21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss12.11.2009

BGH zur Erteilung von Patenten die gegen öffentliche Ordnung oder gute Sitten verstoßen würdenFragen zur Auslegung der Biopa­ten­t­richt­linien zur Vorab­ent­scheidung dem EuGH vorgelegt

Der Bundes­ge­richtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Fragen zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt. Zu klären ist die Auslegung der Biopa­ten­t­richt­linien hinsichtlich der möglichen Erteilung von Patenten, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würden.

Der beklagte Patentinhaber, Prof. Dr. Brüstle, ist Inhaber eines vom Deutschen Patent- und Markenamt erteilten Patents, das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen sowie die Verwendung der neuralen Vorläuferzellen zur Therapie von neuralen Defekten betrifft.

Patent beschreibt Weg zur Transplantation von Vorläuferzellen aus embryonalen Stammzellen

Nach den Ausführungen in der Patentschrift stellt die Transplantation von Hirnzellen in das Nervensystem eine Erfolg versprechende Methode für die Behandlung zahlreicher neurologischer Erkrankungen dar. Da ausgereifte Nervenzellen nur eine geringe Regene­ra­ti­o­ns­fä­higkeit aufwiesen, sei die Transplantation von unreifen, noch entwick­lungs­fähigen Vorläuferzellen notwendig, die jedoch in der Regel nur während der Entwicklung des Gehirns vorhanden seien. Der Rückgriff auf das Gehirngewebe von Embryonen komme jedoch bei menschlichen Embryonen schon aus ethischen Gründen nicht in Betracht. Vor diesem Hintergrund beschreibt das Patent einen Weg, auf dem für die Transplantation geeignete Zellen ("Vorläuferzellen" im Sinne des Patents) aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden können, und beansprucht Schutz für die Vorläuferzellen und das Verfahren zu ihrer Gewinnung.

Greenpeace verlangt, Patent wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten für nichtig zu erklären

Der Kläger – Greenpeace e.V. – hat beantragt, das Patent wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten für nichtig zu erklären, soweit die Patentansprüche Vorläuferzellen umfassen, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Das in erster Instanz zuständige Bunde­s­pa­tent­gericht hat der Klage überwiegend stattgegeben und das Patent für nichtig erklärt, soweit es Zellen umfasst, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden. Im genannten Umfang verstoße der Gebrauch der Erfindung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 2 des Patentgesetzes in der seit dem 28. Februar 2005 geltenden Fassung, aber auch aus der für die Auslegung dieser Vorschrift heran­zu­zie­henden Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotech­no­lo­gischer Erfindungen (im Folgenden: Richtlinie). Gegen die Entscheidung des Bunde­s­pa­tent­ge­richts hat der beklagte Patentinhaber Berufung eingelegt.

Patent, das mit Zerstörung menschlicher Embryonen einhergeht, darf laut Europäischem Patentamt nicht erteilt werden

Das für die Erteilung europäischer Patente zuständige Europäische Patentamt hat in einem ähnlich gelagerten Fall vor kurzem entschieden, dass ein europäisches Patent nach den dafür einschlägigen Vorschriften nicht für Erzeugnisse erteilt werden darf, die im Anmel­de­zeitpunkt ausschließlich durch ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig mit der Zerstörung der menschlichen Embryonen einhergeht, aus denen die Erzeugnisse gewonnen werden, selbst wenn dieses Verfahren nicht zu der durch das Patent geschützten technischen Lehre gehört (Entscheidung der Großen Beschwer­de­kammer des Europäischen Patentamts vom 25. November 2008 - G 2/06).

BGH legt EuGH Frage zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts vor

Der Bundes­ge­richtshof beabsichtigt, das Berufungs­ver­fahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) Fragen zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es nämlich auf die Auslegung des § 2 PatG an, der es verbietet, Patente für Erfindungen zu erteilen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde; insbesondere werden nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 "Patente nicht erteilt für die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken". Die richtige Auslegung dieser Vorschrift des Patentgesetzes ist wiederum davon abhängig, wie die insoweit gleichlautende Vorschrift des Art. 6 der Richtlinie auszulegen ist, die durch § 2 PatG in das deutsche Recht umgesetzt worden ist.

Begriff "menschliche Embryonen" soll geklärt werden

Der Inhalt des Art. 6 ist nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs in mehrfacher Hinsicht nicht eindeutig. Zunächst stellt sich die Frage, wie die Richtlinie den Begriff "menschliche Embryonen" definiert. Es ist insbesondere zu entscheiden, ob auch die aus der Blastozyste, einem bestimmten Entwick­lungs­stadium der befruchteten Eizelle, gewonnene Stammzelle als Embryo anzusehen ist, obwohl sie als solche nicht mehr die Fähigkeit besitzt, sich zu einem menschlichen Individuum fortzu­ent­wickeln. Gegebenenfalls wird auch zu entscheiden sein, ob die Blastozyste ihrerseits Embryo im Sinne des Gesetzes ist.

EuGH soll prüfen, ob Verwendung zu Forschungs- oder zu therapeutischen Zwecken eine "kommerzielle" Verwendung im Sinne der Richtlinie ist

Auf die letzte Frage wird es dann ankommen, wenn für eine "Verwendung von Embryonen" im Sinne der Richtlinie bereits ausreichen sollte, dass die Gewinnung der erfindungsgemäß zu verwendenden Stammzellen (die selbst nicht als Embryonen anzusehen sind) notwen­di­gerweise den "Verbrauch" von Blastozysten voraussetzt. Schließlich wird in diesem Fall die weitere Frage zu beantworten sein, ob jede gewerbsmäßige (d.h. nicht private) Verwendung im Sinne des Patentgesetzes eine "Verwendung zu industriellen oder kommerziellen Zwecken" ist, insbesondere ob auch eine Verwendung zu Forschungs­zwecken oder zu therapeutischen Zwecken eine "kommerzielle" Verwendung im Sinne des Art. 6 der Richtlinie ist.

Quelle: ra-online, BGH

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss8760

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI