18.10.2024
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Dokument-Nr. 31940

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Bundesgerichtshof Urteil23.06.2022

BGH toleriert Berliner Wärme­dämmungs­vorschriftRegelungen zur grenz­über­schreitende nachträgliche Wärmedämmung von Gesetz­gebungs­kompetenz der Länder umfasst

Der Bundes­ge­richtshofs hatte sich mit der Frage befasst, ob die Regelung in § 16 a Abs. 1 des Nachbargesetzes des Landes Berlin (NachbarG BIn), die eine grenz­über­schreitende nachträgliche Wärmedämmung von Bestandsbauten erlaubt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in Berlin. Das auf dem Grundstück der Beklagten stehende Gebäude ist ca. 7, 5 m niedriger als das Gebäude der Klägerin. Diese will Im Rahmen einer Fassa­den­sa­nierung den seit 1906 nicht mehr sanierten grenzständigen Giebel ihres Gebäudes mit einer 16 cm starken mineralischen Dämmung versehen und in diesem Umfang über die Grenze zum Grundstück der Beklagten hinüberbauen. Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der Wärmedämmung der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes zu dulden. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision wollte die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.

Keine Bedenken gegen formelle Verfas­sungs­mä­ßigkeit

Die Revision hatte keinen Erfolg. Der Anspruch des Grund­s­tücks­ei­gen­tümers aus § 16 a NachbarG BIn auf Duldung einer grenz­über­schrei­tenden Wärmedämmung hat einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, entlang der Grundstücksgrenze errichteten Gebäudes erfolgt. Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Der Bundes­ge­richtshof hat im Ergebnis nicht beanstandet, dass das Berufungs­gericht die Verfas­sungs­mä­ßigkeit von § 16 a NachbarG BIn bejaht und seine Entscheidung auf diese Norm gestützt hat. Der Senat hatte keinen Anlass, seinerseits das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts einzuholen, weil er von der Verfas­sungs­wid­rigkeit der Norm nicht überzeugt ist. Gegen die formelle Verfas­sungs­mä­ßigkeit von § 16 a NachbarG BIn bestehen keine Bedenken, insbesondere ist die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Landes Berlin gegeben. Der Senat hat bereits in seinem zu § 23 a Abs. 1 NachbarG NW ergangenen Urteil vom 12. November 2021 (V ZR 115/20) entschieden, dass Regelungen, die den Grund­s­tücks­ei­gentümer zur Duldung einer nachträglichen grenz­über­schrei­tenden Wärmedämmung des Nachbargebäudes verpflichten, aufgrund des Vorbehalts in Art. 124 EGBGB von der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz der Länder umfasst sind.

BGH zweifelt an materiellen Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Regeln

Der Senat hat allerdings Zweifel an der materiellen Verfas­sungs­mä­ßigkeit von § 16 a NachbarG, namentlich an der Vereinbarkeit der Norm mit Art. 14 Abs. 1 GG. In den Regelungen anderer Bundesländer wird der Duldungs­an­spruch durchweg von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, etwa davon, dass der Überbau die Benutzung oder beabsichtigte Benutzung des Grundstücks des Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt oder dass eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise (etwa durch eine Innendämmung) mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann. Der Berliner Gesetzgeber hat auf solche Regelungen bewusst verzichtet, um die Handhabung der Vorschrift möglichst einfach zu gestalten und nicht durch den möglichen Streit über weitere Voraussetzungen, insbesondere über unbestimmte Rechtsbegriffe, zu belasten. Im Hinblick auf diesen ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und den eindeutigen Wortlaut von § 16 a NachbarG BIn können Voraussetzungen und Einschränkungen des Duldungs­an­spruchs, wie sie die Nachbar­rechts­gesetze anderer Bundesländer enthalten (vgl. etwa 5 23a Abs. 1 NachbarG NW), der Norm auch nicht unter Rückgriff auf allgemeine Rechts­grundsätze oder im Wege der verfas­sungs­kon­formen Auslegung entnommen werden.

Vorlage an BVerfG nur bei überzeugter Verfas­sungs­wid­rigkeit der Norm notwendig

Eine Vorlage von § 16 a NachbarG Bln kam gleichwohl nicht in Betracht. Denn die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts nur zulässig, wenn das Fachgericht an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit eines entschei­dungs­er­heb­lichen Gesetzes nicht nur zweifelt, sondern - vorbehaltlich einer verfas­sungs­kon­formen Auslegung - von der Verfas­sungs­wid­rigkeit überzeugt ist. Dies ist nicht der Fall. § 16 a NachbarG BIn zielt auf Energie­ein­spa­rungen bei bestehenden Wohngebäuden ab und der Senat hat keine Zweifel, dass die Regelung zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist. Fraglich erscheint allerdings, ob die Norm im engeren Sinne verhältnismäßig ist, namentlich ob sie die Interessen des duldungs­pflichtigen Nachbarn noch in einer Weise berücksichtigt, dass der gesetz­ge­be­rische Gestal­tungs­spielraum eingehalten ist. Da § 16 a NachbarG BIn keine Einschränkungen des Duldungs­an­spruchs im Hinblick auf den Umfang der Beein­träch­tigung des Nachbarn und die Zumutbarkeit der Überbauung für diesen vorsieht, ist dem Tatrichter eine Einzel­fa­ll­be­trachtung selbst besonders gelagerten Ausnahmefällen verwehrt. So wäre der Duldungs­an­spruch etwa auch dann gegeben, wenn die grenz­über­schreitende Dämmung dazu führt, dass der Platz auf dem Nachba­r­grundstück- nicht mehr ausreicht, um Mülltonnen oder Fahrräder abzustellen oder über einen Weg zwischen den Häusern zur Straße zu bringen. Allerdings werden die Interessen des von der Überbauung betroffenen Nachbarn in § 16 a NachbarG BIn zumindest in einem gewissen Umfang berücksichtigt. So ist der duldungs­ver­pflichtete Nachbar berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen Will, auch wird dem Begünstigten des Wärme­schutz­überbaus auferlegt, die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und funkti­o­ns­ge­rechten Zustand zu erhalten und die wärmegedämmte Grenzwand zu. unterhalten und schließlich ist das Recht so zügig und schonend wie möglich auszuüben und darf nicht zur Unzeit geltend gemacht werden. Zudem ist der duldungs­pflichtige Nachbar für die Beein­träch­tigung der Benutzung seines Grundstücks durch eine Geldrente zu entschädigen.

Vorschrift noch verhältnismäßig

In der Gesamtschau erscheint es dem Senat durchaus möglich, dass § 16 a NachbarG BIn noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein das Verhältnis zweier Grund­s­tücks­ei­gentümer untereinander ,betrifft deren Indivi­du­al­in­teressen zum Ausgleich zu bringen sind, sondern vor allem dem Klimaschutz und damit einema­ner­kannten Gemein­wohl­belang dient, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klima­schutzgebot Verfassungsrang zukommt (vgl. hierzu BVerfGE 157, 30). Das Wirtschaftliche Interesse des Grund­s­tücks­ei­gen­tümers an der Einsparung von Energie durch eine grenz­über­schreitende Dämmung seines Bestands­ge­bäudes wird nicht als solches, sondern deswegen höher gewichtet als das entge­gen­stehende Interesse des Nachbarn an der vollständigen Nutzung seines Grundstücks‚ weil es sich mit dem - Interesse der Allgemeinheit an der möglichst raschen Dämmung von Bestands­ge­bäuden deckt. Zwar erscheint dem Senat bedenklich, dass individuelle Interessen des Nachbarn selbst dann keine Berück­sich­tigung finden, wenn im Einzelfall die Annahme einer Unzumutbarkeit der Duldungs­ver­pflichtung naheläge. Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Streit zwischen den Nachbarn über die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, bei jeder einzelnen Maßnahme zu einer unter Umständen Jahre währenden Verzögerung oder sogar dazu führen kann, dass der Grund­s­tücks­ei­gentümer von der Dämmung seines Gebäudes ganz absieht. Der Senat hält es daher für nicht ausgeschlossen, dass der genera­li­sierende Ansatz des Berliner Landes­ge­setz­gebers, den Duldungs­an­spruch klar und einfach zu regeln, um auf das Ganze gesehen die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu erreichen, noch zulässig ist, auch wenn damit für den jeweiligen Nachbarn im Einzelfall gewisse - unter Umständen auch erhebliche - Härten verbunden sein mögen.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

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