21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil10.05.2017

Kündigung einer Mietwohnung zwecks Durchführung eines sozialen Wohngrup­pen­projekts unwirksamBGH führt Rechtsprechung zur Anwendung der Generalklausel bei Wohnraum­kün­di­gungen fort

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich erneut mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen die Kündigung eines Wohnraum­miet­verhältnisses durch den Vermieter nach der Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB - hier zwecks Durchführung eines sozialen Wohngrup­pen­projekts durch einen Dritten - wirksam ist.

Die Beklagten des zugrunde liegenden Verfahrens sind seit dem Jahr 1996 Mieter einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung in Rostock, die sie vom Rechtsvorgänger des Klägers angemietet haben. Das Hausgrundstück, das im Jahr 2014 vom Kläger - einem eingetragenen Verein - erworben wurde, ist außerdem mit einer Scheune und einem Nebengebäude bebaut. Nach der Darstellung des Klägers sind sämtliche Gebäude sanie­rungs­be­dürftig.

Hintergrund

Der Kläger ist zugleich an einer Gesellschaft (GmbH) beteiligt, die Trägerin vielfältiger Einrichtungen mit umfassender medizinischer, sozialer, pädagogischer und rehabilitativer Betreuung ist. Diese beabsichtigt, die Gebäude unter Nutzung von Fördermitteln (Inves­ti­ti­o­ns­betrag nach §§ 75 ff. SGB XII pro Tag und Wohnplatz) und ohne finanzielle Belastung für den Kläger im Rahmen eines "Arbeits- und Lebensprojekts" zu sanieren und umzubauen. Dabei sollen im bisherigen Mehrfa­mi­li­enhaus und in der Scheune psychosoziale Wohngruppen mit insgesamt 23 Wohnplätzen und im Nebengebäude eine Tischlerei und Grünholz­werkstatt untergebracht werden. Der Kläger möchte das Grundstück zur Verwirklichung dieses Projekts an die Gesellschaft vermieten.

Kläger kündigt Mietverhältnis zur Realisierung des geplanten Arbeits- und Lebensprojekts

Mit Schreiben vom 1. August 2013 kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit den Beklagten nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB* und begründete dies damit, dass andernfalls das geplante Arbeits- und Lebensprojekt nicht realisiert werden könne. Denn die Zahlung eines Inves­ti­ti­o­ns­zu­schusses von 2,1 Mio. Euro sei unabdingbar mit der Schaffung der Wohnplätze auch im Wohngebäude verbunden. Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten geltend, dass ein Kündigungsgrund nicht vorliege.

AG gibt Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung statt, LG weist Klage ab

Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das erstin­sta­nzliche Urteil allerdings abgeändert und die Klage abgewiesen, da der Kläger nicht ansatzweise dargelegt habe, welche Nachteile ihm selbst - und nicht der Gesellschaft - drohten, wenn das Projekt unter Aussparung der Wohnung der Beklagten umgesetzt würde.

Umsetzung des Projekts wurde bereits zum Zeitpunkt der Verhandlung begonnen

Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungs­gericht war mit der Umsetzung des Projekts unabhängig von den drei für die streit­ge­gen­ständliche Wohnung geplanten Wohngrup­pen­plätzen bereits begonnen worden. Es wurden nicht nur das Nebengebäude, sondern auch einzelne Räume des Wohnhauses nach ihrer Sanierung schon zweck­ent­sprechend genutzt.

BGH erklärt streit­ge­gen­ständliche Kündigung für unwirksam

Der Bundes­ge­richtshof entschied, dass die streit­ge­gen­ständliche Kündigung unwirksam ist, weil weder der vom Kläger geltend gemachte Kündi­gung­s­tat­bestand der Verwer­tungs­kün­digung (573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) vorliegt noch ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist. Der Kläger würde durch die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses mit den Beklagten - selbst wenn man ihm zusätzlich zu seinen wirtschaft­lichen Interessen die Berufung auf die von der Gesellschaft verfolgten gemeinnützigen Interessen gestattete - keinen Nachteil "von einigem Gewicht" erleiden. Damit überträgt der Bundes­ge­richtshof seine im Urteil vom 29. März 2017 entwickelte Rechtsprechung zu den Anforderungen an die Anwendung der Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB bei einem Geschäftsbedarf des Vermieters auf weitere Fälle des Nutzungsbedarfs des Vermieters.

Kündi­gung­s­tat­bestand der Verwer­tungs­kün­digung nicht erfüllt

Auch im nun entschiedenen Fall war einer der typisierten Regel­tat­be­stände des § 573 Abs. 2 BGB, in denen der Gesetzgeber für die praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt hat, unter welchen Umständen dem Erlan­gungs­wunsch des Vermieters Vorrang vor dem Bestan­d­in­teresse des Mieters zukommt, nicht einschlägig. Der vom Kläger zusätzlich zur Generalklausel nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB benannte Kündi­gung­s­tat­bestand der Verwer­tungs­kün­digung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) setzt voraus, dass der Vermieter durch den Fortbestand des Mietver­hält­nisses an einer Realisierung des dem Grundstück innewohnenden materiellen Werts, was in erster Linie durch Vermietung und Veräußerung geschieht, gehindert ist. Nach eigenen Angaben hegt der Kläger jedoch überhaupt nicht die Erwartung, durch die Vermietung des - nach der Sanierung im Wert gestiegenen Grundstücks - an die Gesellschaft höhere Mieteinnahmen zu erzielen, sondern verfolgt vielmehr die Absicht, das Anwesen der gewerblichen Nutzung zur Umsetzung eines sozialpolitisch erwünschten Zwecks zuzuführen. Damit schied schon mangels wirtschaft­licher Verwer­tungs­absicht eine Verwer­tungs­kün­digung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB aus.

