21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen die Rücken von verschiedenen Zeitungen, die nebeneinander aufgereiht wurden.

Dokument-Nr. 26337

Drucken
Beschluss19.07.2018BundesgerichtshofIX ZB 10/18
Vorinstanzen:
  • Landgericht Mainz, Urteil27.01.2017, 3 O 35/17
  • Oberlandesgericht Koblenz, Urteil11.01.2018, 2 U 138/17
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss19.07.2018

Vollstreckung eines ausländischen Gerichtsurteils darf im Inland wegen Verstoßes gegen das Recht der freien Meinung­s­äu­ßerung und gegen die Medienfreiheit abgelehnt werdenAussage in ZDF-Dokumentation stellt dem Inhalt nach eine Meinung­s­äu­ßerung dar

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit den Voraussetzungen zu befassen, unter denen ein ausländisches Gerichtsurteil nicht für im Inland vollstreckbar erklärt werden kann, weil hiermit ein offen­sicht­licher Verstoß gegen das Grundrecht auf Meinungs- und Medienfreiheit verbunden wäre.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragsgegnerin, das ZDF, hatte im Jahr 2013 eine Dokumentation über die Befreiung der Konzentrationslager Ohrdruf, Buchenwald und Dachau angekündigt, in der die Lager Majdanek und Auschwitz als "polnische Vernich­tungslager" bezeichnet waren. Aufgrund einer Beanstandung dieser Formulierung durch die Botschaft der Republik Polen in Berlin änderte die Antragsgegnerin den Text seinerzeit in "deutsche Vernich­tungslager auf polnischem Gebiet". Der Antragsteller, ein polnischer Staats­an­ge­höriger und ehemaliger Häftling der Konzen­tra­ti­o­nslager Auschwitz-Birkenau und Flossenbürg, hatte damals gegenüber dem ZDF ebenfalls die ursprüngliche Formulierung beanstandet, die Verletzung seiner Persön­lich­keits­rechte geltend gemacht sowie u. a. die Veröf­fent­lichung einer Entschuldigung verlangt. Das ZDF hatte sich daraufhin 2013 in zwei Schreiben an den Antragsteller entschuldigt und sein Bedauern ausgedrückt; im Frühjahr 2016 veröffentlichte es zudem eine Korrek­tur­nachricht, mit der es sein Bedauern über die "unachtsame, falsche und irrtümliche Formulierung" ausdrückte und alle Menschen, die sich hierdurch in ihren Gefühlen verletzt sähen, um Entschuldigung bat. Der Antragsteller erwirkte aufgrund einer von ihm 2014 in Polen erhobenen Klage Ende 2016 in zweiter Instanz ein Urteil des Appel­la­ti­o­ns­ge­richts Krakau, das die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Dauer eines Monats auf der Startseite ihres Inter­ne­t­auf­tritts eine Entschuldigung zu veröffentlichen, in der sie bedauert, dass in der streit­ge­gen­ständ­lichen Veröf­fent­lichung aus dem Jahre 2013 "eine inkorrekte und die Geschichte des polnischen Volkes verfälschende Formulierung" enthalten ist. Die Antragsgegnerin veröffentlichte den durch das Urteil vorgegebenen Text von Dezember 2016 bis Januar 2017 auf ihrer Internetseite. Der Antragsteller, der diese Veröf­fent­lichung für unzulänglich hält, will das Urteil des Appel­la­ti­o­ns­ge­richts in Deutschland vollstrecken lassen.

Das Landgericht Mainz erklärte das Urteil für vollstreckbar. Die sofortige Beschwerde des ZDF blieb vor dem Oberlan­des­gericht Koblenz erfolglos.

Vollstreckung würde der öffentlichen Ordnung offensichtlich widersprechen

Auf die Rechts­be­schwerde der Antragsgegnerin hob der Bundes­ge­richtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies den Antrag auf Erteilung der Vollstre­ckungs­klausel ab. Nach den maßgeblichen europa­recht­lichen Vorschriften wird eine ausländische Gerichtsentscheidung dann nicht für vollstreckbar erklärt, wenn ihre Vollstreckung der öffentlichen Ordnung ("ordre public") des Mitgliedsstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Die ausländische Entscheidung darf hierbei nicht inhaltlich überprüft werden; es kommt allein darauf an, ob das in ihr niedergelegte Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall in einem nicht tragbaren Widerspruch zu den wesentlichen Grundgedanken der Rechtsordnung des Vollstre­ckungs­staats und den darin enthaltenen Gerech­tig­keits­vor­stel­lungen steht.

Vollstreckung des Urteils würde gegen Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung und Medienfreiheit

Das ist hier der Fall, weil die Ausübung staatlichen Zwangs zur Veröf­fent­lichung der im Urteil des Appel­la­ti­o­ns­ge­richts Krakau vorformulierten Erklärung offenkundig gegen das Recht der Antragsgegnerin auf freie Meinung­s­äu­ßerung und gegen die Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) verstoßen würde. In diesem Zusammenhang hat der Bundes­ge­richtshof zunächst klargestellt, dass eine Aussage des Inhalts, die Lager Majdanek und Auschwitz seien von Polen betrieben worden, eine nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte unrichtige Tatsa­chen­be­hauptung darstelle. Grundlage der rechtlichen Prüfung im Verfahren der begehrten Vollstreck­ba­r­e­r­klärung sei aber nicht die ursprüngliche Äußerung, die Gegenstand des Rechtsstreits in Polen war, sondern die Erklärung, zu deren Abgabe die Antragsgegnerin durch die ausländische Entscheidung verurteilt worden sei. Diese stelle ihrem Inhalt nach eine Meinung­s­äu­ßerung dar. Die zu vollstreckende Erklärung - die die Antragsgegnerin nach dem Urteil des Appel­la­ti­o­ns­ge­richts Krakau als ihre eigene Äußerung abgeben müsse - besage, dass sie eine inkorrekte und die Geschichte des polnischen Volkes verfälschende Formulierung bedauere und sich beim Kläger für die Verletzung seiner Persön­lich­keits­rechte, insbesondere seiner Natio­na­li­dentität (Gefühl der Zugehörigkeit an das polnische Volk) und seiner Nationalwürde, entschuldige. Die Antragsgegnerin könne jedoch nach deutschem (Verfassungs-)Recht nicht dazu gezwungen werden, die darin liegende Bewertung der vom Antragsteller beanstandeten Formulierung im damaligen Zusammenhang als eigene Meinung zu veröffentlichen. Der Eingriff in das Grundrecht der Antragsgegnerin aus Art. 5 Abs. 1 GG, der hierdurch bewirkt würde, verstoße zudem gegen den verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Die Antragsgegnerin habe die beanstandete Formulierung "polnische Konzen­tra­ti­o­nslager", die vier Tage lang abrufbar gewesen sei, noch am Tag der Beanstandung durch die Botschaft der Republik Polen berichtigt. Noch vor dem Urteil des Appel­la­ti­o­ns­ge­richts habe sie in zwei Briefen den Antragsteller persönlich um Entschuldigung gebeten und außerdem eine erläuternde Korrek­tur­nachricht mit einer an alle Betroffenen gerichteten Bitte um Entschuldigung veröffentlicht.

Art. 5 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berich­t­er­stattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn

1. die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde;

Art. 45 VO (EG) Nr. 44/2001

(1) Die Vollstreck­ba­r­e­r­klärung darf von dem mit einem Rechtsbehelf nach Art. 43 oder Art. 44 befassten Gericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. [...]

(2) Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss26337

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI