15.11.2024
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Sie sehen Geld, auf dem das Wort „Insolvenz“ arrangiert wurde.

Dokument-Nr. 9973

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Urteil20.07.2010BundesgerichtshofXI ZR 236/07 und IX ZR 37/09
Vorinstanzen:
  • Landgericht München I, Urteil28.08.2010, 27 O 20542/05
  • Oberlandesgericht München, Urteil20.07.2010, 27 O 20542/05
  • Amtsgericht Leipzig, Urteil24.09.2008, 109 C 2936/08
  • Landgericht Leipzig, Urteil30.01.2009, 7 S 489/08
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil20.07.2010

Bundes­ge­richtshof zur Insol­venz­fes­tigkeit der Einzugs­er­mäch­ti­gungs­last­schriftIX. und XI. Zivilsenat entwickeln einheitliche Rechts­grundsätze

Der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat und der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs haben in zwei Urteilen, die jeweils vom anderen Senat mitgetragen werden, einheitliche Rechts­grundsätze zur Insol­venz­fes­tigkeit einer mittels Einzugs­er­mäch­ti­gungs­last­schrift bewirkten Zahlung entwickelt und damit bislang bestehende Differenzen in der Rechtsprechung beider Senate ohne Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen beigelegt.

Der XI. Zivilsenat entschied, dass es der Kredit­wirt­schaft aufgrund der Neufassung des Zahlungs­ver­kehrs­rechts zum 31. Oktober 2009 – anders als nach der bisherigen Rechtslage – nunmehr freisteht, durch eine dem europaein­heit­lichen SEPA-Lastschrift­ver­fahren (Single Euro Payments Area) nachgebildete Ausgestaltung ihrer Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen künftig die Insol­venz­fes­tigkeit aller mittels Einzugs­er­mäch­ti­gungs­last­schrift bewirkten Zahlungen herbeizuführen. Bis dies geschehen ist, kommt, wie der XI. Zivilsenat weiter entschieden hat, unter bestimmten Umständen eine konkludente Genehmigung der Lastschrift durch den Schuldner in Betracht, die diese insolvenzfest macht.

Sachverhalt des Streitfalls vor dem XI. Zivilsenat

In dem der Entscheidung des XI. Zivilsenats zugrunde liegenden Fall verlangt der klagende Insolvenzverwalter von der beklagten Bank die Zahlung eines Betrages, der sich bei Beachtung des vom ihm erklärten Widerspruchs gegen Lastschrift­bu­chungen zu Lasten des Kontos der Schuldnerin ergibt. Die inzwischen insolvente Schuldnerin, eine GmbH, eröffnete bei der Beklagten im Januar 2004 ein auf Guthabenbasis zu führendes Girokonto mit einem monatlichen Rechnungs­ab­schluss. Einen Tag nach seiner Bestimmung zum vorläufigen Insol­venz­ver­walter mit Zustim­mungs­vor­behalt (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO) widersprach der Kläger am 9. Juli 2004 gegenüber der Beklagten allen noch nicht genehmigten Lastschriften aus Einzugs­er­mäch­ti­gungen, ohne dass diesem Widerspruch sachliche Einwendungen gegen die eingezogenen Forderungen zugrunde lagen. Die Beklagte buchte daraufhin nur die seit dem 1. Juni 2004 zu Lasten des Schuldnerkontos ausgeführten Lastschriften zurück, nicht jedoch die – streit­ge­gen­ständ­lichen – Lastschrift­bu­chungen aus dem Zeitraum vom 1. bis 31. Mai 2004 in Höhe von insgesamt 82.841,74 €. Darunter ist eine Steuerforderung des Freistaates Bayern, der die Beklagte nunmehr als Streithelfer unterstützt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

Berufungs­gericht sieht keinen Aufwen­dungs­er­satz­an­spruch gegen die Schuldnerin seitens der Bank

Das Berufungs­gericht hat – auf der Grundlage der vom Bundes­ge­richtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen Geneh­mi­gungs­theorie, wonach Erfüllung der Forderung des Gläubigers erst mit der Genehmigung der Belas­tungs­buchung durch den Schuldner eintritt – angenommen, dass die Schuldnerin die Belas­tungs­bu­chungen auf ihrem Konto zum Zeitpunkt des Widerspruchs des Klägers noch nicht genehmigt hatte, so dass die Beklagte auch noch keinen Aufwen­dungs­er­satz­an­spruch gegen die Schuldnerin wegen der von ihr ausgeführten Lastschrift­zah­lungen erworben hatte. Insbesondere hat es dem Verhalten der Schuldnerin keine Anhaltspunkte für eine konkludente Genehmigung entnommen. Dies hielt revisi­ons­recht­licher Nachprüfung nicht Stand.

