21.11.2024
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Dokument-Nr. 31432

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Urteil15.02.2022BundesgerichtshofVI ZR 937/20
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Bundesgerichtshof Urteil15.02.2022

BGH verwirft "taggenaue Berechnung" des Schmer­zens­geldesGesamt­be­trachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich

Schmerzensgeld zum Beispiel nach einem Verkehrsunfall darf nicht nach einem festen Schema berechnet werden. Erforderlich sei «eine Gesamt­be­trachtung aller Umstände des Einzelfalls» entschied der Bundes­ge­richtshof in einem Fall aus Hessen klar. Dabei sei in erster Linie das Maß der entstandenen Lebens­beein­träch­tigung zu berücksichtigen.

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 % in seiner Erwer­bs­fä­higkeit gemindert. Die Einstands­pflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflicht­ver­si­cherer des unfall­ve­r­ur­sa­chenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Streit. Das Landgericht hat dem Kläger, soweit für das Revisi­ons­ver­fahren von Interesse, ein Schmerzensgeld von 100.000 € zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlan­des­gericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmer­zens­geldes von insgesamt 200.000 € verurteilt.

Berufungs­gericht wendete Methode "taggenauen Berechnung" an

Nach der vom Berufungs­gericht hierbei angewendeten Methode der sog. "taggenauen Berechnung" des Schmer­zens­geldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behand­lungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebens­be­ein­träch­tigung gestaffelt sind. Das Berufungs­gericht hat diese Tagessätze - ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durch­schnitt­lichen Einkommens - für die verschiedenen Behand­lungs­stufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädi­gungs­folgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor "taggenau" errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungs­gericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmer­zens­geldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungs­gericht im Streitfall keinen Gebrauch gemacht. Mit der vom Berufungs­gericht insoweit zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wieder­her­stellung des landge­richt­lichen Urteils.

BGH hebt Berufungsurteil auf

Der Bundes­ge­richtshof hat die Entscheidung des Berufungs­ge­richts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Maßgebend für die Höhe des Schmer­zens­geldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beein­träch­tigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamt­be­trachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebens­be­ein­träch­tigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamt­be­trachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Taggenaue Berechnung wird Einzelfall nicht gerecht

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungs­gericht vorgenommene "taggenaue Berechnung" des Schmer­zens­geldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durch­schnitt­lichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebens­be­ein­träch­tigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungs­gericht wird daher erneut über die Höhe des Schmer­zens­geldes zu befinden haben.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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