21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil11.07.2017

Vertrieb des HIV-Medikaments "Isentress" weiterhin zulässigBGH bestätigt vom Bunde­s­pa­tent­gericht ausgesprochene vorläufige Vertrie­bs­er­laubnis

Der Bundes­ge­richtshof hat eine vom Bunde­s­pa­tent­gericht ausgesprochene vorläufige Gestattung zum weiteren Vertrieb eines Medikaments zur Behandlung von HIV-Infektionen bestätigt.

Die Antragsgegnerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 422 218 (Streitpatents), das ein antivirales Mittel betrifft. Das Streitpatent wurde am 8. August 2002 angemeldet und am 21. März 2012 erteilt. Das Europäische Patentamt hat das Streitpatent in einem Einspruchs­ver­fahren in geänderter Fassung aufrecht­er­halten. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Einsprechenden ist noch anhängig.

Mit Schreiben vom 3. Juni 2014 machte die Antragsgegnerin gegenüber einer mit den Antrag­stel­le­rinnen verbundenen Gesellschaft geltend, Isentress falle in den Schutzbereich des japanischen Patents 2005 207 392, das zur Familie des Streitpatents gehört. Nachfolgende Verhandlungen über eine weltweite Lizenz­ver­ein­barung blieben ohne Ergebnis.

Antragstellerin wird wegen Verletzung des Streitpatents auf Unterlassung in Anspruch genommen

Mit Schriftsatz vom 17. August 2015 hat die Antragsgegnerin die Antrag­stel­le­rinnen vor dem Landgericht Düsseldorf (4c O 48/15) wegen Verletzung des Streitpatents unter anderem auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die beim Europäischen Patentamt anhängige Beschwerde ausgesetzt. Die gegen die Aussetzung eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin blieb erfolglos.

Mit Klageschrift vom 5. Januar 2016 hat die Antragstellerin zu 1 die Antragsgegnerin auf Erteilung einer Zwangslizenz am Streitpatent gemäß § 24 Abs. 1* des Patentgesetzes (PatG) in Anspruch genommen. Die Antrag­stel­le­rinnen zu 2 und 3 sind dem Verfahren später beigetreten. Über die Klage ist erstinstanzlich noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2016 haben die Antrag­stel­le­rinnen beantragt, ihnen die Benutzung der geschützten Erfindung durch einstweilige Verfügung gemäß § 85 Abs. 1** PatG vorläufig zu gestatten.

Bunde­s­pa­tent­gericht gestattet vorläufigen Vertrieb von Isentress

Das Bunde­s­pa­tent­gericht wies nach Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens den nicht auf einzelne Abgabeformen beschränkten Hauptantrag der Antrag­stel­le­rinnen zurück. Auf ihren Hilfsantrag gestattete es ihnen vorläufig den Vertrieb von Isentress zur Behandlung von HIV-Infizierten und AIDS-Erkrankten in den vier bereits auf dem Markt befindlichen, im angefochtenen Urteil näher bezeichneten Abgabeformen. Dagegen wandte sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde.

Bemühungen um Zustimmung zur Nutzung der Erfindung ausreichend

Der Bundes­ge­richtshof bestätigte die erstin­sta­nzliche Entscheidung des Bunde­s­pa­tent­ge­richts. Wie die Vorinstanz gelangte der Bundes­ge­richtshof zu dem Ergebnis, dass die vorge­richt­lichen Bemühungen der Antrag­stel­le­rinnen, eine Zustimmung zur Nutzung der Erfindung zu angemessenen geschäfts­üb­lichen Bedingungen zu erlangen, unter den besonderen Gegebenheiten des zu entscheidenden Einzelfalls - insbesondere im Hinblick auf den ungewissen Ausgang des Einspruchs­ver­fahrens - ausreichend waren.

Öffentliches Interesse an Erteilung einer Zwangslizenz ausreichend glaubhaft gemacht

Der Bundes­ge­richtshof teilt ferner die Einschätzung des Bunde­s­pa­tent­ge­richts, dass ein öffentliches Interesse an der Erteilung einer Zwangslizenz glaubhaft gemacht ist. Zwar ist nicht jeder HIV- oder AIDS-Patient darauf angewiesen, jederzeit mit Raltegravir behandelt werden zu können. Es gibt aber Patien­ten­gruppen, die Raltegravir zur Erhaltung der Behand­lungs­si­cherheit und -güte benötigten. Dazu gehören insbesondere Säuglinge, Kinder unter zwölf Jahren, Schwangere, Personen, die wegen bestehender Infek­ti­o­ns­gefahr eine prophylaktische Behandlung benötigen, und Patienten, die bereits mit Isentress behandelt werden und denen bei einer Umstellung auf ein anderes Medikament erhebliche Neben- und Wechsel­wir­kungen drohen. Vor diesem Hintergrund hat der Bundes­ge­richtshof auch ein öffentliches Interesse an einer vorläufigen Gestattung des weiteren Vertriebs bejaht.

* § 24 Abs. 1 Patentgesetz

(1) Die nicht ausschließliche Befugnis zur gewerblichen Benutzung einer Erfindung wird durch das Patentgericht im Einzelfall nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften erteilt (Zwangslizenz), sofern

1.der Lizenzsucher sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäfts­üb­lichen Bedingungen zu benutzen, und

2. das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet.

** § 85 Abs. 1 Patentgesetz

(1) In dem Verfahren wegen Erteilung der Zwangslizenz kann dem Kläger auf seinen Antrag die Benutzung der Erfindung durch einstweilige Verfügung gestattet werden, wenn er glaubhaft macht, dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 bis 6 vorliegen und dass die alsbaldige Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse dringend geboten ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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