Kredit­wirt­schaft steht frei in den AGBs eine von der Geneh­mi­gungs­theorie abweichende Partei­ver­ein­barung zu treffen

Der XI. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat entschieden, dass es der Kredit­wirt­schaft unter der Geltung des neuen Zahlungs­ver­kehrs­rechts der §§ 675 c ff. BGB, durch das das Lastschrift­ver­fahren erstmals gesetzlich geregelt wird, nunmehr freisteht, in ihren Allgemeinen Geschäfts­be­din­gungen eine von der Geneh­mi­gungs­theorie abweichende Partei­ver­ein­barung zu treffen. Autorisiert der Zahlungs­pflichtige mit der dem Gläubiger erteilten Einzugsermächtigung zugleich auch seine Bank, die Zahlung auszuführen, ist die Belas­tungs­buchung auf seinem Konto von Anfang an wirksam. Bei einer solchen rechtlichen Ausgestaltung der Einzugs­er­mäch­ti­gungs­last­schrift, die das auf europäischer Ebene zum November 2009 neu eingeführte SEPA-Lastschrift­ver­fahren zum Vorbild hätte, hätten alle auf diesem Wege bewirkten Zahlungen auch dann Bestand, wenn nach der Belas­tungs­buchung das Insol­venz­ver­fahren über das Vermögen des Zahlungs­pflichtigen eröffnet wird beziehungsweise im Eröff­nungs­ver­fahren entsprechende Siche­rungs­maß­nahmen angeordnet werden. Das Recht des Zahlers gemäß § 675 x BGB, binnen acht Wochen nach der Belas­tungs­buchung von seiner Bank Erstattung des Zahlbetrages verlangen zu können, fällt nicht in die Insolvenzmasse, so dass der (vorläufige) Insol­venz­ver­walter insoweit keine Verfü­gungs­be­fugnis erlangt.

Bei regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen kann konkludente Genehmigung in Betracht kommen

Da diese Leitlinien der Umsetzung durch die Kredit­wirt­schaft bedürfen und daher auf den vorliegenden Fall noch keine Anwendung finden können, ist das Berufungs­gericht zu Recht von der Geneh­mi­gungs­be­dürf­tigkeit der Belas­tungs­bu­chungen ausgegangen. Der Bundes­ge­richtshof hat das Berufungsurteil gleichwohl aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, damit dieses nochmals der Frage nachgeht, ob die Schuldnerin die Belas­tungs­bu­chungen nicht bereits konkludent genehmigt hatte, als der Kläger widersprach. Zu Unrecht hat das Berufungs­gericht in diesem Zusammenhang dem Vorbringen der Beklagten, dass den Lastschrift­bu­chungen vornehmlich regelmäßig wiederkehrende Forderungen aus laufenden Geschäfts­be­zie­hungen beziehungsweise Dauer­schuld­ver­hält­nissen zugrunde lagen, deren Einzug die Schuldnerin niemals zuvor widersprochen hatte, bislang keine Bedeutung beigemessen. Der XI. Zivilsenat hat entschieden, dass bei regelmäßig wiederkehrenden Zahlungen, beispielsweise aus Dauer­schuld­ver­hält­nissen, laufenden Geschäfts­be­zie­hungen oder zur Steuer­vor­aus­zahlung, je nach den Umständen des Einzelfalls eine konkludente Genehmigung in Betracht kommen kann, wenn der Schuldner dem Einzug nach Ablauf einer angemessenen Prüffrist nicht widerspricht, er einen früheren Einzug jedoch bereits genehmigt hatte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Konto – wie hier – im unter­neh­me­rischen Geschäfts­verkehr geführt wird. Dass die Möglichkeit einer konkludenten Genehmigung weiter gehend als bisher anerkannt wird, führt bereits zu einer gewissen Entspannung der derzeitigen Situation.