Rechtsposition des Vermieters als auch Besitzrecht des Mieters sind von verfas­sungs­recht­licher Eigen­tums­ga­rantie geschützt

Bei Anwendung der danach allein noch in Betracht kommenden Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangt das Gesetz eine einzel­fa­ll­be­zogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietver­trags­parteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfas­sungs­recht­lichen Eigen­tums­ga­rantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei.

Typisierte Regel­tat­be­stände geben ersten Anhalt für erforderliche Inter­es­sen­be­wertung und -abwägung

Wie der Bundes­ge­richtshof bereits in seinem Urteil vom 29. März 2017 entschieden hat, geben die typisierten Regel­tat­be­stände des § 573 Abs. 2 BGB allerdings einen ersten Anhalt für die erforderliche Inter­es­sen­be­wertung und -abwägung. Die für die Anerkennung eines berechtigten Interesses im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Gewichtigkeit der geltend gemachten Belange ist zunächst davon abhängig, mit welchem Regeltatbestand das geltend gemachte Interesse am ehesten vergleichbar ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen reicht es in den Fällen, in denen das vom Vermieter geltend gemachte Interesse an der Beendigung des Mietver­hält­nisses eine größere Nähe zum Eigen­be­da­rf­s­tat­bestand aufweist, regelmäßig aus, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen beachtenswerten Nachteil begründet. Ist das angeführte Interesse dagegen mehr mit der von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfassten wirtschaft­lichen Verwertung vergleichbar, muss der Fortbestand des Wohnraum­miet­ver­hält­nisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, der je nach Fallgestaltung auch die Intensität eines erheblichen Nachteils im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfordern kann.

BGH verneint berechtigtes Interesse des Vermieters an Beendigung des Mietver­hält­nisses

Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietver­hält­nisses nicht gegeben. Dabei kann letztlich sogar offen bleiben, ob sich der Kläger als privater Vermieter überhaupt auf die Gemein­nüt­zigkeit des von der Gesellschaft (GmbH) - und damit von einer juristischen Person, mit der er nur gesell­schafts­ver­traglich verbunden ist - verfolgten Projekts berufen kann. In diesem Fall wäre sein Interesse zwar (auch) darauf gerichtet, psychosoziale Wohngrup­pen­plätze einzurichten, also am Ende die Mietwohnung aus Gründen der Gemein­nüt­zigkeit wiederum Wohnzwecken (einschließlich einer umfassenden Betreuung) zuzuführen. Insofern bleibt der personale Einschlag des Nutzungs­in­teresses jedoch deutlich hinter dem der Eigen­be­da­rfs­kün­digung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) zurück. Daneben verfolgt der Kläger auch (signifikante) wirtschaftliche Interessen. Zwar strebt er nicht die Erzielung höherer Mieten an, er will aber eigene Aufwendungen für die erforderlichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen ersparen, indem er das Grundstück der Gesellschaft zur Verwirklichung des von dieser geplanten - und inzwischen auch teilweise bereits umgesetzten - Projekts zur gewerblichen Nutzung überlässt. Außerdem ist er als Gesellschafter an einem möglichen Gewinn beteiligt.

Vorenthaltung der Mieträume stellen keine ins Gewicht fallenden Nachteile für Vermieter dar

Insgesamt weist die vom Kläger geltend gemachte Interessenlage damit eine größere Nähe zur Verwer­tungs­kün­digung auf, so dass für die Annahme eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietver­hält­nisses erforderlich ist, dass der Vermieter durch die Vorenthaltung der Mieträume einen Nachteil von einigem Gewicht erleidet. Diese Schwelle erreichen die vom Kläger aufgeführten Gründe jedoch nicht. Insbesondere gefährdet die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses nach den vom Berufungs­gericht verfah­rens­feh­lerfrei getroffenen Feststellungen die Finanzierung und Verwirklichung des Gesamtprojekts nicht, sondern führt lediglich dazu, dass drei von insgesamt dreiundzwanzig geplanten Wohngrup­pen­plätzen nicht geschaffen werden können.

§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters

(1) 1 Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietver­hält­nisses hat. 2 Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietver­hält­nisses liegt insbesondere vor, wenn

1.[...]

2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familien­an­ge­hörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder

3. der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietver­hält­nisses an einer angemessenen wirtschaft­lichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde; die Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete zu erzielen, bleibt außer Betracht; der Vermieter kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungs­ei­gentum veräußern will.

[...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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