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- Amtsgericht Dinslaken, Urteil13.07.2006, 31 C 295/05
- Landgericht Duisburg, Urteil10.05.2007, 5 S 76/06
Bundesgerichtshof Urteil19.11.2008
BGH zur Kontrolle des Gaspreises gemäß § 315 BGB nach Tariferhöhung des GasversorgersGasversorger dürfen Preiskalkulation geheim halten
Gasunternehmen können ihre Preise auch erhöhen, ohne dass sie ihre eigenen Kosten detailliert offen legen müssen. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Richter haben mit ihrem Urteil die zivilgerichtliche Überprüfung von Gaspreiserhöhungen beschränkt. Soweit der Gasversorger die Erhöhung seiner eigenen Kosten weitergebe, sei dies nicht zu beanstanden.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, ob der allgemeine Tarif eines Gasversorgungsunternehmens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AVBGasV insgesamt oder, soweit er erhöht worden ist, der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt und welche Anforderungen dabei an das Vorbringen des Gasversorgers zu stellen sind.
Sachverhalt
Die Beklagte, ein kommunales Gasversorgungsunternehmen, beliefert den Kläger seit 1983 als Tarifkunden mit Gas. Zum 1. Januar 2005, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 erhöhte sie jeweils ihren Arbeitspreis. Der Kläger leistete auf die Jahresrechnung 2005 und auf Abschlagsrechnungen für das Jahr 2006 nur Teilbeträge und behielt 594,84 € ein, weil er die (erhöhten) Gaspreise der Beklagten für unbillig hielt. Die Beklagte hat diesen Betrag im Wege der Widerklage geltend gemacht. Das Amtsgericht hat der Widerklage stattgegeben. Das Landgericht hat sie auf die Berufung des Klägers abgewiesen mit der Begründung, die von der Beklagten verlangten Preise seien einer Billigkeitskontrolle (§ 315 BGB) zu unterziehen; eine solche sei jedoch nicht möglich, weil die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen sei.
BGH: Landgericht stellte zu hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers
Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg. Sie führte zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht, weil das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers rechtsfehlerhaft überspannt hat.
Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB
Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob der Kläger die Tarife der Beklagten insgesamt beanstandet oder ob er sich nur gegen die Tariferhöhungen gewandt hat. In beiden Fällen unterliegen allein die Tariferhöhungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB, weil sie von dem Versorger auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV einseitig vorgenommen werden. Für eine umfassende gerichtliche Überprüfung allgemeiner Tarife eines Gasversorgers im Sinne von § 10 EnWG 1998 (§ 36 EnWG 2005), § 4 AVBGasV ist dagegen kein Raum (Bestätigung von BGHZ 172, 315 = BGH, Urteil v. 13.06.2007 - VIII ZR 36/06 -). Soweit der Kunde die Tarife bei Abschluss des Liefervertrages oder später akzeptiert, werden sie Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung. Vertragspreise können zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einer gerichtlichen Kontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB unterliegen, wenn der Anbieter, wie die Beklagte, eine Monopolstellung innehat. Die Analogie zu § 315 BGB würde jedoch bei den allgemeinen Tarifen für Gas der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen, der – anders als für die Strompreise – eine staatliche Prüfung und Genehmigung dieser Tarife wiederholt abgelehnt hat. Der Preissockel, der durch den vertraglich vereinbarten Tarif gebildet wird, ist deshalb auch einer Billigkeitskontrolle durch staatliche Gerichte entzogen.
Gasversorger muss darlegen, dass sich seine Bezugskosten erhöht haben
Die nach § 315 Abs. 1 BGB dem Gasversorger obliegende Darlegung und der von ihm zu führende Beweis dafür, dass die Tariferhöhungen der Billigkeit entsprechen, brauchen danach nicht den gesamten Tarif zu umfassen. Die Billigkeit einer Tariferhöhung ist schlüssig vorgetragen, wenn der Versorger für den maßgeblichen Zeitraum darlegt, dass sich seine Bezugskosten entsprechend erhöht haben und nicht durch einen Rückgang sonstiger Kosten der Gasversorgung ganz oder teilweise ausgeglichen worden sind. Dabei muss er nicht notwendig die absolute Höhe seiner Bezugspreise angeben und die Bezugsverträge mit seinen Lieferanten vorlegen. Es reicht aus, wenn er vorträgt, dass und in welchem Umfang sich aufgrund von Preisänderungsklauseln in den Bezugsverträgen seine Bezugspreise erhöht haben; Beweis dafür kann er auch durch Zeugen anbieten.
