18.10.2024
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Bundesgerichtshof Beschluss23.11.2016

BGH zu den Voraussetzungen für familien­gerichtliche Weisungen bei Gefährdung des Kindeswohls

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen das Familiengericht Eltern eines minderjährigen Kindes und Dritten Weisungen zum Schutz des Kindes erteilen kann.

Die allein sorge­be­rechtigte Mutter des zugrunde liegenden Verfahrens zog Mitte 2015 mit ihrer damals siebenjährigen Tochter in den Haushalt ihres Lebensgefährten ein. Dieser war in den Jahren 2000 und 2004 wegen mehrerer Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in einem davon in Tateinheit mit Vergewaltigung, rechtskräftig verurteilt worden und hatte deshalb eine vierein­halb­jährige Freiheitsstrafe bis Dezember 2009 vollständig verbüßt. Im Rahmen der anschließend angeordneten und bis Februar 2016 dauernden Führungs­aufsicht war ihm im April 2015 verboten worden, zu Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts Kontakt aufzunehmen, außer in Begleitung und unter Aufsicht eines Sorge­be­rech­tigten. Ferner war er im Jahr 2012 wegen Besitzes von kinder- und jugend­por­no­gra­phischen Schriften und im Jahr 2013 wegen Nachstellung rechtskräftig verurteilt worden.

OLG lässt Umgang des Kindes mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten unter Auflagen zu

Auf Anregung des Jugendamts hat das Amtsgericht im Juli 2015 der Mutter Teile des Sorgerechts entzogen und insoweit das Jugendamt als Ergän­zungs­pfleger bestellt. Auf dessen Veranlassung wohnte das Kind dann zunächst bei einer befreundeten Familie und anschließend in einem Kinderhaus. Das Oberlan­des­gericht hat auf die Beschwerde der Mutter die Wirksamkeit dieses Beschlusses im September 2015 ausgesetzt und der Mutter sowie dem Lebensgefährten Weisungen erteilt. Der Mutter hat es untersagt, das Kind ohne ihre gleichzeitige Anwesenheit mit dem Lebensgefährten verkehren zu lassen und zwischen 22 Uhr und 8 Uhr den Aufenthalt des Kindes in derselben Wohnung wie der Lebensgefährte zuzulassen. Gegen den Lebensgefährten hat es entsprechende Verbote ausgesprochen. Ferner hat es der Mutter aufgegeben, jederzeit unangekündigte Besuche des Jugendamts oder vom Jugendamt hiermit beauftragter Personen zu gestatten. Das Mädchen ist daraufhin in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt. Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Oberlan­des­gericht dann die Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und die bereits ausgesprochenen Weisungen wiederholt. Die Voraussetzungen eines (teilweisen) Sorge­rechts­entzugs lägen zwar nicht vor. Angesichts einer bei dem Lebensgefährten sachverständig festgestellten 30 prozentigen Rückfa­ll­wahr­schein­lichkeit seien aber die angeordneten Ge- und Verbote erforderlich.

Familiengericht hat zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen zu treffen

Die hiergegen eingelegte Rechts­be­schwerde der Mutter, mit der sie den Wegfall der Ge- und Verbote anstrebte, blieb ohne Erfolg. Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB* hat das Familiengericht die zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen zu treffen, zu deren Abwendung die sorge­be­rech­tigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrschein­lichkeit zu erwarten ist. An die Wahrschein­lichkeit des Schaden­s­ein­tritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender der drohende Schaden ist. Die Annahme einer hinreichenden Wahrschein­lichkeit muss allerdings in jedem Fall auf konkreten Verdachts­mo­menten beruhen. Außerdem muss der drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Selbst bei hoher Wahrschein­lichkeit des Eintritts eines nicht erheblichen Schadens sind Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt. In solchen Fällen ist dem elterlichen Erziehungs- und Gefahr­ab­wen­dungs­primat der Vorrang zu geben. Ist eine Kindes­wohl­ge­fährdung in diesem Sinne festgestellt, hat das Gericht regelmäßig aus einer Vielzahl grundsätzlich möglicher Maßnahmen nach seinem Ermessen die gebotene Auswahl zu treffen.

OLG bejaht erhebliche Gefahr des Kindeswohls

Danach hat das Oberlan­des­gericht zu Recht die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB bejaht. Es hat mit sachver­ständiger Hilfe eine zwar nicht überwiegende, aber durchaus erhebliche Gefahr festgestellt, dass der Lebensgefährte gegenüber dem Kind in ähnlicher Weise übergriffig wird wie in den Fällen, die seinen Verurteilungen in den Jahren 2000 und 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zugrunde lagen. Die darauf fußende Annahme, wegen des dem Kind drohenden schwerwiegenden Schadens, der mit einem sexuellen Missbrauch verbunden wäre, bestehe eine hinreichende Wahrschein­lichkeit für eine erhebliche Schädigung, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Angeordnete Maßnahmen zur Abwehr der Kindes­wohl­ge­fährdung verhältnismäßig und zumutbar

Auch die einzelnen Maßnahmen sind rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit sie einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Kindesmutter und ihres Lebensgefährten bedeuten, sind sie in § 1666 Abs. 3 und 4 BGB ausdrücklich benannt oder den dort aufgezählten Maßnahmen vergleichbar. Die erteilten Weisungen genügen zudem dem stets zu beachtenden - und für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666 a BGB** ausdrücklich geregelten - Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz. Sie sind also zur Abwehr der Kindes­wohl­ge­fährdung auf der Grundlage der vom Oberlan­des­gericht getroffenen Feststellungen geeignet, erforderlich und den Beteiligten auch zumutbar. Entgegen der Auffassung der Rechts­be­schwerde kann insbesondere dem 13-jährigen Bruder des Mädchens nicht angesonnen werden, durch seine ständige Anwesenheit die Ge- und Verbote zu ersetzen. Ebenso können technische Maßnahmen wie eine akustische Überwachung des Kinderzimmers mittels eines Babyphones oder eines Signals beim Öffnen der Tür zum Kinderzimmer keine hinreichende Sicherung bewirken. Angesichts der schweren möglichen Folgen eines nur einmaligen Missbrauchs sind die getroffenen Maßnahmen auch im Hinblick auf die erhebliche Beein­träch­tigung der Lebensführung der Mutter, des Kindes und des Lebensgefährten und unter Berück­sich­tigung des festgestellten Grades der Rückfallgefahr zumutbar.

*§ 1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Erläuterungen
(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) [...]

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesund­heits­fürsorge in Anspruch zu nehmen,

2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,

3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,

4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,

5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,

6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

§ 1666 a BGB Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit; Vorrang öffentlicher Hilfen

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungs­ei­gentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.

(2) [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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