18.10.2024
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Sie sehen eine abgedunkelte Fassade von mehreren Hochhäusern, auf der ein Schutzschild leuchtet.

Dokument-Nr. 33910

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Bundesgerichtshof Urteil15.03.2024

Übertragung der Grundsätze zum Werkstattrisiko auf den Sachver­ständigen (Sachver­ständigen­risiko)Grundsätze zum Werkstattrisiko gelten auch für Sachver­ständigen­risiko

Der Bundes­ge­richtshof hat die fortent­wi­ckelten Grundsätze zum Werkstattrisiko auf überhöhte Kostenansätze eines Sachver­ständigen übertragen, den der Geschädigte mit der Begutachtung seines Fahrzeugs zur Ermittlung des unfallbedingten Schadens beauftragt hat.

Bei einem Verkehrsunfall, für den die Beklagte als Haftpflicht­ver­si­cherer des Unfallgegners dem Grunde nach voll haftet, wurde ein Pkw beschädigt. Dessen Halter beauftragte die Klägerin, Inhaberin eines Sachver­stän­di­genbüros, mit der Begutachtung seines verunfallten Pkw und trat gleichzeitig seine diesbezüglichen Schaden­s­er­satz­ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Die Beklagte erstattete die Kosten für das Gutachten mit Ausnahme der von der Klägerin in Rechnung gestellten Position "Zuschlag Schutzmaßnahme Corona" in Höhe von 20 €. Die Klägerin hat diese Rechnungs­po­sition damit begründet, dass sie insbesondere Desin­fek­ti­o­ns­mittel, Einweg­rei­ni­gung­s­tücher und Einma­l­hand­schuhe habe anschaffen müssen. Mit der Klage hat sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 20 € nebst Zinsen verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es war der Auffassung, dass eine "Corona-Pauschale" von dem Sachver­ständigen nicht gesondert in Rechnung gestellt werden dürfe.

Sachver­stän­di­gen­risiko wie Werkstattrisiko zu behandeln

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Das Urteil des Berufungs­ge­richts wurde aufgehoben und die Sache an das Berufungs­gericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dem Geschädigten stand dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachver­stän­di­gen­gut­achtens zu; denn er ist grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadens­gut­achtens zu beauftragen. Dieser Anspruch ist durch die Abtretung auf das klagende Sachver­stän­di­genbüro übergegangen. Auf gegebenenfalls überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachver­ständigen sind die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der BGH im Januar 2024 für überhöhte Kostenansätze einer Werkstatt für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs fortentwickelt hat, übertragbar. Denn den Erkenntnis- und Einwir­kungs­mög­lich­keiten des Geschädigten sind nicht nur in dem werkver­trag­lichen Verhältnis mit einer Repara­tur­werkstatt, sondern auch in dem werkver­trag­lichen Verhältnis mit einem Kfz-Sachver­ständigen Grenzen gesetzt, vor allem sobald er den Gutach­tens­auftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben hat.

Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind demnach auch diejenigen Rechnungs­po­si­tionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirt­schaft­licher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind. Bei einem Kfz-Sachver­ständigen, der sein Grundhonorar nicht nach Stunden, sondern nach Schadenshöhe berechnet, kommt ein für den Geschädigten nicht erkennbar überhöhter Ansatz beispielsweise auch dann in Betracht, wenn der Gutachter den Schaden unzutreffend zu hoch einschätzt. Diesbezügliche Mehrauf­wen­dungen sind dann ebenfalls ersatzfähig, ebenso Rechnungs­po­si­tionen, die sich auf - für den Geschädigten nicht erkennbar - tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen. Allerdings kann der Schädiger im Rahmen des Vorteils­aus­gleichs die Abtretung gegebenenfalls bestehender Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachver­ständigen verlangen.

Rechnung muss noch nicht bezahlt sein

Die Anwendung der genannten Grundsätze zum Werkstattrisiko auf die Sachver­stän­di­gen­kosten setzt nicht voraus, dass der Geschädigte die Rechnung des Sachver­ständigen bereits bezahlt hat. Soweit der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er - will er das Werkstattrisiko bzw. hier das Sachverständigenrisiko nicht selbst tragen - die Zahlung der Sachver­stän­di­gen­kosten allerdings nicht an sich, sondern nur an den Sachver­ständigen verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger (dieses Risiko betreffender) Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachver­ständigen. Es gelten auch insoweit dieselben Grundsätze wie für die Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs. Hat sich der Sachverständige die Schaden­s­er­satz­for­derung des Geschädigten in Höhe der Honora­r­for­derung abtreten lassen, kann er sich als Zessionar allerdings nicht auf das Sachver­stän­di­gen­risiko berufen. Die diesbezüglich vom BGH entwickelten Grundsätze gelten entsprechend für Sachver­ständigen.

Sachverständige haben einen Entschei­dungs­spielraum

Da im vorliegenden Fall die Klägerin (Inhaberin des Sachver­stän­di­genbüros) aus abgetretenem Recht des Geschädigten vorgeht, kann sie sich auf das Sachver­stän­di­gen­risiko nicht berufen. Sie hat vielmehr darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die mit der Pauschale abgerechneten Corona-Schutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und objektiv erforderlich waren und dass die Pauschale auch ihrer Höhe nach nicht über das Erforderliche hinausgeht. Bei der Beurteilung, ob die durchgeführten Corona-Schutzmaßnahmen objektiv erforderlich waren, ist zu berücksichtigen, dass einem Sachver­ständigen als Unternehmer gewisse Entschei­dungs­spielräume hinsichtlich seines individuellen Hygienekonzepts während der Corona-Pandemie zuzugestehen sind. Dabei geht es nicht nur um den Schutz des Sachver­ständigen und seiner Mitarbeiter vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, sondern auch um den Schutz, den der Auftraggeber der jeweiligen Begutachtung während der Pandemie im Hinblick auf Maßnahmen, die in seinem Fahrzeug durchgeführt werden, üblicherweise bzw. aufgrund der Gepflogenheiten während der Pandemie erwarten darf; diesen Erwartungen zu entsprechen ist ein berechtigtes Anliegen des Sachver­ständigen.

BGH hat keine Einwände gegen Corona-Zusatzkosten

Es begegnet auch keinen grundsätzlichen Bedenken, dass die Klägerin die Corona-Pauschale gesondert berechnet hat. Einem Kfz-Sachver­ständigen steht es frei, neben einem Grundhonorar für seine eigentliche Sachver­stän­di­gen­tä­tigkeit Nebenkosten, auch in Form von Pauschalen, für tatsächlich angefallene Aufwendungen abzurechnen. Die betrie­bs­wirt­schaftliche Entscheidung, ob die für das Hygienekonzept in der Corona-Pandemie anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten in die Kalkulation des Grundhonorars "eingepreist" werden, steht dabei grundsätzlich dem Sachver­ständigen als Unternehmer zu; es darf nur nicht beides kumulativ erfolgen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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