­keits­be­rechtigte Ausländerin ist nur anspruchs­be­rechtigt, wenn diese Person

1. eine Nieder­las­sungs­er­laubnis besitzt,

2. eine Aufent­halt­s­er­laubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwer­b­s­tä­tigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufent­halt­s­er­laubnis wurde

a) nach § 16 oder § 17 des Aufent­halts­ge­setzes erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des Aufent­halts­ge­setzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäf­ti­gungs­ver­ordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des Aufent­halts­ge­setzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des Aufent­halts­ge­setzes erteilt oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufent­halt­s­er­laubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozial­ge­setzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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