15.11.2024
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Dokument-Nr. 2853

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Bundesgerichtshof Beschluss16.08.2006

Verbraucher müssen Nutzungs­ent­schä­digung nach Ersatzlieferung zahlenVerkäufer hat im Falle der Nacherfüllung durch Neulieferung Anspruch auf Nutzungs­ab­schlag

Der Bundes­ge­richtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 des EG-Vertrages die Frage zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB, die den Käufer im Falle einer Ersatzlieferung dazu verpflichtet, an den Verkäufer eine Vergütung für die Nutzung der zunächst gelieferten mangelhaften Kaufsache zu zahlen, mit Europäischem Gemein­schaftsrecht vereinbar ist.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte eine Kundin im Sommer 2002 für ihren privaten Bedarf bei der Beklagten, einem Versand­han­dels­un­ter­nehmen, ein „Herd-Set“ zum Preis von 524,90 Euro bestellt, das im August 2002 geliefert wurde. Im Januar 2004 stellte die Kundin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen abgelöst hatte. Da eine Reparatur des Gerätes nicht möglich war, tauschte die Beklagte den Backofen verein­ba­rungsgemäß noch im Januar 2004 aus. Für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Gerätes verlangte sie von der Käuferin die Zahlung einer Vergütung von zunächst 119,97 Euro, später 69,97 Euro. Die Käuferin zahlte diesen Betrag an die Beklagte.

Gestützt auf eine entsprechende Ermächtigung durch die Käuferin fordert der Kläger, ein Verbrau­cher­verband, von der Beklagten Rückzahlung dieses Betrags. Weiterhin verlangt der Kläger unter anderem von der Beklagten, es zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Lieferung von Waren, die als Ersatz für mangelhafte Kaufgegenstände zur Verfügung gestellt werden, von Verbrauchern für die Nutzung der mangelhaften Ware eine Entschädigung zu verlangen.

Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und den Unter­las­sungs­antrag abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen beider Parteien hat das Oberlan­des­gericht unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage auch hinsichtlich des Zahlungs­an­spruchs. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Unter­las­sungs­antrag weiter.

Nach § 439 Abs. 4 BGB kann ein Verkäufer, der zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache liefert, vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache „nach Maßgabe der §§ 346 bis 348“ BGB verlangen. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers schließt dies auch den in §§ 346 Abs. 1, 347 BGB ausdrücklich erwähnten Anspruch des Verkäufers auf Herausgabe der Nutzungen ein, die der Käufer aus der mangelhaften Sache bis zu deren Rückgabe gezogen hat. Diese Regelung ist im rechts­wis­sen­schaft­lichen Schrifttum äußerst umstritten. Landgericht und Oberlan­des­gericht haben sich der verbreiteten Kritik angeschlossen und im Wege der Auslegung einen Anspruch der Beklagten auf Nutzungs­ver­gütung verneint.

Dem ist der Bundes­ge­richtshof nicht gefolgt. Er teilt zwar die Bedenken, die von einer Vielzahl von Stimmen gegen einen Anspruch des Verkäufers auf Zahlung einer Nutzungs­ver­gütung in derartigen Fällen vorgebracht werden. Anders als die Vorinstanzen sieht er jedoch keine Möglichkeit, die gesetzliche Regelung im Wege der Auslegung zu korrigieren. Dem steht neben dem eindeutigen Geset­zes­wortlaut insbesondere der in den Geset­zes­ma­te­rialien zum Ausdruck gebrachte eindeutige Wille des Gesetzgebers entgegen, dem Verkäufer für den Fall der Ersatzlieferung auch einen Anspruch auf Herausgabe der vom Käufer gezogenen Nutzungen zuzubilligen. Eine einschränkende Auslegung des § 439 Abs. 4 BGB, die sich in Widerspruch zu dem Wortlaut und dem eindeutig erklärten Willen des Gesetzgebers setzen würde, ist unter Berück­sich­tigung der Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zulässig.

Der Bundes­ge­richtshof hat aber Zweifel, ob die Vorschrift des § 439 Abs. 4 BGB in ihrer den Senat bindenden Auslegung mit der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchs­gü­ter­kaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter in Einklang steht, nach deren Art. 3 Abs. 2 bis 4 die Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes (auch) durch Ersatzlieferung für den Verbraucher unentgeltlich sein und ohne erhebliche Unannehm­lich­keiten für den Verbraucher erfolgen muss. Auch zu dieser Frage werden im rechts­wis­sen­schaft­lichen Schrifttum unter­schiedliche Auffassungen vertreten. Die Entscheidung darüber, ob die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der in § 439 Abs. 4 in Verbindung mit §§ 346 bis 348 BGB statuierten Verpflichtung des Verbrauchers entgegenstehen, dem Verkäufer im Falle der Ersatzlieferung Wertersatz für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Verbrauchsgutes zu leisten, ist gemäß Art. 234 des EG-Vertrages dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten. Der Bundes­ge­richtshof hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die erörterte Frage zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 118/06 des BGH vom 16.08.2006

der Leitsatz

Verbrauchs­gü­ter­kaufRL Art. 3; BGB § 439

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts gemäß Art. 234 EG zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt:

Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 oder des Art. 3 Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchs­gü­terkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die besagt, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung von dem Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des zunächst gelieferten vertrags­widrigen Verbrauchsgutes verlangen kann?

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