18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Gerichtshammer, der auf verschiedenen Geldscheinen liegt.

Dokument-Nr. 32880

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Urteil09.05.2023BundesgerichtshofXI ZR 544/21
Vorinstanzen:
  • Landgericht Düsseldorf, Urteil11.03.2020, 13 O 322/18
  • Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil01.12.2021, 14 U 78/20
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Bundesgerichtshof Urteil09.05.2023

Keine Pflicht zur Zahlung von "Negativzinsen" aus einem Schuld­schein­darlehenZins im Rechtssinn ist Entgelt für den Gebrauch von zeitweise überlassenem Geld und kann nicht negativ werden

Der Bundes­ge­richtshof hat mit Urteil vom 9. Mai 2023, über die Pflicht zur Zahlung von „Negativzinsen“ aus einem sogenannten Schuld­schein­darlehen entschieden.

Das klagende Land (Kläger) schloss mit der Rechts­vor­gängerin der beklagten Bank (Beklagte) im März 2007 einen als "Darlehen" bezeichneten Vertrag, dessen Konditionen von dem Kläger vorgegeben wurden. Nach Überweisung der "Darlehenssumme" stellte der Kläger der Beklagten fünf gleichlautende Schuldscheine über jeweils 20.000.000 € aus. Diese werden mit den Worten: "[Der Kläger] (Darle­hens­schuldner) schuldet [der Beklagten] (Darle­hens­gläubiger) EUR 20.000.000 […]" eingeleitet und beinhalten im Anschluss u.a. folgende Angaben: "1. Das Darlehen ist, […], bis zum Ablauf des der vereinbarten Fälligkeit des Kapitals vorhergehenden Tages, wie folgt jährlich zu verzinsen: Nominalzins3-Monats-EURIBOR+0,1175 % Höchstsatz5,00 % . 3. Das Darlehen in Höhe des Nennbetrags ist zur Rückzahlung fällig am 08.03.2017 und 6. Die Abtretung der Darle­hens­for­derung ist nur im Ganzen zulässig. […] In jedem Fall wird der Darle­hens­schuldner Zins- und Tilgungs­leis­tungen nur auf ein Konto des Darle­hens­gläu­bigers in der Bundesrepublik Deutschland überweisen." Ab März 2016 errechnete sich unter Anwendung der Zinsformel nach Ziffer 1 ein negativer Wert, der bis zum Laufzeitende einen Betrag in Höhe von 158.159,75 € ergab. Der Kläger ist der Meinung, dass ihm die Beklagte ab dem Zeitpunkt, zu dem der Zinsaufschlag (",1175 %") betragsmäßig hinter dem negativen Referenz­zinssatz ("3- Monats-EURIBOR") zurückgeblieben war, die Zahlung von "Negativzinsen" schulde, weil in den Schuldscheinen zwar eine Zinsobergrenze ("5,00 %"), aber keine Zinsuntergrenze vereinbart worden sei. Er begehrt mit seiner Klage die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 158.159,75 € nebst Verzugszinsen sowie Erstattung vorge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme einer Nebenforderung stattgegeben. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungs­gericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wieder­her­stellung des landge­richt­lichen Urteils.

