18.10.2024
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Bundesgerichtshof Urteil07.02.2018

Verbrauchs­steigerung von 1.000 %: Kunde muss bei "ernsthafter Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers" Rechnung mit ungewöhnlich hohem Stromverbrauch nicht zahlenBGH zum vorläufigen Zahlungs­verweigerungs­recht des Haushaltskunden gegenüber dem Grundversorger bei Berechnung eines ungewöhnlich hohen Stromverbrauchs

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Verbraucher bei einem ungewöhnlich hohen Stromverbrauch die Rechnung dann nicht zahlen müssen, wenn die "ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers" besteht.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist ein Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen, das in Oldenburg die Grundversorgung wahrnimmt und auch die Beklagten im Grund­ver­sor­gungs­ver­hältnis unter anderem mit Strom belieferte. Bei den Beklagten handelt es sich um ein älteres Ehepaar, in dessen Haushalt im streit­ge­gen­ständ­lichen Zeitraum außerdem zeitweise noch ein Enkel lebte.

Beklagte bestreiten Verbrauch in Höhe der in Rechnung gestellten Menge

Für den etwa einjährigen Abrech­nungs­zeitraum 2014/2015 berechnete die Klägerin den Beklagten 9.073,40 Euro aufgrund eines abgelesenen Verbrauchs in Höhe von 31.814 kWh. Die Beklagten bestritten, dass sie die ihnen in Rechnung gestellte Strommenge, die etwa zehnmal höher ist als ihr Verbrauch im Vorjah­res­zeitraum und auch der übliche Verbrauch von Haushalten vergleichbaren Zuschnittes, tatsächlich verbraucht haben. Den Stromzähler an der Abnahmestelle hat die Klägerin noch im Juli 2015 ausbauen lassen und entsorgt, nachdem eine Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle ausweislich des darüber ausgestellten Prüfprotokolls keine Mängel ergeben hatte.

Möglichkeit eines Fehlers aufgrund enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung nicht ausgeschlossen

Das Landgericht Oldenburg verurteilte die Beklagten zur Zahlung der von der Klägerin in ihrer Rechnung ausgewiesenen Vergütung. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberlan­des­gericht Oldenburg das erstin­sta­nzliche Urteil und wies die Klage ab. Die ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV könne sich auch aus einer enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung der Verbrauchswerte von denen vorangegangener oder nachfolgender Abrech­nungs­pe­rioden ergeben. Dafür, dass die Beklagten die vorliegend abgerechnete exorbitante Strommenge tatsächlich selbst verbraucht haben könnten, seien nach ihrem (eher bescheidenen) Lebenszuschnitt und der Auflistung der in ihrem Haushalt vorhandenen Stromabnehmer keine Anhaltspunkte zu erkennen. Wie es zu der Anzeige des außergewöhnlich hohen Verbrauchs gekommen sei, bleibe rätselhaft.

Mit ihrer vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungs­be­gehren weiter.

Auch BGH bejaht ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers

Der Bundes­ge­richtshof hat die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts bestätigt und die Revision des Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmens zurückgewiesen. Die Beurteilung des Berufungs­ge­richts, dass hier die "ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers" im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV bestehe, ist angesichts der von ihm festgestellten Umstände aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, sondern vielmehr nahe liegend. Insbesondere hat das Berufungs­gericht - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht fehlerhaft einen unzutreffenden, zu Gunsten des Kunden zu großzügigen Maßstab angelegt.

Verordnung soll dem Grunde nach Liqui­di­täts­engpässe und Versor­gungs­ein­schrän­kungen aufgrund von Verbrau­che­r­ein­wänden vermeiden

Die Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV beruht zwar - ebenso wie die von ihr abgelöste Vorgän­ger­re­gelung des § 30 Nr. 1 AVBEltV - auf der Erwägung des Verord­nungs­gebers, dass die grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten Grundversorger nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Preis­for­de­rungen hinnehmen müssen, die sich daraus ergeben, dass Kunden Einwände geltend machen, die sich letztlich als unberechtigt erweisen. Um Liqui­di­täts­engpässe und daraus folgende Versor­gungs­ein­schrän­kungen zu vermeiden, wollte der Verord­nungsgeber es den Versor­gungs­un­ter­nehmen ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchzusetzen.

Versorger hat dennoch Darlegungs- und Beweislast für Richtigkeit der Abrechnung

Der Kunde wird deshalb nach § 17 StromGVV im Regelfall mit seinen Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung (insbesondere Mess- und Ablesefehler) im Zahlungsprozess des Versorgers ausgeschlossen. Dadurch wird der Kunde aber nicht rechtlos gestellt. Denn die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers für die Richtigkeit der Abrechnung ändert diese Regelung nicht. Vielmehr wird die Beweisaufnahme in den Fällen, in denen der Kunde nach § 17 StromGVV mit seinen Einwendungen ausgeschlossen ist, lediglich auf den Rückfor­de­rungs­prozess des Kunden verlagert.

Kunde kann bei ernsthafter Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers nicht auf späteren Rückfor­de­rungs­prozess verwiesen werden

Sofern der Kunde allerdings (wie hier die Beklagten angesichts des abgelesenen angeblichen enormen Verbrauchs) bereits die "ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers" aufzeigen kann, ist er mit seinem Einwand nicht auf einen späteren Rückfor­de­rungs­prozess verwiesen. Vielmehr ist sein Einwand, die berechnete Strommenge nicht bezogen zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen. Das Energie­ver­sor­gungs­un­ter­nehmen muss dann nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den tatsächlichen Bezug der in Rechnung gestellten Energiemenge beweisen. Insoweit hatte die Klägerin in den Tatsa­chen­in­stanzen jedoch keinen tauglichen Beweis angetreten und den streitigen Zähler zudem entsorgt.

§ 17 StromGVV Zahlung, Verzug

Erläuterungen
(1) [...] 2 Einwände gegen Rechnungen und Abschlags­be­rech­nungen berechtigen gegenüber dem Grundversorger zum Zahlungs­aufschub oder zur Zahlungs­ver­wei­gerung nur,

1. soweit die ernsthafte Möglichkeit eines offen­sicht­lichen Fehlers besteht [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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