21.11.2024
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Dokument-Nr. 7018

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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil19.11.2008

BGH zur Kontrolle des Gaspreises gemäß § 315 BGB nach Tariferhöhung des GasversorgersGasversorger dürfen Preis­ka­l­ku­lation geheim halten

Gasunternehmen können ihre Preise auch erhöhen, ohne dass sie ihre eigenen Kosten detailliert offen legen müssen. Dies hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Die Richter haben mit ihrem Urteil die zivil­ge­richtliche Überprüfung von Gaspreis­er­hö­hungen beschränkt. Soweit der Gasversorger die Erhöhung seiner eigenen Kosten weitergebe, sei dies nicht zu beanstanden.

Der VIII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte darüber zu entscheiden, ob der allgemeine Tarif eines Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AVBGasV insgesamt oder, soweit er erhöht worden ist, der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt und welche Anforderungen dabei an das Vorbringen des Gasversorgers zu stellen sind.

Sachverhalt

Die Beklagte, ein kommunales Gasver­sor­gungs­un­ter­nehmen, beliefert den Kläger seit 1983 als Tarifkunden mit Gas. Zum 1. Januar 2005, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 erhöhte sie jeweils ihren Arbeitspreis. Der Kläger leistete auf die Jahresrechnung 2005 und auf Abschlags­rech­nungen für das Jahr 2006 nur Teilbeträge und behielt 594,84 € ein, weil er die (erhöhten) Gaspreise der Beklagten für unbillig hielt. Die Beklagte hat diesen Betrag im Wege der Widerklage geltend gemacht. Das Amtsgericht hat der Widerklage stattgegeben. Das Landgericht hat sie auf die Berufung des Klägers abgewiesen mit der Begründung, die von der Beklagten verlangten Preise seien einer Billig­keits­kon­trolle (§ 315 BGB) zu unterziehen; eine solche sei jedoch nicht möglich, weil die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen sei.

BGH: Landgericht stellte zu hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers

Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung und Zurück­ver­weisung des Verfahrens an das Berufungs­gericht, weil das Berufungs­gericht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers rechts­feh­lerhaft überspannt hat.

Billig­keits­kon­trolle gemäß § 315 BGB

Der Bundes­ge­richtshof hat offen gelassen, ob der Kläger die Tarife der Beklagten insgesamt beanstandet oder ob er sich nur gegen die Tariferhöhungen gewandt hat. In beiden Fällen unterliegen allein die Tariferhöhungen einer gerichtlichen Billig­keits­kon­trolle gemäß § 315 BGB, weil sie von dem Versorger auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV einseitig vorgenommen werden. Für eine umfassende gerichtliche Überprüfung allgemeiner Tarife eines Gasversorgers im Sinne von § 10 EnWG 1998 (§ 36 EnWG 2005), § 4 AVBGasV ist dagegen kein Raum (Bestätigung von BGHZ 172, 315 = BGH, Urteil v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 -). Soweit der Kunde die Tarife bei Abschluss des Liefervertrages oder später akzeptiert, werden sie Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung. Vertragspreise können zwar nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs einer gerichtlichen Kontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB unterliegen, wenn der Anbieter, wie die Beklagte, eine Monopolstellung innehat. Die Analogie zu § 315 BGB würde jedoch bei den allgemeinen Tarifen für Gas der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der – anders als für die Strompreise – eine staatliche Prüfung und Genehmigung dieser Tarife wiederholt abgelehnt hat. Der Preissockel, der durch den vertraglich vereinbarten Tarif gebildet wird, ist deshalb auch einer Billig­keits­kon­trolle durch staatliche Gerichte entzogen.

Gasversorger muss darlegen, dass sich seine Bezugskosten erhöht haben

Die nach § 315 Abs. 1 BGB dem Gasversorger obliegende Darlegung und der von ihm zu führende Beweis dafür, dass die Tariferhöhungen der Billigkeit entsprechen, brauchen danach nicht den gesamten Tarif zu umfassen. Die Billigkeit einer Tariferhöhung ist schlüssig vorgetragen, wenn der Versorger für den maßgeblichen Zeitraum darlegt, dass sich seine Bezugskosten entsprechend erhöht haben und nicht durch einen Rückgang sonstiger Kosten der Gasversorgung ganz oder teilweise ausgeglichen worden sind. Dabei muss er nicht notwendig die absolute Höhe seiner Bezugspreise angeben und die Bezugsverträge mit seinen Lieferanten vorlegen. Es reicht aus, wenn er vorträgt, dass und in welchem Umfang sich aufgrund von Preis­än­de­rungs­klauseln in den Bezugsverträgen seine Bezugspreise erhöht haben; Beweis dafür kann er auch durch Zeugen anbieten.

