18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil15.09.2010

Elternunterhalt – Heranziehung des unter­halts­pflichtigen Kindes durch den Sozia­l­hil­fe­trägerAusschluss des Anspruchs­übergangs auf Sozia­l­hil­fe­träger bleibt auf Ausnahmefälle beschränkt

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Sozia­l­hil­fe­träger, der einem im Heim lebenden Elternteil Sozia­l­leis­tungen erbracht hat, von dessen Kindern eine Erstattung seiner Kosten verlangen kann.

Die Klägerin, Trägerin der öffentlichen Hilfe, nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt für seine 1935 geborene Mutter in Anspruch. Die Mutter, die sich seit April 2005 in einem Pflegeheim befindet, litt schon während der Kindheit des Beklagten an einer Psychose mit schizophrener Symptomatik und damit einhergehend an Antrie­bs­schwäche und Wahnideen. Sie hat den Beklagten nur bis zur Trennung und Scheidung von ihrem damaligen Ehemann im Jahr 1973 - mit Unterbrechungen wegen zum Teil längerer stationärer Kranken­haus­auf­enthalte - versorgt. Seit spätestens 1977 besteht so gut wie kein Kontakt mehr zwischen dem Beklagten und seiner Mutter.

Beklagter hält Aufkommen für den Unterhalt der Mutter für unbillige Härte

Der Beklagte wendet zum einen Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung des Unter­halts­an­spruchs durch den Sozia­l­hil­fe­träger und u. a. wegen Fehlverhaltens seiner Mutter ein. Da sie ihn als Kind nie gut behandelt habe, würde es zum anderen eine unbillige Härte bedeuten, wenn er gegenüber dem Sozia­l­hil­fe­träger kraft Rechtsübergangs für den Unterhalt der Mutter aufkommen müsste.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlan­des­gericht den Beklagten im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte Abweisung der Klage.

Unter­halts­an­spruch ist nicht verwirkt

Die Revision des Beklagten blieb erfolglos. Der Unterhaltsanspruch ist nicht verwirkt. Eine Verwirkung wegen verspäteter Geltendmachung scheitert bereits am hier nicht erfüllten Zeitmoment, wonach der Gläubiger seinen Anspruch nur dann verliert, wenn er sein Recht längere Zeit - mindestens ein Jahr - nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre. Hier hat sich die Behörde durchgängig um die Realisierung des auf sie übergangenen Unter­halts­an­spruchs bemüht. Deshalb durfte sich der Beklagte auch nicht darauf einrichten, dass die Klägerin ihr Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (so genanntes Umstandsmoment).

Psychische Erkrankung kann nicht Anspruchs­verluste zur Folge haben

Weiter entschied das Gericht, dass eine psychische Erkrankung, die dazu geführt hat, dass der pflege­be­dürftige Elternteil der früheren Unter­halts­ver­pflichtung seinem Kind gegenüber nicht gerecht werden konnte, nicht als ein schuldhaftes Fehlverhalten im Sinne des § 1611 BGB mit der Konsequenz eines Anspruchs­ver­lustes betrachtet werden kann.

Als schick­sals­bedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter rechtfertigt keine Übertragung der Unterhaltslast auf den Staat

Wegen der vom Gesetz geforderten familiären Solidarität rechtfertigen die als schick­sals­bedingt zu qualifizierende Krankheit der Mutter und deren Auswirkungen auf den Beklagten es nicht, die Unterhaltslast dem Staat aufzubürden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Lebens­sach­verhalt auch soziale bzw. öffentliche Belange beinhaltet. Das ist u. a. der Fall, wenn ein erkennbarer Bezug zu einem Handeln des Staates vorliegt. Eine solche Konstellation lag der Senat­s­ent­scheidung vom 21. April 2004 (Aktenzeichen: XII ZR 251/01) zugrunde, in der die psychische Erkrankung des unter­halts­be­rech­tigten Elternteils und die damit einhergehende Unfähigkeit, sich um sein Kind zu kümmern, auf seinem Einsatz im zweiten Weltkrieg beruhte. Soziale Belange, die einen Übergang des Unter­halts­an­spruchs auf die Behörde ausschließen, können sich auch aus dem sozia­l­hil­fe­recht­lichen Gebot ergeben, auf die Interessen und Beziehungen in der Familie Rücksicht zu nehmen. Der Ausschluss des Anspruchs­übergangs auf den Sozia­l­hil­fe­träger bleibt damit auf Ausnahmefälle beschränkt.

Erläuterungen
Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 1611 BGB (Beschränkung oder Wegfall der Verpflichtung)

(1) Ist der Unter­halts­be­rechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unter­halts­pflicht gegenüber dem Unter­halts­pflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unter­halts­pflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unter­halts­pflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

[...]

§ 94 SGB XII (Übergang von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unter­halts­pflichtigen)

(1) Hat die leistungs­be­rechtigte Person für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, nach bürgerlichem Recht einen Unter­halts­an­spruch, geht dieser bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unter­halts­recht­lichen Auskunfts­an­spruch auf den Träger der Sozialhilfe über. […]

(2) […]

(3) Ansprüche nach Absatz 1 und 2 gehen nicht über, soweit

1. [ … ]

2. der Übergang des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde.

[…]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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