21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil25.05.2020

BGH-Urteil: Schaden­s­er­satzklage im sogenannten "Dieselfall" gegen die VW AG überwiegend erfolgreichAutokäufer hat Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs und Erstattung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzwer­ter­satzes

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung versehenen Fahrzeugs Schadensersatz­ansprüche gegen VW zustehen. Er kann Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises verlangen, muss sich aber den gezogenen Nutzungsvorteil anrechnen lassen und VW das Fahrzeug zur Verfügung stellen.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger erwarb am 10. Januar 2014 zu einem Preis von 31.490,- € brutto von einem Autohändler einen Gebrauchtwagen VW Sharan 2. TDl match, der mit einem 2,-Liter Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 20.000 km. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schad­s­toff­klasse Euro 5 erteilt.

Stickoxidwerte werden durch Software im Prüfstandslauf optimiert

Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgas­rü­ck­füh­rungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgas­rü­ck­führung mit niedrigem Stick­o­xid­ausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgas­rü­ck­füh­rungsmodus , bei dem die Abgas­rü­ck­füh­rungsrate geringer und der Stick­o­xid­ausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stick­o­xid­ausstoß auf dem Prüfstand. Die Stick­o­xid­grenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgas­rü­ck­füh­rungsmodus 1 eingehalten.

Kläger ließ Software-Update 2017 durchführen

Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15. Oktober 2015 erging gegen sie ein bestands­kräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Neben­be­stim­mungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte gab mit Presse­mit­teilung vom 25. November 2015 bekannt, Software-Updates durchzuführen, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 mit 2,-Liter-Hubraum entfernt werden sollte. Nach der Installation sollen die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werden. Der Kläger hat das Software-Update im Februar 2017 durchführen lassen.

Kläger verlangte Erstattung des Kaufpreises

Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen die Zahlung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises in Höhe von 31.490 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlan­des­gericht unter Zulassung der Revision die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Beklagte nebst Nebenpunkten in der Hauptsache verurteilt, an den Kläger 25.616,10 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zahlungs­an­spruchs hat es die Klage abgewiesen.

Käufer muss sich "Nutzungs­vorteile" anrechnen lassen

Die zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie die Klageabweisung erstrebt hat, blieb ganz überwiegend ohne Erfolg; sie war nur in Bezug auf Nebenpunkte geringfügig erfolgreich. Die Revision des Klägers, mit der er die vollständige Erstattung des Kaufpreises ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.

BGH bejahrt vorsätzlich sittenwidrige Schädigung

Nach Auffassung des BGH hat das Berufungs­gericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB haftet. Das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motoren­ent­wicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motor­steu­e­rungs­software bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalt­ein­richtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betrie­bs­be­schränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalt­ein­richtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebraucht­fahrzeugs handelt.

Einbau der unzulässigen Software mit Kenntnis und Billigung der Entwick­lungs­ab­teilung und Vorstände getroffen und umgesetzt

Das Berufungs­gericht hat vor dem Hintergrund des nicht ausreichenden Vortrags der Beklagten zu den in ihrem Konzern erfolgten Vorgängen in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software von den im Hause der Beklagten für die Motoren­ent­wicklung verant­wort­lichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwick­lungs­ab­teilung und den für die Forschungs- und Entwick­lungs­ak­ti­vitäten der Beklagten verant­wort­lichen vormaligen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Zu Recht hat es dieses Verhalten der Beklagten zugerechnet (§ 31 BGB).

Kaufvertrag aufgrund einer arglistigen Täuschung geschlossen

Der Kläger ist veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten eine ungewollte vertragliche Verpflichtung eingegangen. Darin liegt sein Schaden, weil er ein Fahrzeug erhalten hat, das für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Er kann daher von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des Fahrzeugs verlangen. Dabei muss er sich aber die Nutzungs­vorteile auf der Grundlage der gefahrenen Kilometer anrechnen lassen, weil er im Hinblick auf das schaden­s­er­satz­rechtliche Berei­che­rungs­verbot nicht bessergestellt werden darf, als er ohne den ungewollten Vertragsschluss stünde.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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