24.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.12.2012

Missbrauch einer beherrschenden Stellung: Täuschung von Gerichten und Patentämtern zur Wahrung des Monopols auf dem Arznei­mit­telmarkt rechtswidrigUnionsrecht verbietet Unternehmen in beherrschender Stellung zur eigenen Stärkung andere Mitbewerber zu verdrängen

Die absichtliche Abgabe irreführender Darstellungen zu Arzneimitteln bei Patentämtern einzelner Mitglieds­s­taaten mit dem Zweck, verlängernde ergänzende Schutz­zer­ti­fikate für den Patentschutz eines Medikaments zu erhalten oder aufrecht­zu­er­halten, ist unzulässig. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union und wies damit das Rechtsmittel des AstraZeneca-Konzerns zurück, der seine beherrschende Stellung missbraucht hatte, indem er das Inver­kehr­bringen von Losec nachgebildeten Generika verhindert hat.

Die AstraZeneca AB und die AstraZeneca plc gehören zu einem Pharmakonzern ("AZ"), der sich weltweit im Sektor Erfindung, Entwicklung und Vermarktung von Pharmaprodukten betätigt. Eines der wichtigsten von AZ vermarkteten Produkte, ein Magengeschwür-Arzneimittel, ist unter dem Namen "Losec" bekannt.

Kommission verhängt Geldbuße wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung

Mit Entscheidung vom 15. Juni 2005* verhängte die Kommission gegen die beiden Gesellschaften eine Geldbuße in Höhe von insgesamt 60 Mio. Euro wegen des zweifachen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung.

Hersteller von Generika sollten vom Markt ferngehalten werden

Sie stellte zum einen fest, dass AZ vor den Patentämtern bestimmter Mitgliedstaaten absichtlich irreführende Darstellungen gemacht habe. Mit diesen Darstellungen sei bezweckt worden, den Patentschutz verlängernde ergänzende Schutz­zer­ti­fi­kate** für Losec zu erhalten oder aufrecht­zu­er­halten, auf die AZ keinen oder nur für kürzere Dauer Anspruch gehabt habe, was mit dem Ziel geschehen sei, die Hersteller von Generika vom Markt fernzuhalten. Zum anderen wurde AZ dafür zur Verantwortung gezogen, dass sie auf den Widerruf der Genehmigungen für das Inver­kehr­bringen von Losec in Kapselform in Dänemark, in Schweden und in Norwegen hingewirkt habe, um das Inver­kehr­bringen von Generika zu verzögern und zu erschweren und um Paral­le­lein­fuhren von Losec zu verhindern.

Konzern erhebt Nichtig­keitsklage

Gegen diese Entscheidung der Kommission erhoben die AstraZeneca plc und die AstraZeneca AB Nichtig­keitsklage beim Gericht.

Europäisches Gericht erster Instanz setzt Geldbuße herab

Mit Urteil vom 1. Juli 2010*** hat das Gericht den Großteil der Argumente von AZ zurückgewiesen. Es hat jedoch die Entscheidung der Kommission, was die Feststellung des zweiten Missbrauchs betrifft, teilweise für nichtig erklärt. Die Kommission habe zwar nachgewiesen, dass die Widerrufe der Genehmigungen für das Inver­kehr­bringen von Losec in Kapselform in Dänemark, in Schweden und in Norwegen geeignet gewesen seien, den Markteintritt von Generika in diesen drei Ländern hinauszuzögern und darüber hinaus die Paral­le­lein­fuhren von Losec nach Schweden zu verhindern, sie habe jedoch nicht den Nachweis erbracht, dass sich die letztgenannte Wirkung auch in Dänemark und in Norwegen eingestellt habe. Das Gericht hat deshalb die gegen die AstraZeneca AB und die AstraZeneca plc als Gesamt­s­chuld­ne­rinnen verhängte Geldbuße auf 40,25 Mio. Euro und die gegen die AstraZeneca AB verhängte Geldbuße auf 12,25 Mio. Euro herabgesetzt.

Die AstraZeneca AB und die AstraZeneca plc haben beim Gerichtshof Rechtsmittel eingelegt, mit dem sie die Aufhebung dieses Urteils des Gerichts begehren.

Unternehmen mit beherrschender Stellung darf Mitbewerber nicht verdrängen um eigene Stellung zu stärken

Mit dem Urteil weist der Gerichtshof die Argumente dieser beiden Gesellschaften zurück, mit denen insbesondere angebliche Rechtsfehler des Gerichts bei der Beurteilung der beiden Missbräuche und bei der Festsetzung der Geldbußen geltend gemacht worden sind. Was namentlich den ersten Missbrauch einer beherrschenden Stellung angeht, der die ergänzenden Schutz­zer­ti­fikate betrifft, weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Unionsrecht einem Unternehmen in beherrschender Stellung verbietet, einen Mitbewerber zu verdrängen und so die eigene Stellung zu stärken, indem es zu anderen Mitteln als denjenigen eines Leistungs­wett­bewerbs greift.

EuGH rügt Missbrauch einer beherrschenden Stellung

Der Gerichtshof gelangt insoweit zu dem Ergebnis, dass das Gericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass in dem konstanten und geradlinigen Verhalten von AZ, das durch irreführende Darstellungen gegenüber den Patentämtern und einen Mangel an Transparenz gekennzeichnet war, womit AZ die Patentämter und die Gerichte vorsätzlich täuschen wollte, um ihr Monopol auf dem Arznei­mit­telmarkt möglichst lang zu wahren, eine dem Leistungs­wett­bewerb fremde Praxis und damit der Missbrauch einer beherrschenden Stellung lag.

Einführung von Generika und Paralleleinfuhr darf nicht behindert werden

Zum zweiten Missbrauch einer beherrschenden Stellung stellt der Gerichtshof fest, dass unter den Leistungs­wett­bewerb auch nicht fällt, dass ohne objektive Rechtfertigung und nach Ablauf des durch das Unionsrecht zuerkannten ausschließ­lichen Rechts der Widerruf der Genehmigungen für das Inver­kehr­bringen mit dem Ziel betrieben wird, die Einführung von Generika und die Paral­le­lein­fuhren zu behindern.

Missbräuche sind als schwere Zuwider­hand­lungen anzusehen

Hinsichtlich der gegen die Gesellschaften verhängten Geldbuße ist das Gericht nach Ansicht des Gerichtshofs rechts­feh­lerfrei namentlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Missbräuche in Ermangelung mildernder oder besonderer Umstände als schwere Zuwider­hand­lungen anzusehen sind und die Geldbuße deshalb nicht aus solchen Gründen herabgesetzt werden kann.

Erläuterungen

* Entscheidung C(2005) 1757 final der Kommission vom 15. Juni 2005 in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] und Artikel 54 EWR-Abkommen (Sache COMP/A.37.507/F3 – AstraZeneca).

** Ergänzende Schutz­zer­ti­fikate können Inhabern eines nationalen oder europäischen Patents erteilt werden. Zweck ist die Verlängerung der Schutzdauer des Patents um bis zu fünf weitere Jahre, damit der Patentinhaber in den Genuss eines Ausschließ­lich­keits­zeitraums von höchstens 15 Jahren ab der ersten Genehmigung für das Inver­kehr­bringen (die ihrerseits für die Dauer von zehn Jahren erteilt wird) kommt.

*** Urteils des Gerichts vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T-321/05).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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