12.12.2024
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Sie sehen die Silhouette eines alten Mannes im Rollstuhl mit seiner verblasten Familie im Hintergrund und einigen Geldscheinen davor.

Dokument-Nr. 34613

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Beschluss23.10.2024BundesgerichtshofXII ZB 6/24
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Rheinberg, Beschluss04.04.2023, 9a F 76/22
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss04.12.2023, 3 UF 78/23
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss23.10.2024

Bundes­ge­richtshof korrigiert Einkom­mens­grenze beim ElternunterhaltBundes­ge­richtshof zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts beim Elternunterhalt

Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat sich erneut mit der Frage befasst, in welchem Umfang Kinder im Rahmen ihrer Leistungs­fä­higkeit (§ 1603 Abs. 1 BGB) zu Unter­halts­leis­tungen für ihre Eltern herangezogen werden können.

Der Antragsteller ist Sozia­l­hil­fe­träger. Er nimmt den Antragsgegner aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2020 auf Elternunterhalt für dessen pflege­be­dürftige Mutter in Anspruch. Die 1940 geborene Mutter lebt in einer vollstationären Pflege­ein­richtung und kann die Kosten ihrer Heimun­ter­bringung mit ihrer Sozia­l­ver­si­che­rungsrente und den Leistungen der gesetzlichen Pflege­ver­si­cherung nicht vollständig decken. Der Antragsteller erbrachte für sie im genannten Zeitraum Sozia­l­hil­fe­leis­tungen in monatlicher Höhe von rund 1.500 €. Der Antragsgegner ist verheiratet und bewohnte im fraglichen Zeitraum mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und zwei volljährigen Kindern ein den Ehegatten gehörendes Einfamilienhaus. Das Jahres­brut­to­ein­kommen des Antragsgegners belief sich im Jahr 2020 auf gut 133.000 €.

Bisheriger Verfah­rens­verlauf

Das Amtsgericht hat den auf Zahlung von 7.126 € gerichteten Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde des Antragstellers ist vor dem Oberlan­des­gericht ohne Erfolg geblieben. Das Oberlan­des­gericht hat das Bruttoeinkommen des Antragsgegners um Steuern und Sozialabgaben, Unter­halts­pflichten für eines der volljährigen Kinder, berufsbedingte Aufwendungen, Versicherungen sowie Alters­vor­sor­ge­auf­wen­dungen bereinigt und die unter­halts­re­le­vanten Nettoeinkünfte des Antragsgegners mit Monatsbeträgen zwischen 5.451 € und 6.205 € ermittelt. Auf dieser Grundlage hat es den Antragsgegner für nicht leistungsfähig gehalten. Denn der Mindest­selbst­behalt beim Elternunterhalt müsse sich nun mit Blick auf § 94 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB XII an dem Nettobetrag orientieren, der sich überschlägig aus einem Jahres­brut­to­ein­kommen von 100.000 € nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben errechnen lasse, so dass ein Mindest­selbsthalt von 5.000 € für Alleinstehende und ein Famili­en­min­dest­selbst­behalt von 9.000 € für Verheiratete als angemessen anzusehen sei.

BGH hebt Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts auf

Der Bundes­ge­richtshof hat die angefochtene Entscheidung auf die Rechts­be­schwerde des Antragstellers aufgehoben und die Sache an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen.

Zivil­recht­licher Unter­halts­an­spruch nicht nach sozia­l­hil­fe­recht­lichen Paramatern zu bemessen

Die vom Oberlan­des­gericht für angemessen erachtete Ausrichtung des Mindest­selbst­behalts an der Einkom­mens­grenze des durch das Angehörigen-Entlas­tungs­gesetz vom 10. Dezember 2019 eingeführten § 94 Abs. 1a SGB XII beruht auf einem unter­halts­rechtlich systemfremden Bemes­sungs­ansatz, der rechts­feh­lerhaft ist und in dieser Form auch nicht mit gesetzlichen Wertungen gerechtfertigt werden kann.

Nach § 94 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB XII ist der Anspruchs­übergang auf Sozia­l­hil­fe­träger gegenüber solchen Kindern ausgeschlossen, deren steuer­recht­liches Jahres­brut­to­ein­kommen 100.000 € nicht überschreitet. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, die bürgerlich-rechtlichen Unter­halts­pflichten der Kinder gegenüber ihren hilfebedürftig gewordenen Eltern zu ändern. Der Umfang der sozia­l­hil­fe­recht­lichen Rückgriffs­mög­lich­keiten kann grundsätzlich nicht für den Umfang der zivil­recht­lichen Unter­halts­pflicht maßgeblich sein. Denn der Regress (und der Verzicht darauf) knüpfen gerade an das Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Unter­halts­an­spruchs an. Dem Angehörigen-Entlas­tungs­gesetz kann deshalb keine gesetz­ge­be­rische Wertung entnommen werden, die gebieten würde, den unter­halts­pflichtigen Kindern Freibeträge zu gewähren, mit denen der zivilrechtliche Unter­halts­an­spruch der Eltern gegenüber Kindern mit einem Jahres­brut­to­ein­kommen von 100.000 € schon im Vorfeld des Regress­ver­zichts regelmäßig an der mangelnden unter­halts­recht­lichen Leistungs­fä­higkeit scheitern müsste.

Überschreitet das unter­halts­pflichtige Kind die Jahres­ein­kom­mens­grenze des § 94 Abs. 1a Satz 1 SGB XII, gehen nach dem eindeutigen Geset­zes­wortlaut die gesamten Unter­halts­ansprüche des Elternteils nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozia­l­hil­fe­träger über (und nicht nur der Teil, der sich auf das über 100.000 € liegende Einkommen bezieht). Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er dies anordnen können, wovon er aber abgesehen hat. Der vom Oberlan­des­gericht für angemessen angesehene Mindest­selbst­behalt von 5.000 € für Alleinlebende bzw. von 9.000 € für Verheiratete würde schon allein wegen der großzügigen unter­halts­recht­lichen Maßstäbe bei der Vorweg­be­rei­nigung des Nettoeinkommens um Alters­vor­sor­ge­auf­wen­dungen des unter­halts­pflichtigen Kindes faktisch zu einer ganz erheblichen und so ersichtlich nicht intendierten Erhöhung der den Unter­halts­rü­ckgriff ausschließenden Jahres­ein­kom­mens­grenze von 100.000 € führen.

Jeder Einkom­mens­grenze ist immanent, dass die Normadressaten, die sie (knapp) verfehlen, dadurch von einer gewissen Härte betroffen sind. Eine darüber­hin­aus­gehende Härte beim Unter­halts­rü­ckgriff auf besonders gutverdienende Kinder hat der Bundes­ge­richtshof auch in den sogenannten Geschwis­ter­fällen verneint.

OLG Düsseldorf muss neu über Elternunterhalt entscheiden

Für das weitere Verfahren hat der Bundes­ge­richtshof zum einen klargestellt, dass die in den Leitlinien einiger Oberlan­des­ge­richte über das Jahr 2020 hinaus fortge­schriebenen Mindest­selbsthalte - zuletzt 2.650 € für das Jahr 2024 - derzeit keinen rechtlichen Bedenken begegnen. An der vom Gesetzgeber durch das Angehörigen-Entlas­tungs­gesetz geschaffenen Rechtslage muss auch das Unterhaltsrecht nicht vollständig vorbeigehen, so dass es künftig aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein dürfte, wenn dem unter­halts­pflichtigen Kind nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlas­tungs­ge­setzes ein über die Hälfte hinausgehender Anteil - etwa 70 % - des seinen Mindest­selbst­behalt übersteigenden bereinigten Einkommens zusätzlich belassen wird.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/pt)

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