18.10.2024
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Dokument-Nr. 18550

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Beschluss19.03.2014BundesgerichtshofXII ZB 511/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • MDR 2014, 675Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2014, Seite: 675
  • NJW-RR 2014, 577Zeitschrift: NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (NJW-RR), Jahrgang: 2014, Seite: 577
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Bundesgerichtshof Beschluss19.03.2014

BGH: Vor dem 31.12.2006 formell rechtskräftig abgeschlossenes Umgangs­ver­fahren schließt Wiederaufnahme des Verfahrens nach Entscheidung des EGMR ausStich­tags­re­gelung des § 35 EGZPO ist auf Kinds­chafts­sachen anzuwenden

Ist ein Umgangs­ver­fahren vor dem 31. Dezember 2006 formell rechtskräftig abgeschlossen worden, so kann das Verfahren wegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht nach § 580 Nr. 8 ZPO wieder aufgenommen werden. Denn insofern gilt die Stich­tags­re­gelung des § 35 EGZPO. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden.

In dem zugrunde liegenden Fall ging eine verheirate Frau mit einem Mann eine Affäre ein. Diese ging von Mai 2002 bis Oktober 2003. Im Juni 2003 wurde die Frau schwanger und gebar daraufhin im März 2004 einen Sohn. Der Mann war nunmehr der Meinung er sei der Vater des Kindes und verlangte ein Umgangsrecht. Da ihm dies von der Frau verweigert wurde, strengte er ein Gerichts­ver­fahren an. Sein Antrag auf Umgang mit dem Kind wurde aber sowohl vom Amtsgericht Fulda als auch vom Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 9. Februar 2006 zurückgewiesen. Im September 2006 erhob er vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht Verfas­sungs­be­schwerde, welche aber erfolglos blieb. Er legte daher beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Indivi­du­al­be­schwerde ein. Der EGMR bejahte im September 2011 eine Verletzung des Art. 8 EMRK und verurteilte Deutschland unter anderem zur Zahlung eines Schadenersatzes von 5.000 Euro. Aufgrund des Urteils des EGMR beantragte der Vater des Kindes nunmehr die Wideraufnahme des Umgangs­ver­fahrens.

Oberlan­des­gericht hielt Wiederaufnahme für zulässig

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main hielt die Wiederaufnahme des Umgangs­ver­fahrens gemäß § 580 Nr. 8 ZPO für zulässig und gab dem Antrag des Kindsvaters daher statt. Der Wiederaufnahme habe nicht der § 35 EGZPO entge­gen­ge­standen, wonach Verfahren die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen wurden, nicht wieder­auf­ge­nommen werden dürfen. Zwar sei das Umgangs­ver­fahren mit Beschluss vom 9. Februar 2006 zumindest formell rechtskräftig abgeschlossen worden, jedoch sei zu beachten gewesen, dass Entscheidungen in Kinds­chafts­sachen eine Dauerwirkung entfalten. Da sie gemäß § 1696 BGB jederzeit abänderbar seien, können sie nicht materiell rechtskräftig werden. Die Fürsorge gegenüber einem minderjährigen Kind habe stets Vorrang vor der Endgültigkeit einer getroffenen Entscheidung. Zudem habe nicht außer Acht bleiben dürfen, dass Deutschland seine völker­recht­lichen Verpflichtungen nachkommen muss. Wozu auch die Beachtung der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (EMRK) und der dazugehörigen Entscheidungen des EGMR gehören. Gegen diese Entscheidung legte die Mutter des Kindes Rechts­be­schwerde ein.

Bundes­ge­richtshof verneinte Wiederaufnahme

Der Bundes­ge­richtshof entschied zu Gunsten der Kindsmutter und hob daher die Entscheidung der Vorinstanz auf. Die Wiederaufnahme des Umgangs­ver­fahrens gemäß § 580 Nr. 8 ZPO habe entgegenstanden, dass das Verfahren vor dem 31. Dezember 2006 abgeschlossen war. § 35 EGZPO gelte auch für das Umgangs­ver­fahren. Unerheblich sei dabei, dass Entscheidungen im Umgangsrecht nicht materiell rechtskräftig werden.

Formelle Rechtskraft des Umgangs­ver­fahrens stand Wiederaufnahme entgegen

Die formelle Rechtskraft des Umgangs­ver­fahrens habe der Wiederaufnahme entge­gen­ge­standen, so der Bundes­ge­richtshof weiter. Formell rechtskräftig sei das Umgangs­ver­fahren durch die Entscheidung im Februar 2006 und somit vor dem 31. Dezember 2006 geworden. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang die Verfassungs- und Indivi­du­al­be­schwerde gewesen, da diese die formelle Rechtskraft nicht verzögert haben. Vielmehr setzen beide Beschwerden die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung voraus.

Stich­tags­re­gelung verhindert unzulässige Rückwirkung

Darüber hinaus sei nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs zu berücksichtigen gewesen, dass ohne die Vorschrift des § 35 EGZPO die Gefahr eines Eingriffs in bereits abgeschlossene Sachverhalte besteht. Eine solche rückwirkenden Anwendung der neuen Vorschrift des § 580 Nr. 8 ZPO sei aber unzulässig.

Kein Verstoß gegen völker­rechtliche Verpflichtungen

Der Bundes­ge­richtshof sah in der Ablehnung der Wiederaufnahme auch keinen Verstoß gegen völker­rechtliche Verpflichtungen. Insofern verwies der Gerichtshof darauf, dass die Einführung des Wieder­auf­nah­me­grundes nach § 580 Nr. 8 ZPO weder aufgrund der Rechtsprechung des EGMR noch wegen der EMRK verpflichtend war. Somit sei es nicht zu beanstanden gewesen, den nicht zwingend erforderlichen Wieder­auf­nah­megrund einzuschränken.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)

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