21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 26607

Drucken
Urteil26.10.2018BundesgerichtshofV ZR 143/17
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GE 2018, 1587Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft (GE), Jahrgang: 2018, Seite: 1587
  • WuM 2018, 787Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2018, Seite: 787
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Augsburg, Urteil11.12.2015, 82 C 3280/15
  • Landgericht Augsburg, Urteil13.04.2017, 72 S 4608/15
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil26.10.2018

Trompetenspiel im Reihenhaus: Musizieren eines Berufsmusikers kann nicht gänzlich untersagt werdenAuch zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht kann als sozialadäquat anzusehen sein

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Bewohner eines Reihenhauses keinen Anspruch darauf haben, dass ein als Lärmbelästigung empfundenes Trompetenspiel aus dem benachbarten Reihenhaus untersagt wird. Zwar sind beim Musizieren die üblichen Ruhezeiten zur Mittags- und Nachtzeit zu berücksichtigen, eine generelle Untersagung der Musik ist jedoch nicht möglich. Der Bundes­ge­richtshof verwies darüber hinaus darauf, dass auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein kann.

Der Kläger und die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls bewohnen als Nießbraucher ein Reihenhaus in einem Wohngebiet. Die Beklagten sind Eigentümer und Bewohner des benachbarten Reihenhauses. Der Beklagte zu 1 ist Berufsmusiker (Trompeter). Er übt im Erdgeschoss und in einem Probenraum im Dachgeschoss Trompete, nach eigenen Angaben maximal 180 Minuten am Tag und regelmäßig nicht mehr als an zwei Tagen pro Woche unter Berück­sich­tigung der Mittags- und Nachtruhe. Zudem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe Schüler. Die Beklagte zu 2 spielt nicht Trompete.

LG lässt Trompetenspiel in begrenztem Rahmen zu

Die Kläger verlangen von beiden Beklagten das Ergreifen geeigneter Maßnahmen, damit das Spielen von Musik­in­stru­menten auf dem Anwesen der Kläger nicht wahrgenommen werden kann. Diesem Antrag hat das Amtsgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil geändert und die Beklagten gesamt­s­chuld­nerisch verurteilt, die Erteilung von Musikunterricht an Dritte insgesamt zu unterlassen es zu unterlassen, in dem Anwesen der Beklagten Instru­men­talmusik zu spielen; davon ausgenommen ist nur das Dachgeschoss. Dort darf für maximal zehn Stunden pro Woche werktags (Montag-Freitag) zwischen 10 und 12 Uhr und 15 und 19 Uhr musiziert werden, und der Beklagte darf an maximal acht Samstagen oder Sonntagen im Jahr zwischen 15 und 18 Uhr jeweils maximal eine Stunde Trompete üben.

Mit der von dem Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision wollen die Beklagten erreichen, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird; die Kläger wollen im Wege der Anschluss­re­vision das Urteil des Amtsgerichts wieder­her­stellen lassen.

Mit dem Musizieren verbundene Beein­träch­ti­gungen nur unwesentlich

Der Bundes­ge­richtshof wies auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschluss­re­vision der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 2 ab und wies die Sache im Übrigen an das Landgericht zurück. Zur Begründung führte der Bundes­ge­richtshof aus, dass gegen die (nicht musizierende) Beklagte zu 2 von vornherein kein Unter­las­sungs­an­spruch bestehe. Ihre Verurteilung käme nur dann in Betracht, wenn sie als sogenannte mittelbare Handlungs­störerin verpflichtet wäre, gegen das Musizieren des Beklagten zu 1 einzuschreiten. Das sei nicht der Fall, weil der Beklagte zu 1 das Haus als Miteigentümer und damit aus eigenem Recht nutze. Auch die Verurteilung des (musizierenden) Beklagten zu 1 könne nicht Bestand haben. Das Landgericht habe bei einem richterlichen Ortstermin festgestellt, dass das Trompetenspiel des Beklagten im Dachgeschoss im Wohnzimmer der Kläger (Erdgeschoss) nicht und in deren Schlafzimmer (Dachgeschoss) nur leise zu hören ist, während das Trompetenspiel im Wohnzimmer (Erdgeschoss) im angrenzenden Wohnzimmer der Kläger als "schwache Zimmer­laut­stärke" zu vernehmen ist. Im Ausgangspunkt stehe den Klägern als Nießbrauchern eines Hauses gegenüber dem Nachbarn, der sie durch Geräu­schim­mis­sionen stört, grundsätzlich ein Unter­las­sungs­an­spruch zu. Der Abwehranspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn die mit dem Musizieren verbundenen Beein­träch­ti­gungen nur unwesentlich sind. Das ist anzunehmen, wenn sie in dem Haus der Kläger nach dem Empfinden eines "verständigen Durch­schnitts­menschen" nicht als wesentliche Beein­träch­tigung einzuordnen sind; die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung könne nur auf Grund wertender Beurteilung festgesetzt werden.

Häusliches Musizieren und dazugehöriges Üben ist als sozialadäquate Freizeit­be­schäf­tigung in gewissen Grenzen hinzunehmen

Insoweit habe das Landgericht einen zu strengen Maßstab zugrunde gelegt. Das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens gehöre zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeit­be­schäf­tigung und sei laut Gericht aus der maßgeblichen Sicht eines "verständigen Durch­schnitts­menschen" in gewissen Grenzen hinzunehmen, weil es einen wesentlichen Teil des Lebensinhalts bilden und von erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein könne; es gehöre - wie viele andere übliche Freizeit­be­schäf­ti­gungen - zu der grundrechtlich geschützten freien Entfaltung der Persönlichkeit. Andererseits solle auch dem Nachbarn die eigene Wohnung die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung und zu häuslicher Arbeit eröffnen, mithin auch die dazu jeweils notwendige, von Umwelt­ge­räuschen möglichst ungestörte Ruhe bieten. Ein Ausgleich der wider­strei­tenden nachbarlichen Interessen könne im Ergebnis nur durch eine ausgewogene zeitliche Begrenzung des Musizierens herbeigeführt werden. Dabei habe ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.

