23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen eine rote Rose, welche in einer Pfütze liegt.

Dokument-Nr. 13198

Drucken
Urteil16.03.2012BundesgerichtshofV ZR 279/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JZ 2013, 356Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2013, Seite: 356
  • MDR 2012, 643Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 2012, Seite: 643
  • NJW 2012, 1796Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2012, Seite: 1796
  • WM 2013, 237Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM), Jahrgang: 2013, Seite: 237
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.03.2012

NS-Raubkunst: Deutsches Historisches Museum muss die Plakatsammlung Sachs an den Erben herausgebenRegelungen über Wieder­gut­machung national­sozialistischen Unrechts verdrängen nicht zivil­recht­lichen Eigentums­heraus­ga­be­an­spruch des Erben

Der Eigentümer eines durch national­sozialistisches Unrecht entzogenen Kunstwerks, kann dieses nach allgemeinen zivil­recht­lichen Vorschriften (§ 985 BGB) von dem heutigen Besitzer herausverlangen, wenn das Kunstwerk nach dem Krieg verschollen war und deshalb nicht nach den Vorschriften des alliierten Rück­erstattungs­rechts zurückverlangt werden konnte. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Die Entscheidung betrifft die kultur­his­torisch wertvolle Plakatsammlung des jüdischen Zahnarztes Dr. Hans Sachs, die sich heute im Besitz des Deutschen Historischen Museums, einer Stiftung Öffentlichen Rechts, befindet. Das Reich­s­pro­pa­gan­da­mi­nis­terium ließ die Sammlung 1938 aus der Wohnung von Dr. Sachs in Berlin-Schöneberg wegnehmen. Dr. Sachs emigrierte Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war die Sammlung verschollen. Für ihren Verlust bekam Dr. Sachs 1961 im Vergleichsweg eine Wieder­gut­ma­chungs­zahlung von 225.000 DM nach dem Bundes­rü­ck­er­stat­tungs­gesetz. Erst später erfuhr er, dass Teile der Sammlung in einem Museum der DDR aufgetaucht waren. Dr. Sachs starb 1974 und wurde von seiner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der Wieder­ver­ei­nigung irgendwelche Ansprüche wegen der Sammlung erhoben zu haben. Sie wurde von dem Kläger, dem Sohn von Dr. Sachs, beerbt.

Landgericht bejaht Herausgabe der Plakate, Kammergericht verneint dies

Der Kläger hat von dem Deutschen Historischen Museum (Beklagte) zunächst die Herausgabe von zwei Plakaten ("Dogge" und "Die blonde Venus") verlangt. Die Beklagte wollte im Wege der Widerklage festgestellt wissen, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung sei, hilfsweise, dass er nicht berechtigt sei, die in ihrem Besitz befindlichen Plakate heraus zu verlangen. Das Landgericht Berlin hat die Beklagte zur Herausgabe des Plakats "Dogge" verurteilt und weitergehende Klage sowie die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung des Museums hat das Kammergericht – unter Abweisung aller übrigen Anträge – gemäß dem Hilfs­wi­der­kla­ge­antrag der Beklagten festgestellt, dass der Kläger nicht berechtigt ist, die sich im Besitz der Beklagten befindlichen Plakate aus der Sammlung seines Vaters heraus zu verlangen.

BGH: Kläger ist Eigentümer der Plakatsammlung und Herausgabe der Plakate verlangen

Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat das erstin­sta­nzliche Urteil wieder­her­ge­stellt. Die Herausgabe des Plakats "Die blonde Venus", welches nicht zweifelsfrei der Sammlung Sachs zugeordnet werden konnte, hatte der Kläger zuletzt nicht mehr verlangt. Die Anschluss­re­vision der Beklagten, mit der diese den Haupt­wi­der­kla­ge­antrag (Feststellung, dass der Kläger nicht Eigentümer der Plakatsammlung ist) weiterverfolgt hatte, hat der Bundes­ge­richtshof zurückgewiesen. Damit ist festgestellt, dass der Kläger Eigentümer der Plakatsammlung ist und diese von der Beklagten herausverlangen kann.

Zugriff des Reich­s­pro­pa­gan­da­mi­nis­teriums war Wegnahme ohne förmlichen Enteignungsakt

Der Bundes­ge­richtshof ist, wie schon das Kammergericht, davon ausgegangen, dass Dr. Sachs das Eigentum an der Plakatsammlung zu keiner Zeit verloren hat. Insbesondere ließ sich nicht feststellen, dass er die Sammlung, die sich bis zur Wegnahme im Jahr 1938 in seinem Besitz befand, zuvor an einen zum Ankauf bereiten Bankier übereignet hatte. Der Zugriff des Reich­s­pro­pa­gan­da­mi­nis­teriums änderte die Eigen­tums­ver­hältnisse nicht, denn es handelte sich um eine Wegnahme ohne förmlichen Enteignungsakt. Dass die 11. Verordnung zum Reichs­bür­ger­gesetz von 1941, in welcher der Verfall jüdischen Vermögens angeordnet wurde, wegen ihres Unrechtsgehalts keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermochte, hat der Bundes­ge­richtshof bereits 1955 entschieden.

