18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen eine Geldbörse mit einer Gesundheitskarte von einer deutschen Krankenversicherung.

Dokument-Nr. 29620

Drucken
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.12.2020

BGH zum Umfang der Begründung einer Prämie­n­an­passung in der privaten Kranken­ver­si­cherungBegründung einer Prämie­n­an­passung in der privaten Kranken­ver­si­cherung erfordert die Angabe der Rechnungs­grundlage

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass die Begründung einer Prämie­n­an­passung in der privaten Kranken­ver­si­cherung nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungs­grundlage (Versicherungs­leistungen oder Sterbe­wahrschein­lichkeit) erfordert, deren Veränderung die Prämie­n­an­passung veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungs­grundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben.

Die Kläger wandten sich gegen mehrere Beitrags­er­hö­hungen in den Jahren zwischen 2014 und 2017, die ihr privater Kranken­ver­si­cherer auf der Grundlage von § 203 Abs. 2 VVG vorgenommen hatte.

Mitteilung über die Gründe für die Betragserhöhung im ersten Verfahren beanstandet

Im Verfahren IV ZR 294/19 beanstandete der Kläger zuletzt nur noch die Mitteilungen über die Gründe für die Beitrags­er­hö­hungen. Das Landgericht hat seiner Klage stattgegeben, die Unwirksamkeit der Prämie­n­an­pas­sungen für die Jahre 2015 und 2016 festgestellt und den beklagten Versicherer u.a. antragsgemäß zur Rückzahlung der gezahlten Erhöhungs­beträge verurteilt. Das Oberlan­des­gericht hat dies im Wesentlichen dahingehend abgeändert, dass eine Unwirksamkeit der Prämie­n­an­pas­sungen nur bis zum 31. Dezember 2017 festgestellt und der beklagte Versicherer nur zur Rückzahlung der bis zu diesem Zeitpunkt auf die Prämie­n­an­pas­sungen für 2015 und 2016 gezahlten Erhöhungs­beträge verurteilt worden ist. Nach Auffassung des Berufungs­ge­richts waren die Mitteilungen der Prämie­n­an­pas­sungen für diese Jahre nicht mit ausreichenden Gründen versehen. Der Versicherer habe die Begründung jedoch in der Klageerwiderung nachgeholt, so dass der Mangel von diesem Zeitpunkt an geheilt gewesen sei und die Prämie­n­an­pas­sungen zum 1. Januar 2018 wirksam geworden seien.

Im zweiten Verfahren ging es um die formelle und materielle Unwirksamkeit der Prämie­n­an­pas­sungen

Im Verfahren IV ZR 314/19 machte der Kläger die formelle und materielle Unwirksamkeit der Prämie­n­an­pas­sungen geltend. Seine Klage hatte in den Vorinstanzen in vollem Umfang Erfolg. Der beklagte Versicherer ist u.a. verurteilt worden, die bis zum 15. Februar 2017 auf die Prämi­e­n­er­hö­hungen für die Jahre 2014, 2015 und 2017 gezahlten Erhöhungs­beträge zurückzuzahlen. Das Berufungs­gericht hat dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Mitteilungen über die Prämie­n­an­pas­sungen nicht den Minde­st­an­for­de­rungen aus § 203 Abs. 5 VVG genügten und die Prämie­n­an­pas­sungen deswegen nicht wirksam geworden seien.

BHG: Angaben zur veränderten Rechtsgrundlage notwendig

Der Bundes­ge­richtshof hat in beiden Verfahren bestätigt, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird. Dabei, so hat der Senat jetzt entschieden, muss angegeben werden, bei welcher Rechnungs­grundlage - Versi­che­rungs­leis­tungen, Sterbe­wahr­schein­lichkeit oder beiden - eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist und damit die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst wurde. Dagegen muss der Versicherer nicht die genaue Höhe dieser Veränderung mitteilen. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses anzugeben.

Konkrete Höhe der Veränderung der Rechnungs­grundlage nicht entscheidend

Der Geset­zes­wortlaut sieht im Fall der Prämie­n­an­passung die Angabe der "hierfür" maßgeblichen Gründe vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämie­n­an­passung beziehen müssen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht. Maßgeblich, d.h. entscheidend für die Prämie­n­an­passung ist gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 und 3 VVG die als nicht nur vorübergehend anzusehende Veränderung der bzw. einer der dort genannten Rechnungs­grundlagen. Dagegen ist die konkrete Höhe der Veränderung dieser Rechnungs­grundlagen ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob der überschrittene Schwellenwert im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versi­che­rungs­be­din­gungen geregelt ist.

Keine Plausi­bi­li­täts­kon­trolle der Prämie­n­an­passung zu ermöglichen

Die Geset­zes­be­gründung zeigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 keine grundsätzliche Neuregelung für das Wirksamwerden einer Prämie­n­an­passung beabsichtigte, sondern die Mittei­lungs­pflicht nur geringfügig erweitern wollte. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll dem Versi­che­rungs­nehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämie­n­an­passung war. Sie erfüllt so den Zweck, dem Versi­che­rungs­nehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitrags­er­höhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dagegen hat die Mittei­lungs­pflicht nicht den Zweck, dem Versi­che­rungs­nehmer eine Plausi­bi­li­täts­kon­trolle der Prämie­n­an­passung zu ermöglichen.

Keine rückwirkende Heilung unzureichender Begründung

Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämie­n­an­passung können vom Versicherer nachgeholt werden, setzen aber erst ab Zugang die Frist für das Wirksamwerden der Prämie­n­an­passung in Lauf und führen nicht zu einer rückwirkenden Heilung der unzureichenden Begründung. Erfolgt eine weitere, diesmal insgesamt wirksame Prämie­n­an­passung im betreffenden Tarif, hat der Versi­che­rungs­nehmer jedenfalls ab dem Wirksamwerden dieser Anpassung die Prämie in der damit festgesetzten neuen Gesamthöhe zu zahlen.

Spätere, ausreichend begründete Prämie­n­an­passung im ersten Verfahren durch Neufestsetzung wirksam

Nach diesem Maßstab ist das Berufungs­gericht im Verfahren IV ZR 294/19 rechts­feh­lerfrei davon ausgegangen, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämi­e­n­er­hö­hungen zum 1. Januar 2015 und zum 1. Januar 2016 die Voraussetzungen der erforderlichen Mitteilung nicht erfüllen. Da aber durch eine spätere, ausreichend begründete Prämie­n­an­passung in einem der betroffenen Tarife die Prämie ab diesem Zeitpunkt wirksam neu festgesetzt worden war, hat der Bundes­ge­richtshof das Berufungsurteil teilweise abgeändert.

Berufungs­gericht in zweiten Verfahren muss materielle Rechtmäßigkeit der Prämie­n­an­passung prüfen

Im Verfahren IV ZR 314/19 hat das Berufungs­gericht dagegen eine der im Streit stehenden Prämie­n­an­pas­sungen zu Unrecht für nicht ausreichend begründet gehalten. Der Bundes­ge­richtshof hat daher das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, damit es die materielle Rechtmäßigkeit dieser Prämie­n­an­passung prüfen kann.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/ab)

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil29620

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI