15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen einen Gerichtshammer, der auf verschiedenen Geldscheinen liegt.

Dokument-Nr. 9327

Drucken
Urteil09.03.2010BundesgerichtshofXI ZR 93/09
Vorinstanzen:
  • Landgericht Düsseldorf, Urteil29.07.2008, 8 O 418/07
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil09.03.2009, I-9 U 171/08
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil09.03.2010

BGH: Brokerfirma haftet bei mangelnder Risiko­auf­klärung und vorsätzlich sittenwidriger SchädigungChancenlose Börsen­ter­min­ge­schäfte billigend in Kauf genommen

Eine deutsche Anlegerin hat Anspruch auf Schadensersatz von einer Brokerfirma mit Sitz im US-Bundesstaat New Jersey wegen Verlusten aus Optio­ns­ge­schäften an US-amerikanischen Börsen. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Die Beklagte stand mit einem in Deutschland ansässigen Termi­n­op­ti­o­ns­ver­mittler in vertraglichen Beziehungen, nach denen der Vermittler gegen Entgelt über die Beklagte für von ihm angeworbene Kunden Termingeschäfte an amerikanischen Terminmärkten durchführen konnte.

Sachverhalt

Die Klägerin schloss im Jahr 2003 mit dem Vermittler einen Geschäfts­be­sor­gungs­vertrag über die Durchführung von Börsen­ter­min­ge­schäften. Danach fielen für die Tätigkeit des Vermittlers und der Beklagten umfangreiche Gebühren und Gewinn­be­tei­li­gungen an. Die Klägerin beantragte mittels eines ihr vom Vermittler vorgelegten Vertrags­for­mulars bei der Beklagten die Einrichtung eines Einzelkontos und zahlte nach dessen Eröffnung darauf im Dezember 2003 einen Betrag von 6.000 € ein. In der Folgezeit tätigte der Vermittler bis zu Einstellung seiner Geschäft­s­tä­tigkeit im November 2005 für die Klägerin zahlreiche Geschäfte, wobei er die Orders nebst den Provisionen in die ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Online-Plattform eingab, auf der die Transaktionen ohne Kontrolle der Beklagten vollautomatisch durchgeführt wurden. Nach Beendigung der Geschäfts­be­ziehung erhielt die Klägerin im Jahr 2006 einen Betrag in Höhe von 205,01 € zurück. Die Differenz zum eingezahlten Kapital nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Kosten macht sie mit ihrer nicht auf vertragliche, sondern ausschließlich auf deliktische Ansprüche gestützten Klage geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungs­gericht hat ihr – bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen – stattgegeben. Die Revision der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Mögliche Schädigung der Klägerin leichtfertig in Kauf genommen

Der Bundes­ge­richtshof hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die geltend gemachten deliktischen Ansprüche bejaht und die Auffassung des Berufungs­ge­richts bestätigt, dass die Beklagte der Klägerin wegen Beteiligung an einer durch den Vermittler begangenen vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung schaden­s­er­satz­pflichtig ist (§§ 830, 826 BGB). Der Vermittler hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, indem er für sie Termingeschäfte ausgeführt hat, die aufgrund der Gebüh­ren­struktur von vornherein praktisch chancenlos gewesen sind. An diesem sittenwidrigen Geschäftsmodell des Vermittlers, das auf die Ausnutzung des Gewinnstrebens und Leichtsinns uninformierter und leichtgläubiger Geschäfts­partner ausgerichtet gewesen ist, hat die geschäft­s­er­fahrene und über die hohe Missbrauchs­gefahr bei der Vermittlung von Termi­n­op­ti­o­ns­ge­schäften unterrichtete Beklagte sich dadurch beteiligt, dass sie dem Vermittler über ihr automatisches Online-System den von ihr nicht kontrollierten Zugang zur New Yorker Börse ermöglicht hat. Dabei hat sie zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Vermittler die Klägerin zur von vornherein chancenlosen Börsen­ter­min­ge­schäften veranlasst hat. Die Beklagte hat in einem solchen Maß leichtfertig gehandelt, dass sie die von ihr als möglich erkannte Schädigung der Klägerin in Kauf genommen haben muss. Sie hat das Geschäftsmodell des Vermittlers nicht vorab geprüft, sondern ihm den Zugang zu ihrem vollau­to­ma­tischen Online-System von vornherein ohne alle Kontroll­maß­nahmen eröffnet und ihm durch die Vertrags­ge­staltung zu erkennen gegeben, dass sie ihn bei der Ausführung der Transaktionen "schalten und walten" lassen werde. Indem sie die Augen bewusst vor einer sich aufdrängenden Sittenwidrigkeit des Geschäfts­modells des Vermittlers verschlossen und ihm gleichwohl den unkon­trol­lierten Betrieb des Geschäfts­modells über ihr Online-System ermöglicht hat, hat die Beklagte die Verwirklichung der erkannten Gefahr letztlich dem Zufall überlassen. Die vorherige Prüfung durch die Beklagte, die sich nur auf die aufsichts­rechtliche Zulassung des Vermittlers und etwaige gegen ihn gerichtete aufsichts­rechtliche Verfahren bezogen hat, ist offensichtlich unzureichend gewesen.

Quelle: ra-online, BGH

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil9327

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI