18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil06.08.2019

Passagiere haben keinen Anspruch auf doppelte Entschädigung bei Flugver­spä­tungenBGH begrenzt Ansprüche von Reisenden nach Flugver­spä­tungen

Der BGH hat entschieden, dass Ausgleichs­zah­lungen nach der Fluggas­trechte­verordnung auf reise- und beförderungs­vertragliche Schaden­ersatz­ansprüche nach nationalem Recht anzurechnen sind.

Dem ersten Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger buchten bei der beklagten Reise­ver­an­stalterin für die Zeit vom 17. Juli bis 7. August 2016 eine Urlaubsreise, die Flüge von Frankfurt am Main nach Las Vegas und zurück sowie verschiedene Hotel­auf­enthalte umfasste.

Klägern wurde die Beförderung des gebuchten Hinflugs verweigert

Den Klägern wurde die Beförderung auf dem für sie gebuchten Hinflug verweigert. Sie flogen daher am folgenden Tag über Vancouver nach Las Vegas, wo sie mehr als 30 Stunden später als geplant eintrafen, und verlangen nunmehr von der Beklagten die Erstattung der für die beiden ersten Tage der Urlaubsreise angefallenen Kosten des Mietwagens und des gebuchten, aber nicht genutzten Hotelzimmers sowie der Kosten für eine wegen der geänderten Reiseplanung erforderlich gewordene Übernachtung in einem anderen Hotel.

Im zweiten Fall buchten der Kläger und seine beiden Mitreisenden bei dem beklagten Luftver­kehrs­un­ter­nehmen für den 15. September 2016 einen Flug von Frankfurt am Main nach Windhoek, wo sie eine Rundreise durch Namibia antreten wollten.

Gebuchte Unterkunft konnte wegen der verspäteten Ankunft nicht mehr erreicht werden

Der Abflug verzögerte sich, so dass die Fluggäste ihr Reiseziel einen Tag später als vorgesehen erreichten. Der Kläger macht geltend, er und seine Mitreisenden hätten die für die erste Nacht gebuchte Unterkunft in einer Lodge wegen der verspäteten Ankunft nicht mehr erreichen können und stattdessen in einem Hotel in Windhoek übernachten müssen. Er verlangt von dem beklagten Luftver­kehrs­un­ter­nehmen aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Mitreisenden Erstattung der Kosten für die nicht in Anspruch genommene, aber nach seinem Vortrag in Rechnung gestellte Unterkunft in der Lodge sowie der Kosten für die Übernachtung in Windhoek.

In beiden Fällen erhielten die Passagiere eine Ausgleichs­zahlung in Höhe von 600 Euro pro Person

Wegen der Beför­de­rungs­ver­wei­gerung bzw. der Flugverspätung leisteten die ausführenden Luftver­kehrs­un­ter­nehmen der betreffenden Flüge Ausgleichs­zah­lungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Fluggastrechteverordnung in Höhe von 600 Euro je Reisendem. In beiden Fällen streiten die Parteien darüber, ob diese Zahlungen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung auf die in der Höhe dahinter zurück­blei­benden Ersatzansprüche angerechnet werden dürfen, die die Kläger auf der Grundlage der Vorschriften des deutschen Reisevertrags- bzw. Perso­nen­be­för­de­rungs­rechts geltend machen.

AG: Passagieren haben die Wahl zwischen der Ausgleichs­zahlung und der Geltendmachung von Schaden­s­er­satz­ansprüchen

Das Amtsgericht hat die Ausgleichs­zah­lungen angerechnet und die Klagen abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen der Kläger hatten keinen Erfolg. Der Fluggast könne bei einer Beför­de­rungs­ver­wei­gerung oder einer erheblichen Flugverspätung wählen zwischen der Ausgleichszahlung nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung, die zum Ausgleich entstandener Unannehm­lich­keiten einen pauschalierten Ersatz für materielle und immaterielle Schäden biete, und der Geltendmachung von Schaden­s­er­satz­ansprüchen nach nationalem Recht, für die Schaden­s­eintritt und höhe konkret darzulegen seien. Beanspruche der Fluggast eine Ausgleichs­zahlung nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung, sei diese nach den Grundsätzen der Vorteils­aus­gleichung auf wegen desselben Ereignisses geltend gemachte Schaden­s­er­satz­ansprüche nach nationalem Recht anzurechnen, unabhängig davon, ob diese auf den Ersatz materieller oder immaterieller Schäden gerichtet seien.

BGH bestätigt Entscheider der Vorinstanzen

Der für das Reise- und Perso­nen­be­för­de­rungsrecht zuständige Zivilsenat hat die Entscheidungen der Berufungs­ge­richte bestätigt und die Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Die von den Klägern geltend gemachten Ersatzansprüche dienen der Kompensation von durch Nicht- oder Schlech­t­er­füllung der Verpflichtung zur Luftbeförderung hervorgerufenen Beein­träch­ti­gungen, die zum einen in durch die verspätete Ankunft am Reiseziel nutzlos gewordenen Aufwendungen, zum anderen in Zusatzkosten für eine notwendig gewordene andere Hotelunterkunft bestehen. Dementsprechend handelt es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz, auf die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Flugga­st­rechteVO eine nach dieser Verordnung wegen Beför­de­rungs­ver­wei­gerung oder großer Verspätung gewährte Ausgleichs­zahlung angerechnet werden kann.

Neuregelung im BGB gilt erst ab Juli 2018 und ist in den hier vorliegenden Streitfällen nicht anwendbar

Ob die nach nationalem Recht begründeten Schaden­s­er­satz­ansprüche dementsprechend um die Ausgleichs­zahlung gekürzt werden können oder weil die Ausgleichs­zahlung wie in den Streitfällen höher ist vollständig entfallen, richtet sich mangels gesetzlicher Regelung im deutschen Recht nach den von der Rechtsprechung zum Schaden­er­satzrecht entwickelten Grundsätzen der Vorteils­aus­gleichung. § 651 p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, der ausdrücklich bestimmt, dass sich ein Reisender auf seine Schaden­s­er­satz­ansprüche gegenüber dem Reise­ver­an­stalter denjenigen Betrag anrechnen lassen muss, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung nach Maßgabe der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung erhalten hat, gilt erst für ab dem 1. Juli 2018 geschlossene Reiseverträge und ist in den Streitfällen nicht anwendbar.

Ausgleichs­zahlung von Airline für Flugverspätung wird angerechnet

Nach den Grundsätzen der Vorteils­aus­gleichung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schaden­se­r­eignis zugeflossen sind und deren Anrechnung mit dem Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt. Die Ausgleichs­zahlung nach der Fluga­st­rech­te­ver­ordnung dient nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden, sondern soll es dem Fluggast ermöglichen, auch Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im Einzelnen aufwändig deren Höhe darlegen und beweisen zu müssen. Da die reise­recht­lichen Ersatzansprüche im Verfahren X ZR 128/18 und die auf Verletzung des Beför­de­rungs­vertrags gestützten Ansprüche im Verfahren X ZR 165/18 dem Ausgleich derselben den Klägern durch die verspätete Luftbeförderung entstandenen Schäden wie die bereits erbrachten Ausgleichs­zah­lungen dienen, ist eine Anrechnung geboten.

Keine Vorlage an EuGH

Der Bundes­ge­richtshof hat in einem früheren Verfahren für klärungs­be­dürftig gehalten, ob eine solche Anrechnung dem Zweck der Ausgleichsleistung nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung entspricht und deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union eine entsprechende Frage zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt (Beschluss vom 30. Juli 2013 X ZR 111/12); das Verfahren hat sich jedoch anderweitig erledigt. Eine erneute Vorlage hat der Bundes­ge­richtshof als nicht erforderlich angesehen, da durch Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der am 31. Dezember 2015 in Kraft getretenen neuen Pauscha­l­rei­se­richtlinie (Richtlinie (EU) 2015/2302) geklärt worden ist, dass jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Richtlinie Ausgleichs­zah­lungen nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reise­ver­an­stalter anzurechnen sind und umgekehrt (was für das geltende deutsche Pauscha­l­rei­serecht durch die erwähnte Vorschrift des § 651 p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB umgesetzt worden ist). Damit entfällt jedoch auch für Ansprüche aus dem Beför­de­rungs­vertrag und für Ansprüche nach dem bis zum 30. Juni 2018 geltenden Reiserecht, wie sie in den Streitfällen in Rede stehen, ein aus dem Sinn und Zweck der Ausgleichs­leistung nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung abzuleitendes Hindernis für eine Anrechnung, wie es der Bundes­ge­richtshof vor Inkrafttreten der Pauscha­l­rei­se­richtlinie für denkbar gehalten hat.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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