Für Billigkeit kann auch von Bedeutung sein, ob der Versorger im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preis­an­pas­sungs­klauseln und Preiss­tei­ge­rungen vereinbart hat

Ferner kann für die Unbilligkeit einer Tariferhöhung von Bedeutung sein, ob der Versorger im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preis­an­pas­sungs­klauseln und Preiss­tei­ge­rungen akzeptiert hat, die er - auch unter Berück­sich­tigung des ihm zuzubilligenden unter­neh­me­rischen Entschei­dungs­spielraums - ohne die Möglichkeit einer Weitergabe durch Tariferhöhung aus betrie­bs­wirt­schaft­lichen Gründen vermieden hätte. Dafür, dass dies bei der von der Beklagten angeführten Ölpreisbindung der Fall gewesen wäre, gab es jedoch nach dem Parteivortrag keine Anhaltspunkte. Unerheblich ist, ob der Versorger die Steigerung der Gasbezugskosten durch zurückgehende Kosten in anderen Unter­neh­mens­be­reichen außerhalb der Gassparte hätte auffangen können.

Geheim­hal­tungs­in­teresse des Gasversorgers an Geschäftsdaten ist mit dem Interesse der gerichtlichen Überprüfung des Gaspreises abzuwägen

Für den Fall, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens der von der Beklagten angebotene Zeugenbeweis für die von ihr behauptete Bezugs­kos­ten­stei­gerung nicht ausreichen sollte, um die Überzeugung des Tatrichters von dieser Tatsache zu begründen, und es deshalb der Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens bedürfen sollte, für das die Beklagten weitere Geschäfts­un­terlagen vorlegen müsste, hat der Senat darauf hingewiesen, dass ein verfas­sungs­rechtlich geschütztes Geheim­hal­tungs­in­teresse an Geschäftsdaten nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden kann, der Gasversorger müsse für die durch § 315 BGB angeordnete gerichtliche Überprüfung alle erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen uneingeschränkt offen legen. Das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Gasversorgers an der Geheimhaltung konkret begründeter Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heimnisse ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes abzuwägen und - unter Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten der §§ 172 ff. GVG - so weit wie möglich auszugleichen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 211/2008 des BGH vom 19.11.2008

der Leitsatz

BGB § 315; EnWG 1998 § 10; AVBGasV § 4;

GG Art. 12 Abs. 1; GVG § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3

a) Allgemeine Tarife eines Gasversorgers im Sinne von § 10 EnWG 1998, § 4 AVBGasV unterliegen, soweit sie Gegenstand einer vertraglichen Einigung zwischen dem Versorger und dem Kunden geworden sind, nicht einer umfassenden gerichtlichen Billig­keits­kon­trolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB. Die Analogie würde der Entscheidung des Gesetzgebers zuwiderlaufen, von einer staatlichen Regulierung der allgemeinen Tarife für Gas abzusehen.

b) Einseitige Tariferhöhungen nach § 4 Abs. 1 AVBGasV während des laufenden Vertrags­ver­hält­nisses sind gemäß § 315 BGB von dem Versorger nach billigem Ermessen vorzunehmen und gerichtlich zu überprüfen (Bestätigung von BGHZ 172, 315). Soweit sich der Gasversorger für die Billigkeit auf eine Bezugs­kos­ten­stei­gerung beruft, muss er für einen hinreichend substantiierten Vortrag und ein geeignetes Beweisangebot nicht notwendig die absolute Höhe seiner Bezugspreise angeben und die Bezugsverträge mit seinen Lieferanten vorlegen.

c) Für die Billigkeit einer auf eine Bezugs­kos­ten­stei­gerung gestützten Tariferhöhung kommt es nicht darauf an, ob der Versorger die Steigerung der Gasbezugskosten durch zurückgehende Kosten in anderen Unter­neh­mens­be­reichen außerhalb der Gassparte hätte auffangen können.

d) Im Rahmen der gerichtlichen Billig­keits­kon­trolle einer einseitigen Tariferhöhung nach § 315 BGB ist ein nach Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse des Gasversorgers an der Geheimhaltung konkreter Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heimnisse mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes abzuwägen und - unter Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten der §§ 172 ff. GVG - so weit wie möglich auszugleichen; ein verfas­sungs­rechtlich geschütztes Geheim­hal­tungs­in­teresse kann nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden, der Gasversorger müsse für die durch § 315 BGB angeordnete gerichtliche Überprüfung alle erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen uneingeschränkt offen legen.

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