Festlegung einzuhaltender Ruhezeiten muss sich an üblichen Ruhezeiten orientieren

Wie die zeitliche Regelung im Einzelnen auszusehen habe, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der Geräu­schein­wirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten in der Mittags- und Nachtzeit, könne als grober Richtwert dienen. Die örtlichen Gegebenheiten seien ebenfalls von Bedeutung. Können die Geräu­schein­wir­kungen erheblich verringert werden, indem in geeigneten Nebenräumen musiziert wird, könne es aufgrund nachbarlicher Rücksichtnahme geboten sein, das Musizieren in den Hauptwohnräumen zeitlich stärker einzuschränken; das gelte insbesondere dann, wenn auf Seiten des Nachbarn besondere Umstände wie eine ernsthafte Erkrankung eine gesteigerte Rücksichtnahme erfordern. Das Musizieren in den Hauptwohnräumen des Hauses könne aber nicht gänzlich untersagt werden. Auch die zeitlich begrenzte Erteilung von Musikunterricht könne je nach Ausmaß der Störung noch als sozialadäquat anzusehen sein. Die Festlegung der einzuhaltenden Ruhezeiten müsse sich an den üblichen Ruhezeiten orientieren; im Einzelnen haben die Gerichte einen gewissen Gestal­tungs­spielraum. Ein nahezu vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende, wie ihn das Berufungs­gericht vorgesehen habe, komme jedoch nicht in Betracht. Dies ließe nämlich außer Acht, dass Berufstätige, aber auch Schüler häufig gerade abends und am Wochenende Zeit für das Musizieren finden.

Weitere Beschränkungen bei lauterer und stärkerer Beein­träch­tigung durch Musikunterricht möglich

Nach alledem werde hier das Trompetenspiel im Dachgeschoss, das nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts ausschließlich im Schlafzimmer der Kläger leise zu vernehmen ist, zur Mittags- und Nachtzeit als wesentlich, zu den übrigen Zeiten aber jedenfalls für etwa drei Stunden werktäglich (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) als unwesentlich anzusehen sein. Dann stünden dem Beklagten zu 1 im Dachgeschoss relativ großzügige Zeiträume zur Verfügung; infolgedessen könnte das Trompetenspiel in den Haupträumen engeren zeitlichen Grenzen unterworfen werden. Jedenfalls insgesamt sollte das tägliche Musizieren in dem Haus etwa drei Stunden werktags (und eine entsprechend geringere Zeitspanne an Sonn- und Feiertagen) nicht überschreiten. Entstünden durch den Musikunterricht lautere oder lästigere Einwirkungen und damit eine stärkere Beein­träch­tigung der Kläger, müsse dieser gegebenenfalls auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt werden; sofern sich das Dachgeschoss zu der Unter­richt­s­er­teilung eigne, könnte das Landgericht vorgeben, dass der Unterricht nur dort stattfinden darf.

Die Sache war hinsichtlich der Berufung des Beklagten zu 1 an das Landgericht zurück­zu­ver­weisen, damit es Feststellungen dazu trifft, welche Störungen durch den Musikunterricht entstehen, und damit es die Zeiten, zu denen musiziert werden darf, abschließend festlegen kann.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1065 Beein­träch­tigung des Nießbrauchs­rechts

Wird das Recht des Nießbrauchers beeinträchtigt, so finden auf die Ansprüche des Nießbrauchers die für die Ansprüche aus dem Eigentum geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung.

§ 1004 Beseitigungs- und Unter­las­sungs­an­spruch

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beein­träch­tigung verlangen. Sind weitere Beein­träch­ti­gungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

§ 906 BGB Zuführung unwägbarer Stoffe

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. [...]

(2) Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beein­träch­tigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

der Leitsatz

a) Da das häusliche Musizieren einschließlich des dazugehörigen Übens zu den sozialadäquaten und üblichen Formen der Freizeit­be­schäf­tigung gehört, sind daraus herrührende Geräu­schein­wir­kungen jedenfalls in gewissen Grenzen zumutbar und in diesem Rahmen als unwesentliche Beein­träch­tigung des benachbarten Grundstücks im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB anzusehen; insoweit hat ein Berufsmusiker, der sein Instrument (hier: Trompete) im häuslichen Bereich spielt, nicht mehr, aber auch nicht weniger Rechte als ein Hobbymusiker und umgekehrt.

b) Dass sich Geräu­schein­wir­kungen durch die Nutzung von Nebenräumen wie einem Dachgeschoss- oder Kellerraum verhindern oder verringern lassen, rechtfertigt es nicht, dem Nachbarn das Musizieren in den Haupträumen seines Hauses gänzlich zu untersagen.

c) Bei der Bestimmung der einzuhaltenden Ruhezeiten kommt es grundsätzlich nicht auf die individuellen Lebensumstände des die Unterlassung beanspruchenden Nachbarn an (hier: Nachtdienst als Gleisbauer); vielmehr sind beim häuslichen Musizieren die üblichen Ruhestunden in der Mittags- und Nachtzeit einzuhalten.

d) Wann und wie lange musiziert werden darf, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Ausmaß der Geräu­schein­wirkung, der Art des Musizierens und den örtlichen Gegebenheiten; eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen, jeweils unter Einhaltung üblicher Ruhezeiten, kann als grober Richtwert dienen.

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil26607

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI