23.11.2024
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Dokument-Nr. 12417

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Urteil18.10.2011Gerichtshof der Europäischen UnionC-34/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JZ 2012, 142Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 142
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil18.10.2011

EuGH: Kein patent­recht­licher Schutz für Verwendung menschlicher Embryonen bei wissen­schaft­licher ForschungVerfahren zur Entnahme von Stammzellen, das Zerstörung des Embryos nach sich zieht, ist von Patentierung auszuschließen.

Ein Verfahren, das durch die Entnahme von Stammzellen, die aus einem menschlichen Embryo im Blasto­zys­ten­stadium gewonnen werden, die Zerstörung des Embryos nach sich zieht, ist von der Patentierung auszuschließen. Die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein, aber seine Verwendung zu Zwecken der wissen­schaft­lichen Forschung ist nicht patentierbar. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Oliver Brüstle ist Inhaber eines im Dezember 1997 angemeldeten Patents, das isolierte und gereinigte neurale* Vorläu­fer­zellen** betrifft, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen hergestellt und zur Behandlung neurologischer Erkrankungen verwendet werden. Nach Angaben von Herrn Brüstle gibt es bereits klinische Anwendungen, u. a. bei Patienten, die an Parkinson erkrankt sind.

Bundespatentamt erklärt Patent teilweise für nichtig

Auf die Klage von Greenpeace e.V. hat das Bunde­s­pa­tent­gericht das Patent von Herrn Brüstle für nichtig erklärt, soweit es sich auf Verfahren bezieht, die es ermöglichen, Vorläuferzellen aus Stammzellen menschlicher Embryonen zu gewinnen.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Der Bundes­ge­richtshof, bei dem Herr Brüstle Berufung eingelegt hat, hat beschlossen, den Gerichtshof insbesondere nach der Auslegung des Begriffs „menschlicher Embryo“ zu fragen, der in der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotech­no­lo­gischer Erfindungen*** nicht definiert wird (vgl. Bundes­ge­richtshof, Beschluss v. 12.11.2009 - Xa ZR 58/07 -). Es geht um die Frage, ob der Ausschluss von der Paten­tier­barkeit des menschlichen Embryos alle Stadien des Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder ob zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, z. B., dass ein bestimmtes Entwick­lungs­stadium erreicht ist.

Jede menschliche Eizelle ist – befruchtet oder mit trans­plan­tierter ausgereifter menschlicher Zelle – als „menschlicher Embryo“ anzusehen

Bei der Prüfung des Begriffs des menschlichen Embryos betont der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst, dass er nicht dazu aufgerufen ist, auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur einzugehen, sondern sich darauf zu beschränken hat, die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie juristisch auszulegen. So lassen der Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie erkennen, dass der Unions­ge­setzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte. Daraus folgt, dass der Begriff des menschlichen Embryos weit auszulegen ist. Insofern ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo“ anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Das Gleiche gilt für die unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist oder die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiter­ent­wicklung angeregt worden ist. Selbst wenn diese Organismen genau genommen nicht befruchtet worden sind, sind sie infolge der zu ihrer Gewinnung verwendeten Technik ebenso wie der durch Befruchtung einer Eizelle entstandene Embryo geeignet, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.

Nationales Gericht muss klären, ob gewonnenen Stammzellen unter festgelegte Definition menschlicher Embryos fallen

Zu Stammzellen, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der Blastozyste**** gewonnen werden – und auf die sich die Erfindung bezieht, um die es in dem Patent von Herrn Brüstle geht –, stellt der Gerichtshof fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie geeignet sind, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, und folglich unter den Begriff des menschlichen Embryos fallen.

Wissen­schaftliche Forschung, die Verwendung menschlicher Embryonen voraussetzt, kann keinen patent­recht­lichen Schutz erlangen

Anschließend geht der Gerichtshof der Frage nach, ob der Begriff der als nicht patentierbar geltenden „Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“ auch die Verwendung zu Zwecken der wissen­schaft­lichen Forschung umfasst. So bemerkt er zu der zuletzt genannten Verwendung, dass die Erteilung eines Patents für eine Erfindung grundsätzlich deren industrielle oder kommerzielle Verwertung einschließt. Selbst wenn das Ziel der wissen­schaft­lichen Forschung von industriellen oder kommerziellen Zwecken unterschieden werden muss, kann die Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungs­zwecken, die Gegenstand der Patentanmeldung wäre, nicht vom Patent selbst und den daran geknüpften Rechten getrennt werden. Deswegen kann die Verwendung menschlicher Embryonen zur wissen­schaft­lichen Forschung, die Gegenstand einer Patentanmeldung ist, nicht von einer industriellen und kommerziellen Verwertung getrennt werden und dadurch dem Ausschluss von der Patentierung entgehen. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass wissen­schaftliche Forschung, die die Verwendung menschlicher Embryonen voraussetzt, keinen patent­recht­lichen Schutz erlangen kann. Er weist jedoch darauf hin, dass die Paten­tier­barkeit der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken nach der Richtlinie nicht verboten ist, wenn sie die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken betrifft, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist – z. B. um eine Missbildung zu beheben und die Überle­ben­s­chancen des Embryos zu verbessern.

Erfindung, die Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangs­ma­terial erfordert, nicht patentierbar

Schließlich antwortet der Gerichtshof auf die Frage nach der Paten­tier­barkeit einer Erfindung, die die Herstellung neuraler Vorläuferzellen betrifft. Er führt aus, dass diese zum einen die Verwendung von Stammzellen voraussetzt, die aus einem menschlichen Embryo im Blasto­zys­ten­stadium gewonnen werden, und dass zum anderen die Entnahme die Zerstörung dieses Embryos nach sich zieht. Würde eine solche beanspruchte Erfindung nicht von der Patentierung ausgeschlossen, hätte dies zur Folge, dass der Patentanmelder den Ausschluss von der Patentierung durch eine geschickte Abfassung des Anspruchs umgehen könnte. Folglich ist eine Erfindung nicht patentierbar, wenn die Anwendung des Verfahrens die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangs­ma­terial erfordert, selbst wenn bei Beantragung des Patents in der Beschreibung dieses Verfahrens, wie im vorliegenden Fall, die Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird.

1 Neurale Zellen werden definiert als unreife Zellen, die die Fähigkeit haben, reife Zellen des Nervensystems zu bilden, beispielsweise Neurone. 2 Unter Vorläuferzellen sind unreife Körperzellen zu verstehen, die sich noch vermehren können. Vorläuferzellen haben die Fähigkeit, sich zu bestimmten ausgereiften Körperzellen weiter zu entwickeln und auszu­dif­fe­ren­zieren. 3 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotech­no­lo­gischer Erfindungen (ABl. L 213, S. 13).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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