Heraus­ga­be­an­spruch auch 16 Jahre nach der Wieder­ver­ei­nigung nicht verwirkt

Die besonderen Regelungen über die Wieder­gut­machung natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Unrechts verdrängen nicht den zivil­recht­lichen Eigen­tums­her­aus­ga­be­an­spruch (§ 985 BGB) des Klägers. Das Vermögensgesetz findet hier keine Anwendung, weil die Wegnahme der Plakatsammlung nicht im (späteren) Beitrittsgebiet, sondern im Westteil Berlins stattfand. Die Vorschrift des Art. 51 Satz 1 der Rücker­stat­tungs­a­n­ordnung für das Land Berlin (REAO*) und das Bundes­rü­ck­er­stat­tungs­gesetz schließen den Anspruch ebenfalls nicht aus. Zwar hat der Bundes­ge­richtshof in den 1950er Jahren entschieden, dass Ansprüche, die sich aus der Unrecht­mä­ßigkeit einer natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Enteig­nungs­maßnahme ergeben, grundsätzlich nur nach Maßgabe der zur Wieder­gut­machung erlassenen Rückerstattungs- und Entschä­di­gungs­gesetze und in dem dort vorgesehenen Verfahren verfolgt werden können. Diesen Vorschriften kommt aber dann kein Vorrang gegenüber einem Heraus­ga­be­an­spruch nach § 985 BGB zu, wenn der verfol­gungs­bedingt entzogene Vermö­gens­ge­genstand – wie hier und anders als in den bislang durch den Bundes­ge­richtshof entschiedenen Fällen – nach dem Krieg verschollen war und erst nach Ablauf der Anmeldefrist für Rücker­stat­tungs­ansprüche (hier gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 REAO am 30. Juni 1950) wieder aufgetaucht ist. War der Verbleib des entzogenen Gegenstands bis zum Ablauf dieser Frist unbekannt, konnte der Geschädigte im Rahmen des Rücker­stat­tungs­ver­fahrens nicht dessen Rückgabe erreichen, sondern nur eine Entschädigung in Geld verlangen. Bliebe es auch nach Wieder­auf­tauchen des entzogenen Gegenstands dabei, wäre dem Geschädigten - trotz fortbestehenden Eigentums - durch die alliierten Rücker­stat­tungs­vor­schriften jede Möglichkeit genommen, die Wieder­her­stellung des rechtmäßigen Zustands zu verlangen. Auf diese Weise würde das natio­nal­so­zi­a­lis­tische Unrecht perpetuiert. Das ist jedoch mit dem Zweck der alliierten Rücker­stat­tungs­vor­schriften, die Interessen der Geschädigten zu schützen, nicht zu vereinbaren. Der Heraus­ga­be­an­spruch ist entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht verwirkt. Dass er in den ersten 16 Jahren nach der Wieder­ver­ei­nigung nicht geltend gemacht worden ist, genügt nicht hierfür nicht.

* Rücker­stat­tungs­a­n­ordnung für das Land Berlin der Alliierten Kommandantur Berlin – REAO - (BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949)

Art. 1 Grundsätze

(1) Zweck dieser Anordnung ist es, in möglichst großem Umfange beschleunigt die Rückerstattung feststellbarer Vermö­gens­ge­gen­stände (Sachen und Rechte) an natürliche oder juristische Personen zu bewirken, denen sie in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 … aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der politischen Auffassung oder der politischen Gegnerschaft gegen den Natio­nal­so­zi­a­lismus ungerecht­fertigt entzogen worden sind…….

(2) Feststellbare Vermö­gens­ge­gen­stände, die aus den Gründen des Abs. 1 ungerecht­fertigt entzogen worden sind, können nach den Vorschriften dieser Anordnung zurückverlangt werden.

Art. 51 REAO Verhältnis zum ordentlichen Rechtsweg

Ansprüche, die unter diese Anordnung fallen, können, soweit in ihr nichts anderes bestimmt ist, nur in dem Verfahren nach dieser Anordnung und unter Einhaltung ihrer Fristen geltend gemacht werden. Ansprüche aus anderen Gründen, die nicht unter diese Anordnung fallen, können im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil13198

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI