23.11.2024
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Dokument-Nr. 12813

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Urteil21.12.2011BundesgerichtshofVIII ZR 70/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JZ 2012, 468Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 468
  • MDR 2012, 333Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2012, Seite: 333
  • MMR 2012, 664Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2012, Seite: 664
  • NJW 2012, 1073Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2012, Seite: 1073
  • ZIP 2011, 1265Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP), Jahrgang: 2011, Seite: 1265
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Bundesgerichtshof Urteil21.12.2011

Nacherfüllung durch "Lieferung einer mangelfreien Sache" erfasst Ausbau und Abtransport der mangelhaften KaufsacheBGH legt § 439 BGB im Lichte der europäischen Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie aus

Ein Käufer defekter Fliesen kann vom Verkäufer Schadenersatz für den später notwendig gewordenen Ausbau der defekten Fliesen verlangen. Das geht aus einer Entscheidung des Bundes­ge­richtshofs (BGH) hervor. In dem vorliegenden Fall hatte sich der BGH mit der richt­li­ni­en­kon­formen Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB zu beschäftigten.

Der Bundes­ge­richtshof hat in Umsetzung eines Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchs­gü­ter­kaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12; Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie) über den Umfang der den Verkäufer bei der Nacherfüllung nach § 439 Abs. 1 BGB treffenden Pflichten sowie die Reichweite der dem Verkäufer nach § 439 Abs. 3 BGB zustehenden Einrede der Unver­hält­nis­mä­ßigkeit entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb von der Beklagten, die einen Baustoffhandel betreibt, Bodenfliesen zum Preis von 1.191,61 Euro netto. Nachdem er die Fliesen in seinem Wohnhaus hatte verlegen lassen, zeigten sich Mängel, deren Beseitigung nicht möglich ist. Der Kläger hat deswegen von der Beklagten die Lieferung neuer Fliesen sowie die Zahlung der Kosten für den Ausbau der mangelhaften Fliesen und den Einbau neuer Fliesen in Höhe von 5.830,57 Euro begehrt.

Das Landgericht hat der Klage aus dem – vom Kläger nicht geltend gemachten – Gesichtspunkt der Minderung in Höhe von 273,10 Euro stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlan­des­gericht die Beklagte zur Lieferung neuer Fliesen und zur Zahlung der Ausbaukosten in Höhe von 2.122,37 Euro verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte überwiegend Erfolg.

BGH ruft EuGH zwecks Auslegung der Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie an

Der Bundes­ge­richtshof hatte das Verfahren mit Beschluss vom 14. Januar 2009 zuächst ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt. Zum einen musste geklärt werden, ob Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 der Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie dahingehend auszulegen ist, dass der Verkäufer im Falle einer Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des mangelhaften Verbrauchsguts aus einer Sache, in die es der Verbraucher gemäß dessen Art und Verwen­dungszweck eingebaut hat, tragen muss. Zum anderen sollte klargestellt werden, ob eine nationale Vorschrift wie § 439 Abs. 3 BGB, die es dem Verkäufer einer mangelhaften Kaufsache erlaubt, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung (vgl. § 439 Abs. 1 BGB) zu verweigern, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert der mangelfreien Sache und der Bedeutung des Mangels (absolut) unver­hält­nismäßig wären, mit der Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie in Einklang steht.

Urteil des EuGH

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierüber durch Urteil vom 16. Juni 2011 entschieden und die vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:

"Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchs­gü­terkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertrags­widrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwen­dungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsgutes aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen.

Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertrags­widriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertrags­wid­rigkeit unver­hält­nismäßig wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird."

BGH legt nach EuGH-Urteil Anspruch auf Nacherfüllung weit aus

Nunmehr hat der Bundes­ge­richtshof entschieden, dass § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB richt­li­ni­en­konform dahin auszulegen ist, dass die dort genannte Nacher­fül­lungs­va­riante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst. Das dem Verkäufer in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB eingeräumte Recht, die Nacherfüllung wegen (absolut) unver­hält­nis­mäßiger Kosten zu verweigern, ist beim Verbrauchs­gü­terkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Wege der richt­li­ni­en­kon­formen Rechts­fort­bildung dahingehend einzuschränken, dass ein Verwei­ge­rungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unver­hält­nis­mäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Koste­n­er­stattung in Höhe eines angemessenen Betrages zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Die Beschränkung auf eine Kosten­be­tei­ligung des Verkäufers darf allerdings nicht dazu führen, dass das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten ausgehöhlt wird.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (pm/pt)

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