Für Billigkeit kann auch von Bedeutung sein, ob der Versorger im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und Preissteigerungen vereinbart hat
Ferner kann für die Unbilligkeit einer Tariferhöhung von Bedeutung sein, ob der Versorger im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und Preissteigerungen akzeptiert hat, die er - auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums - ohne die Möglichkeit einer Weitergabe durch Tariferhöhung aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Dafür, dass dies bei der von der Beklagten angeführten Ölpreisbindung der Fall gewesen wäre, gab es jedoch nach dem Parteivortrag keine Anhaltspunkte. Unerheblich ist, ob der Versorger die Steigerung der Gasbezugskosten durch zurückgehende Kosten in anderen Unternehmensbereichen außerhalb der Gassparte hätte auffangen können.
Geheimhaltungsinteresse des Gasversorgers an Geschäftsdaten ist mit dem Interesse der gerichtlichen Überprüfung des Gaspreises abzuwägen
Für den Fall, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens der von der Beklagten angebotene Zeugenbeweis für die von ihr behauptete Bezugskostensteigerung nicht ausreichen sollte, um die Überzeugung des Tatrichters von dieser Tatsache zu begründen, und es deshalb der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedürfen sollte, für das die Beklagten weitere Geschäftsunterlagen vorlegen müsste, hat der Senat darauf hingewiesen, dass ein verfassungsrechtlich geschütztes Geheimhaltungsinteresse an Geschäftsdaten nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden kann, der Gasversorger müsse für die durch § 315 BGB angeordnete gerichtliche Überprüfung alle erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen uneingeschränkt offen legen. Das nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Gasversorgers an der Geheimhaltung konkret begründeter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes abzuwägen und - unter Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten der §§ 172 ff. GVG - so weit wie möglich auszugleichen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.11.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 211/2008 des BGH vom 19.11.2008
der Leitsatz
BGB § 315; EnWG 1998 § 10; AVBGasV § 4;
GG Art. 12 Abs. 1; GVG § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3
a) Allgemeine Tarife eines Gasversorgers im Sinne von § 10 EnWG 1998, § 4 AVBGasV unterliegen, soweit sie Gegenstand einer vertraglichen Einigung zwischen dem Versorger und dem Kunden geworden sind, nicht einer umfassenden gerichtlichen Billigkeitskontrolle in entsprechender Anwendung von § 315 BGB. Die Analogie würde der Entscheidung des Gesetzgebers zuwiderlaufen, von einer staatlichen Regulierung der allgemeinen Tarife für Gas abzusehen.
b) Einseitige Tariferhöhungen nach § 4 Abs. 1 AVBGasV während des laufenden Vertragsverhältnisses sind gemäß § 315 BGB von dem Versorger nach billigem Ermessen vorzunehmen und gerichtlich zu überprüfen (Bestätigung von BGHZ 172, 315). Soweit sich der Gasversorger für die Billigkeit auf eine Bezugskostensteigerung beruft, muss er für einen hinreichend substantiierten Vortrag und ein geeignetes Beweisangebot nicht notwendig die absolute Höhe seiner Bezugspreise angeben und die Bezugsverträge mit seinen Lieferanten vorlegen.
c) Für die Billigkeit einer auf eine Bezugskostensteigerung gestützten Tariferhöhung kommt es nicht darauf an, ob der Versorger die Steigerung der Gasbezugskosten durch zurückgehende Kosten in anderen Unternehmensbereichen außerhalb der Gassparte hätte auffangen können.
d) Im Rahmen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle einer einseitigen Tariferhöhung nach § 315 BGB ist ein nach Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse des Gasversorgers an der Geheimhaltung konkreter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes abzuwägen und - unter Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten der §§ 172 ff. GVG - so weit wie möglich auszugleichen; ein verfassungsrechtlich geschütztes Geheimhaltungsinteresse kann nicht von vornherein mit der Begründung verneint werden, der Gasversorger müsse für die durch § 315 BGB angeordnete gerichtliche Überprüfung alle erforderlichen Unterlagen und Kalkulationen uneingeschränkt offen legen.
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