14.11.2024
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Dokument-Nr. 12741

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Urteil07.12.2011BundesgerichtshofIV ZR 50/11 und IV ZR 105/11
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • JZ 2012, 625Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 2012, Seite: 625
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Vorinstanzen zu IV ZR 50/11:
  • Landgericht Hannover, Urteil10.08.2010, 2 O 262/09
  • Oberlandesgericht Celle, Urteil24.02.2011, 8 U 157/10
Vorinstanzen zu IV ZR 105/11:
  • Landgericht Frankfurt (Oder), Urteil27.08.2010, 12 O 209/10
  • Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil05.05.2011, 12 U 148/10
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil07.12.2011

Ausschluss jeder außer­or­dent­lichen Kündigung eines Vertrages über eine Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung unzulässigUnkündbarkeit der privaten Pflege­pflicht­ver­si­cherung rechtmäßig

Der seit dem 1. Januar 2009 geltende § 206 Abs. 1 Satz 1 Versi­che­rungs­ver­trags­gesetz schließt nicht jede außer­or­dentliche Kündigung eines Krank­heits­kos­ten­ver­si­che­rungs­ver­trages durch den Versicherer aus, der eine Versi­che­rungs­pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Der Bundes­ge­richtshof hatte in zwei Fällen über außer­or­dentliche Kündigungen von privaten Krank­heits­kosten- und Pflege­ver­si­che­rungen zu entscheiden.

Angebliche Medika­men­ten­bezüge der Ehefrau zur Abrechnung eingereicht

Im Verfahren IV ZR 50/11 unterhielt der Kläger eine private Krank­heits­kosten- und Pflegeversicherung bei dem beklagten Versicherer. Die Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung wurde vom Beklagten 2009 mit der Begründung außerordentlich gekündigt, dass der Kläger bzw. seine für ihn handelnde Ehefrau in den Jahren 2007 bis 2009 insgesamt 168 angebliche Medika­men­ten­bezüge zur Abrechnung eingereicht habe, tatsächlich aber viele Medikamente nicht bezogen und bezahlt worden seien, so dass eine Überzahlung von 3.813,21 Euro vorliege. Die Pflege­ver­si­cherung blieb ungekündigt.

Klage in allen Instanzen erfolglos

Das Landgericht Hannover und das Oberlan­des­gericht Celle wiesen die auf Feststellung des Fortbestehens des Krank­heits­kos­ten­ver­si­che­rungs­ver­trages gerichtete Klage ab. Die Revision wurde vom Bundes­ge­richtshof zurückgewiesen.

Versicherung kündigt Vertrag nach tätlichem Angriff des Außen­dienst­mi­t­a­r­beiters durch Versi­che­rungs­nehmer

Im Verfahren IV ZR 105/11 unterhielt der Kläger bei dem Beklagten eine private Krank­heits­kosten-, Krankentagegeld- und Pflege­pflicht­ver­si­cherung. Nach einer Herzoperation erhielt der als selbständiger Unternehmer eines "Recycling-Parks" tätige Kläger Krankentagegeld. Im Zuge des Besuchs durch einen Außen­dienst­mi­t­a­r­beiter der Beklagten griff der Kläger diesen mit einem Bolzenschneider tätlich an und bedrohte ihn, worauf der Beklagte 2009 den gesamten Vertrag mit dem Kläger außerordentlich kündigte. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Vertrag über die Krank­heits­kosten- und Pflege­ver­si­cherung fortbesteht, hilfsweise die Feststellung, dass die Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung zum Basistarif und die Pflege­ver­si­cherung fortbestehen, weiter hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, mit dem Kläger eine Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung zum Basistarif abzuschließen.

BGH: Pflege­ver­si­cherung besteht weiter

Das Landgericht Frankfurt und das Oberlan­des­gericht Brandenburg wiesen die Klage ab. Unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und das erstin­sta­nzliche Urteil dahingehend geändert, dass das Weiterbestehen der Pflege­ver­si­cherung festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen wurde.

Bei schwerer Vertrags­ver­letzung ist außer­or­dentliche Kündigung durch Versicherer möglich

§ 206 Abs. 1 Satz 1 VVG* ist teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass er zwar die Kündigung wegen Prämienverzugs untersagt, jedoch in Fällen sonstiger schwerer Vertrags­ver­letzung eine außer­or­dentliche Kündigung durch den Versicherer nach § 314 Abs. 1 BGB** in Betracht kommen kann. In diesem Fall wird die Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung mit dem bisherigen Versicherer weder im Basistarif (§ 12 Abs. 1a VAG) fortgesetzt, noch steht dem Versi­che­rungs­nehmer ein Anspruch auf Abschluss eines derartigen Vertrages mit seinem bisherigen Versicherer zu. Ein ausreichender Schutz des Versi­che­rungs­nehmers wird dadurch erzielt, dass er weiterhin darauf Anspruch hat, gemäß § 193 Abs. 5 VVG bei einem anderen Versicherer im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VVG versichert zu werden.

Außer­or­dentliche Kündigung des Versicherers im Bereich der Pflege­pflicht­ver­si­cherung ausgeschlossen

Im Bereich der Pflege­pflicht­ver­si­cherung ist hingegen jede außer­or­dentliche Kündigung des Versicherers gemäß § 110 Abs. 4 SGB XI ausgeschlossen, da hier die Entste­hungs­ge­schichte der gesetzlichen Bestimmung und das Fehlen eines gesonderten Basistarifs einer teleologischen Reduktion entgegenstehen.

*§ 206 Absatz 1 Satz 1 VVG

Erläuterungen
Jede Kündigung einer Krank­heits­kos­ten­ver­si­cherung, die eine Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, ist durch den Versicherer ausgeschlossen.

**§ 314 Abs. 1 BGB

Dauer­schuld­ver­hältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrags­ver­hält­nisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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