Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eine Supermarktkette beauftragte ein Werbeunternehmen mit dem Einwurf von Wurfsendungen in den Briefkästen im Umfeld ihrer Supermärkte. Es wurden wöchentlich etwa 1.1 Millionen Handzettel in Briefkästen geworfen. Ein Mann fühlte sich durch die Wurfsendungen belästigt und verlangte von der Supermarktkette die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Da sich diese weigerte eine solche abzugeben, erhob der Mann Klage auf Unterlassung. Er gab an, auf seinem Briefkasten einen Aufkleber angebracht zu haben, der den Einwurf von Werbung und Ähnlichem untersagt habe.
Das Landgericht wies die Klage ab. Auf Berufung des Klägers gab das Oberlandesgericht der Klage statt. Denn der Einwurf von Werbesendungen in den Briefkasten des Klägers habe aus Sicht des Oberlandesgerichts eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts sowie eine Eigentums- bzw. Besitzstörung dargestellt. Gegen das Berufungsurteil legte die Supermarktkette Revision ein.
Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Oberlandesgerichts. Zwar sei die Werbung durch Einwurf von Handzetteln in die Briefkästen potentieller Kunden zulässig. Denn sie diene dem Interesse der Verbraucher, über das Leistungsangebot des werbenden Unternehmens einen Überblick zu verschaffen. Die Belästigung nicht interessierter Empfänger bewege sich dabei noch im zumutbaren Rahmen, da die Zettel schnell als Werbung zu erkennen seien und daher ohne weiteres ausgesondert werden können.
Gibt der Empfänger aber ausdrücklich zu erkennen, dass er Werbewurfsendungen nicht zu erhalten wünscht, müsse sich der Werbende nach Auffassung des Gerichtshofs daran halten. Dies folge aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. Denn der Wille des Bürgers, in seinem Lebensreich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit der Suggestivwirkung der Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, sei als Ausmaß seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig.
Nicht erforderlich sei es gewesen, so der Gerichtshof weiter, dass Werbematerial in solchen Mengen eingeworfen wird, dass die eigentliche Funktion des Briefkastens in Frage gestellt ist. Vielmehr könne sich der Betroffene auch gegen den vereinzelt unerwünschten Einwurf von Werbung zur Wehr setzen. Dabei sei zu beachten gewesen, dass es sich um keine sozialadäquate Belästigung handelte.
Zwar sei die Supermarktkette nach Ansicht der Bundesrichter nur Auftraggeberin der Werbeverteilung und daher nur mittelbare Störerin gewesen. Sie habe aber die Störung veranlasst. Denn sie habe das Werbeunternehmen mit der Durchführung der Werbeaktion beauftragt. Zudem habe sie aus ihrer vertraglichen Beziehung zu diesem Unternehmen über die Mittel verfügt, gegen weitere Störungen des Selbstbestimmungsrechts des Klägers einzuschreiten. Sie habe alle ihr zu Gebote stehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ausschöpfen müssen. Sie hätte eindringlich das Werbeunternehmen auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Organisation und Kontrolle der Werbeaktion hinweisen, sich über den Einsatz geeigneter Schutzvorkehrungen vergewissern, Beanstandungen nachgehen und gegebenenfalls dem Anliegen durch Androhung wirtschaftlicher und rechtlicher Sanktionen einen stärkeren Nachdruck verleihen müssen. Insofern wäre eine Vertragsstrafenvereinbarung denkbar gewesen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.06.2013
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)