Insol­venz­ver­walter bzw. Treuhänder muss in Insol­venz­ver­fahren Grenzen des pfändungsfreien Schuld­ner­ver­mögens beachten

Dazu trägt auch wesentlich bei, dass der IX. Zivilsenat nunmehr entschieden hat, der Insol­venz­ver­walter bzw. Treuhänder in Insol­venz­ver­fahren über das Vermögen natürlicher Personen dürfe nicht mehr schematisch allen noch nicht durch den Schuldner genehmigten Lastschriften widersprechen, er müsse vielmehr die Grenzen des pfändungsfreien Schuld­ner­ver­mögens beachten. Solange die Lastschriften nur das pfändungsfreie Schonvermögen betreffen, ist allein dem Schuldner die Entscheidung über die Genehmigung vorbehalten.

Sachverhalt des Streitfalls vor dem IX. Zivilsenat

In dem der Entscheidung des IX. Zivilsenats zugrunde liegenden Fall verlangt eine Wohnungs­bau­ge­sell­schaft Zahlung von drei Monatsmieten (insgesamt 1.013,40 €) von der Treuhänderin in einem Verbrau­che­r­in­sol­venz­ver­fahren. Die Schuldnerin hat von der Klägerin eine Wohnung angemietet. Die Mieten wurden von der Klägerin im Einzie­hungs­er­mäch­ti­gungs­ver­fahren eingezogen. Die Schuldnerin bezieht Wohngeld nach dem Zweiten Buch des Sozial­ge­setzbuchs. Unmittelbar nachdem die Beklagte am 19. Dezember 2007 zur Treuhänderin bestellt worden war, widersprach sie der Belastung des Schuldnerkontos mit den Mieten für Oktober bis Dezember 2007, die daraufhin zurückgebucht wurden. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

Insol­venz­ver­walter muss vor Widerspruch prüfen, ob durch Lastschriften nur das pfändungsfreie "Schonvermögen" des Schuldners betroffen ist

Das Berufungs­gericht hat angenommen, die Beklage sei gehalten gewesen, die Masse durch einen Widerspruch gegen die Lastschriften zu sichern. Demgegenüber hat der IX. Zivilsenat nunmehr entschieden, der Verwalter müsse vor einem Widerspruch prüfen, ob durch die Lastschriften nur das pfändungsfreie "Schonvermögen" des Schuldners betroffen sei. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken der auch im Insol­venz­ver­fahren anwendbaren Vorschrift des § 850 k ZPO a. F. (seit 1. Juli 2010: § 850 l ZPO). Danach soll der pfändungsfreie Betrag des Arbeits­ein­kommens auch dann vor einer Pfändung geschützt werden und dem Schuldner zur Verfügung stehen, wenn er auf ein Konto überwiesen wird. Dies gilt auch für Sozia­l­leis­tungen (§ 54 Abs. 4 SGB I). Soweit die Summe der Buchungen aus Lastschriften und Barabhebungen sowie Überweisungen den pfändungsfreien Betrag ("Schonvermögen") nicht übersteigt, darf der Verwalter den Lastschriften nicht widersprechen. Auch wenn der Freibetrag überschritten ist, ist ein schematischer Widerspruch unzulässig. Der Verwalter muss dem Schuldner Gelegenheit geben zu entscheiden, welche Lastschriften aus dem "Schonvermögen" bedient sein sollen.

Lastschriften stammten aus unpfändbaren Einkünften

Im vorliegenden Fall stammten die Lastschriften aus unpfändbaren Einkünften der Schuldnerin (Wohngeld), so dass die Beklagte den Belastungen nicht widersprechen konnte. Ein gegen die Masse gerichteter Schaden­s­er­satz­an­spruch kam nicht in Betracht. Es fehlte jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten. Diese durfte sich nach der bisherigen Rechtsprechung des IX. Zivilsenats darauf verlassen, rechtmäßig zu handeln. Die Revision blieb daher im Ergebnis ohne Erfolg.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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