24.11.2024
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Dokument-Nr. 9905

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Bundesgerichtshof Urteil06.07.2010

BGH: Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos nicht strafbarDiagnostik mindert schwerwiegende Gefahren eines möglichen Schwan­ger­schafts­ab­bruchs aufgrund einer Behinderung des Kindes

Die Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik bei Embryonen, die aus künstlicher Befruchtung entstanden sind, ist zulässig und nicht strafbar, um schwere genetische Schäden auszuschließen. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Im zugrunde liegenden Fall hat das Landgericht Berlin den Angeklagten, einen Frauenarzt mit dem Schwerpunkt Kinder­wun­sch­be­handlung, vom Vorwurf einer dreifachen strafbaren Verletzung des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes freigesprochen.

Sachverhalt

In den Jahren 2005 und 2006 wandten sich drei Paare mit dem Ziel einer extrakorporalen Befruchtung an den Angeklagten. In allen Fällen wies einer der Partner genetische Belastungen auf. Aufgrund dessen bestand die Gefahr, dass auch die erzeugten Embryonen genetisch belastet sein würden, was einen Abort, eine Totgeburt, ein Versterben des Neugeborenen nach der Geburt oder die Geburt eines schwerkranken Kindes hochwahr­scheinlich machte. Im Hinblick auf die Gefahrenlage und dem Wunsch seiner Patienten entsprechend führte der Angeklagte jeweils eine so genannte Präim­plan­ta­ti­o­ns­dia­gnostik (im Folgenden: PID) an pluripotenten, d.h. nicht zu einem lebensfähigen Organismus entwick­lungs­fähigen Zellen durch. Die Untersuchung diente dem Zweck, nur Embryonen ohne genetische Anomalien übertragen zu können. Dies geschah in allen Fällen. Embryonen mit festgestellten Chromo­so­me­n­a­n­omalien wurden hingegen nicht weiter kultiviert und starben in der Folge ab.

Bundes­ge­richtshof bestätigt Freispruch des Arztes durch Landgericht

Der Bundes­ge­richtshof hat das freisprechende Urteil des Landgerichts bestätigt und die Revision der Staats­an­walt­schaft demgemäß verworfen. Das Gericht ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG (missbräuchliche Anwendung von Fortpflan­zungs­techniken) und § 2 Abs. 1 ESchG (missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen) nicht verletzt hat.

Kein Verbot einer PID dem zu würdigenden Willen des historischen Gesetzgebers entnehmbar

Aus den genannten Straf­be­stim­mungen kann nicht mit der im Strafrecht erforderlichen Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) ein Verbot der bei Erlass des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes im Jahr 1990 erst im Ausland entwickelten PID abgeleitet werden, die den Embryo nach derzeitigem medizinisch-natur­wis­sen­schaft­lichem Kenntnisstand überdies nicht schädigt. Das Vorgehen des Angeklagten verstößt weder gegen den Wortlaut noch gegen den Sinn des Gesetzes. Dem bei jeder Geset­zes­aus­legung zu würdigenden Willen des historischen Gesetzgebers lässt sich ein Verbot einer solchen PID, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, nicht entnehmen.

Embry­o­nen­schutz­ge­setzes sieht in ähnlicher Weise Ausnahme vom Verbot der Geschlechtswahl durch Verwendung ausgewählter Samenzellen bei Risiko einer geschlechts­ge­bundenen Erbkrankheit vor

Dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor Missbräuchen läuft die PID nicht zuwider. Das Embryonenschutzgesetz erlaubt die extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne weitere Einschränkungen. Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, birgt hohe Risiken in sich; vor allem ist zu besorgen, dass sich die Schwangere im weiteren Verlauf nach einer ärztlicherseits angezeigten und mit denselben Diagno­se­me­thoden durchgeführten Präna­ta­l­dia­gnostik, hinsichtlich derer eine ärztliche Aufklä­rungs­pflicht besteht, für einen Schwan­ger­schafts­abbruch entscheidet. Die PID ist geeignet, solch schwerwiegende Gefahren zu vermindern. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sie verboten hätte, wenn sie bei Erlass des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes schon zur Verfügung gestanden hätte. Dagegen spricht auch eine Wertent­scheidung, die der Gesetzgeber in § 3 Satz 2 des Embry­o­nen­schutz­ge­setzes getroffen hat. Dort ist eine Ausnahme vom Verbot der Geschlechtswahl durch Verwendung ausgewählter Samenzellen normiert worden. Mit dieser Regelung ist der aus dem Risiko einer geschlechts­ge­bundenen Erbkrankheit des Kindes resultierenden Konfliktlage der Eltern Rechnung getragen worden, die letztlich in einen Schwan­ger­schafts­abbruch einmünden kann. Eine gleichgelagerte Konfliktlage hat in den zu beurteilenden Fällen bestanden.

Keine Möglichkeit zur Auswahl von Embryonen zur Geburt von "Wunschtochter" oder "Wunschsohn"

Der Bundes­ge­richtshof hat betont, dass Gegenstand seiner Entscheidung nur die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden zur Verminderung der genannten Gefahren im Rahmen der PID sei. Einer unbegrenzten Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale, etwa die Auswahl von Embryonen, um die Geburt einer "Wunschtochter" oder eines "Wunschsohnes" herbeizuführen, wäre damit nicht der Weg geöffnet.

§ 1 Abs1 Nr. 2 ESCHG lautet:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

2.es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, …

§ 2 Abs.1 ESchG lautet:

(1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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