Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrrad einen gemeinsamen Fuß- und Radweg. Infolge von Glatteis kam es zu einem Sturz. Die Klägerin verlangte daraufhin Schadenersatz wegen Verletzung der winterlichen Räum- und Streupflicht. Das Landgericht Oldenburg gab der Klage statt. Auf Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht Oldenburg die Klage ab. Dagegen richtete sich die Revision der Klägerin.
Der Bundesgerichtshof entschied zu Gunsten der Klägerin. Ihr habe ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung der Räum- und Streupflicht zugestanden.
Der BGH führte zunächst grundsätzlich aus, dass die Streupflicht für die Gehwege nur für Fußgänger gelte. Eine umfassende Räum- und Streupflicht bezüglich aller Radwege gelte demgegenüber aber nicht, da sonst der Sicherungspflichtige über Gebühr in Anspruch genommen würde. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass bei schlechtem Winterwetter mit einem geringeren Radfahraufkommen zu rechnen sei. Des Weiteren dürfen Radfahrer, wenn zwar nicht der Radweg, aber die daneben verlaufende Fahrbahn geräumt oder gestreut ist, die Fahrbahn mitbenutzen.
Etwas anderes gelte nach Auffassung des BGH bei gemeinsamen Fuß- und Radwegen. Diese Wege seien innerhalb geschlossener Ortschaften bei Auftreten von Schnee- oder Eisglätte zu räumen und zu bestreuen. Genüge der Winterdienstpflichtige dieser Pflicht und sei aufgrund dessen die Benutzung dieses Weges durch Fußgänger und Radfahrer möglich, so dürfen und müssen sie diesen Weg mitbenutzen. Ein Ausweichen auf die für den Autoverkehr bestimmte Fahrbahn sei dann nicht erlaubt.
Dies zugrunde gelegt, sei es nicht einsichtig, warum Fußgänger und Radfahrer hinsichtlich des schützenswerten Vertrauens auf die Erfüllung des Winterdienstes völlig unterschiedlich behandelt werden sollen. Vielmehr lege die Straßenverkehrsordnung eine rechtliche Gleichbehandlung von Fußgängern und Radfahrern bei Verletzung der Räum- und Streupflicht nahe. Beide dürfen sich gleichermaßen auf die Erfüllung der Räum- und Streupflicht durch den Sicherungspflichtigen verlassen.
Bei der Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Winterdienstpflicht komme es nach Ansicht des BGH allein auf die Belange der Fußgänger an. Dass der Weg auch Radfahrern zur Benutzung offenstehe, rechtfertige für sich genommen noch keine höheren Anforderungen an die Räum- und Streupflicht. Denn andernfalls würde eine unzumutbare und unverhältnismäßige Beanspruchung des Sicherungspflichtigen drohen. Dies sei jedoch maßgeblicher Grund dafür gewesen, eine umfassende Räum- und Streupflicht bei Radwegen nicht anzuerkennen.
Einem Radfahrer könne eine erhöhte Aufmerksamkeit und besonders vorsichtige Fahrweise abzuverlangen sein.
Der Schutz des Vertrauens auf die Einhaltung der Winterdienstpflicht bedeute nicht, dass die Nutzer eines gemeinsamen Fuß- und Radweges auch bei Schnee- und Eisglätte erwarten dürfen, diese Wege genauso sicher und gefahrlos benutzen zu können, wie bei idealen Wetterbedingungen. Es sei nicht erforderlich, dass Bürgersteige in ihrer ganzen Breite geräumt und bestreut werden müssen. Es genüge eine Fläche zu räumen und zu bestreuen, der es zwei Fußgängern erlaube, vorsichtig aneinander vorbeizugehen. Dies sei bei einer Breite von 1 bis 1,20 m der Fall. Zu beachten sei nämlich, dass der Winterdienst nicht das Ziel habe, jedwede Gefahr des Ausrutschens völlig auszuschließen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 30.11.2012
Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (vt/rb)