BGH: Zins kann nicht negativ werden

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen und entschieden, dass es bei einer unter Geltung des dispositiven Gesetzesrechts von § 488 Abs. 1 BGB getroffenen Zinsabrede, nach der eine Änderung des in Bezug genommenen Referenz­zins­satzes zu einer automatischen Veränderung des Vertragszinses in dem durch einen Zinsaufschlag und eine Zinsobergrenze vorgegebenen Umfang führt, keiner ausdrücklichen Festlegung einer Zinsuntergrenze bedarf, um bei einem Absinken des Referenz­zins­satzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null eine Verpflichtung des Darlehensgebers zur Zahlung von nominal negativen "Zinsen" an den Darlehensnehmer auszuschließen oder zu begrenzen. Der Begriff "Zins" wird im Gesetz nicht definiert, sondern von der Privat­rechts­ordnung vorausgesetzt. Zins im Rechtssinne bedeutet danach das für die Möglichkeit des Gebrauchs von zeitweilig überlassenem Kapital zu leistende Entgelt, das zeitabhängig, aber zugleich gewinn- und umsat­zu­nab­hängig berechnet wird. Nach dieser Definition kann ein Zins - weil ein Entgelt - nicht negativ werden. Im normativen Zusammenhang von § 488 Abs. 1 BGB bedeutet dies, dass dem Zins eine definitorische Untergrenze bei  % immanent ist, bei deren Erreichen die Pflicht des Darle­hens­nehmers zur Zinszahlung entfällt. Damit lässt sich eine Umkehrung des Zahlungsstroms von dem Darlehensgeber an den Darlehensnehmer nicht vereinbaren. Das Berufungs­gericht hat richtig erkannt, dass nach dem für die rechtliche Einordnung maßgeblichen Zeitpunkt des Vertrags­schlusses die Parteien ein geset­zes­ty­pischer Darle­hens­vertrag mit Zinsabrede verbindet. In dem Zusammenwirken zwischen dem variablen Zinssatz einerseits sowie einer Zinsobergrenze andererseits liegt lediglich eine Regelung über die Höhe des Zinses im Rechtssinne, den der Darlehensnehmer nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB als Gegenleistung für die Überlassung der Darlehensvaluta an den Darlehensgeber zu zahlen hat. Aus der Ausstellung von Schuldscheinen kann nicht auf den Parteiwillen geschlossen werden, ein von dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB abweichendes Pflich­ten­programm zu vereinbaren. Der äußeren Form der Vertrags­ge­staltung kann keine größere Bedeutung beigemessen werden als ihr nach dem Vertragsinhalt zukommt.

Darlehensgeber nicht zur Zahlung der rechnerisch ermittelten "Negativzinsen" verpflichtet

Unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Ausle­gungs­grundsätze ist die Zinsklausel in Ziffer 1 im Einklang mit dem gesetzlichen Leitbild von § 488 Abs. 1 BGB dahin auszulegen, dass die Beklagte nicht zur Zahlung der rechnerisch ermittelten "Negativzinsen" verpflichtet ist. Das folgt, wovon auch das Berufungs­gericht ausgegangen ist, aus der Zusammenschau von Ziffer 1 mit der mit ihr inhaltlich zu einer Einheit verbundenen Einleitung und der Ziffer 6. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Zinsklausel im Unterschied zu der Zinsobergrenze keine ausdrückliche Zinsuntergrenze enthält. Die unterbliebene ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruht darauf, dass die Parteien bei Vertragsschluss entweder davon ausgegangen sind, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Markt­ent­wicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertrags­ty­pischen Pflichten eines Darle­hens­ver­trages angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber eine Zinszahlungspflicht treffen könne. Das Äquiva­lenz­prinzip kann im Rahmen der Vertrags­aus­legung nicht dazu herangezogen werden, um die Wertigkeit von Leistung und Gegenleistung neu zu bestimmen. Es ist deshalb ohne Belang, ob die Bank bei Absinken des Referenz­zins­satzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null ihre Gewinn- oder Refinan­zie­rungsmarge ausweiten könnte, je weiter sich der Referenz­zinssatz in den negativen Bereich entwickelt.

Refinanzierung der Bank in der Regel nicht vom Erwar­tungs­ho­rizont des Kunden umfasst

Diese Auslegung der Zinsklausel entspricht aus der objektiven Sicht der Parteien auch dem Verständnis redlicher und verständiger Vertragspartner in ihrer Eigenschaft als professionelle Marktteilnehmer. Die Vereinbarung eines bestimmten Referenz­zins­satzes - wie hier des 3-Monats-EURIBOR - lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass sich die Bank kongruent zu diesem refinanziert. Die Refinanzierung der Bank ist in der Regel ohnehin nicht vom Erwar­tungs­ho­rizont des Kunden umfasst. Dabei ist es unter Zugrundelegung der hier anwendbaren AGB-rechtlichen Ausle­gungs­grundsätze ohne Belang, ob nach der Zinsentwicklung bis zum Zeitpunkt des Vertrags­schlusses ein Absinken des Referenz­zins­satzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null während der Vertrags­laufzeit für die Vertrags­parteien vorherzusehen oder zumindest nicht auszuschließen war.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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