21.11.2024
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Urteil26.11.2008BundesgerichtshofVIII ZR 200/05
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BB 2009, 292Zeitschrift: Betriebs-Berater (BB), Jahrgang: 2009, Seite: 292
  • DAR 2009, 85Zeitschrift: Deutsches Autorecht (DAR), Jahrgang: 2009, Seite: 85
  • NJW 2009, 427Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2009, Seite: 427
  • VersR 2009, 1504Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 2009, Seite: 1504
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil26.11.2008

Kein Wertersatz für die Nutzung mangelhafter Ware im Fall der ErsatzlieferungRicht­li­ni­en­konforme Beschränkung des Gesetzes beim Verbrauchs­gü­terkauf

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass beim Verbrauchs­gü­terkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) der Verkäufer von dem Verbraucher im Falle der Ersatzlieferung für eine mangelhafte Ware entgegen dem Wortlaut des Gesetzes (§ 439 Abs. 4, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) keinen Wertersatz für die Nutzung der zunächst gelieferten Kaufsache verlangen kann. Diese richt­li­ni­en­konforme Rechts­fort­bildung ist erforderlich, weil eine Verpflichtung des Verbrauchers zur Zahlung von Wertersatz für die Nutzung mit Art. 3 der europäischen Verbrauchs­güter­kauf­richtlinie nicht vereinbar ist.

Eine Verbraucherin hatte im Sommer 2002 bei der Beklagten, einem Versand­han­dels­un­ter­nehmen, ein "Herd-Set" zum Preis von 524,90 € gekauft. Im Januar 2004 stellte die Kundin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen aus. Für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Gerätes verlangte sie rund 70 €, die die Käuferin entrichtete. Der Kläger (Bundesverband der Verbrau­cher­zen­tralen und Verbrau­cher­verbände e.V.) fordert aufgrund einer Ermächtigung durch die Käuferin von der Beklagten die Rückzahlung dieses Betrages. Weiterhin verlangt er von der Beklagten, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände von Verbrauchern Zahlungen für die Nutzung der zunächst gelieferten Ware zu verlangen.

Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und den Unter­las­sungs­antrag abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt. Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Revision der Beklagten, mit der diese die Abweisung der Klage auch hinsichtlich des Rückzah­lungs­an­spruchs begehrt hat, zurückgewiesen. Dagegen hat er der Revision des Klägers, mit der dieser seinen Unter­las­sungs­antrag weiter verfolgt hat, stattgegeben.

BGH rief Europäischen Gerichtshof zur Vorab­ent­scheidung an

Zunächst hatte der Bundes­ge­richtshof das Verfahren mit Beschluss vom 16. August 2006 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 des EG-Vertrages die Frage zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB mit der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchs­gü­ter­kaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. Nr. L 171/12 vom 7. Juli 1999, Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie) in Einklang steht (Mitteilung der Pressestelle Nr. 118/2006). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat hierüber durch Urteil vom 17. April 2008 entschieden und die vorgelegte Frage wie folgt beantwortet: "Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertrags­widriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertrags­widrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen."

BGH: § 439 Abs. 4 BGB ist einschränkend anzuwenden

Nunmehr hat der Bundes­ge­richtshof entschieden, dass § 439 Abs. 4 BGB im Falle eines Verbrauchs­gü­terkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) entgegen seinem Wortlaut einschränkend anzuwenden ist. Die durch § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) greifen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst ein, sie führen beim Verbrauchsgüterkauf hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.

Diese Einschränkung ist erforderlich, weil eine Verpflichtung des Käufers zur Zahlung von Nutzungsersatz nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften mit Art. 3 der Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie nicht vereinbar ist. An diese Entscheidung sind die nationalen Gerichte gebunden. Sie sind zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurtei­lungs­spielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richt­li­ni­en­konforme Auslegung). Dieser von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz verlangt von den nationalen Gerichten mehr als nur eine Rechtsfindung innerhalb des Geset­zes­wortlauts (Auslegung im engeren Sinne). Der Grundsatz der richt­li­ni­en­kon­formen Auslegung erfordert darüber hinaus, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richt­li­ni­en­konform fortzubilden. Daraus folgt hier das Gebot einer richt­li­ni­en­kon­formen Rechts­fort­bildung durch Beschränkung des § 439 Abs. 4 BGB auf einen mit Art. 3 der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.

BGH: Planwidrige Regelungslücke liegt vor, die durch richterliche Rechts­fort­bildung zu schließen ist

Dies steht im Einklang mit dem Grundsatz der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG). Aus der Geset­zes­be­gründung ergibt sich, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch richterliche Rechts­fort­bildung zu schließen ist. Aus den Geset­zes­ma­te­rialen geht hervor, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, eine richt­li­ni­en­konforme Regelung zu schaffen, jedoch irrtümlich davon ausging, § 439 Abs. 4 BGB sei im Falle des Verbrauchs­gü­terkaufs mit Art. 3 der Verbrauchs­gü­ter­kauf­richtlinie vereinbar (BT-Drs. 14/6040, S. 232 f.). Dies wird dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber nunmehr der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Rechnung tragen und durch eine Geset­ze­s­än­derung eine richt­li­ni­en­konforme Umsetzung der Richtlinie herbeiführen will (Beschluss­emp­fehlung und Bericht des Rechts­aus­schusses vom 15. Oktober 2008, BT-Drs. 16/10607, S. 4, 5 f.).

§ 439 BGB: Nacherfüllung

(4) Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen.

§ 346 BGB: Wirkungen des Rücktritts

(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurück­zu­ge­währen und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.

(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit

1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 217/08 des BGH vom 26.11.2008

der Leitsatz

EG Art. 10, 249 Abs. 3; Richtlinie 1999/44/EG Art. 3; BGB §§ 346 bis 348, § 439 Abs. 4, § 474 Abs. 1 Satz 1

a) Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften geprägte Grundsatz der richt­li­ni­en­kon­formen Auslegung verlangt von den nationalen Gerichten über eine Geset­zes­aus­legung im engeren Sinne hinaus auch, das nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richt­li­ni­en­konform fortzubilden.

b) Eine richt­li­ni­en­konforme Rechts­fort­bildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvoll­stän­digkeit des Gesetzes voraus; eine solche planwidrige Unvoll­stän­digkeit kann sich daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Geset­zes­be­gründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richt­li­ni­en­konforme Regelung zu schaffen, die Annahme des Gesetzgebers, die Regelung sei richt­li­ni­en­konform, aber fehlerhaft ist.

c) § 439 Abs. 4 BGB ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 17. April 2008 (Rs. C-404/06, NJW 2008, 1433 – Quelle AG/Bundesverband der Verbrau­cher­zen­tralen und Verbrau­cher­verbände) im Wege der richt­li­ni­en­kon­formen Rechts­fort­bildung in Fällen des Verbrauchs­gü­terkaufs (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) einschränkend anzuwenden: Die in § 439 Abs. 4 BGB in Bezug genommenen Vorschriften über den Rücktritt (§§ 346 bis 348 BGB) gelten in diesen Fällen nur für die Rückgewähr der mangelhaften Sache selbst, führen hingegen nicht zu einem Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen oder auf Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache.

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