21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil24.08.2017

Wurzeleinwuchs in Abwasserkanälen: Eigentümer von Grundstücken mit Baumbestand haften nur unter besonderen Umständen für RückstauschädenBGH zur Haftung für Schäden nach Starkregen wegen Wurzeleinwuches in Abwasserkanälen

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass Eigentümer von baumbestandenen Grundstücken nur unter besonderen Umständen für Rückstauschäden haften, die durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle entstehen. Damit hob der Bundes­ge­richtshof das vorangegangene Urteil des Oberlan­des­ge­richts Braunschweig auf und wies die Sache das Berufungs­gericht zurück.

Das Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist Eigentümerin eines Hausgrundstücks, das an die städtische Schmutz- und Regen­was­ser­ka­na­li­sation angeschlossen ist und an einen im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Wendeplatz grenzt, auf dem ein Kastanienbaum angepflanzt ist. Nach der Abwas­ser­be­sei­ti­gungs­satzung der Gemeinde hat sich jeder Anschlussnehmer gegen Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen bis zur Rückstauebene selbst zu schützen. Das Anwesen der Klägerin verfügt nicht über eine solche Rückstau­si­cherung. In der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 2012 fiel starker Regen. Die Regen­was­ser­ka­na­li­sation konnte die anfallenden Wassermassen nicht mehr ableiten, weil Wurzeln der auf dem Wendeplatz befindlichen Kastanie in den Kanal eingewachsen waren und dessen Leistungs­fä­higkeit stark einschränkten. Deshalb kam es zu einem Rückstau im öffentlichen Kanalsystem und auf dem Grundstück der Klägerin zum Austritt von Wasser aus einem unterhalb der Rückstauebene gelegenen Bodenlauf in den Keller.

Die Klägerin machte geltend, dass ihr durch den Rückstau des Wassers und die in dessen Folge eingetretene Überschwemmung in ihrem Keller ein Schaden von 30.376,72 Euro entstanden sei, auf den sie sich allerdings wegen eigenen Mitverschuldens im Hinblick auf das Fehlen einer Rückstau­si­cherung ein Drittel anrechnen lasse, so dass sie einen Betrag von 20.251,14 Euro verlangen könne.

LG schließt Schaden­s­er­satz­ansprüche gegen Gemeinde aufgrund fehlender Rückstau­si­cherung aus

Das Landgericht hatte die Gemeinde unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 15.315,06 Euro nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der Gemeinde wies das Oberlan­des­gericht die Klage insgesamt ab. Das Gericht war der Auffassung, dass Schaden­s­er­satz­ansprüche gegen die Gemeinde als Betreiberin des Kanals wegen der fehlenden Rückstau­si­cherung ausgeschlossen seien. Als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem sich die Kastanie befinde, falle ihr eine Verkehrs­si­che­rungs­pflicht­ver­letzung im Hinblick auf den Kanal nicht zur Last, weil es keine konkreten Anhaltspunkte für das Eindringen von Baumwurzeln in die Kanalisation gegeben habe.

Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

BGH: Verkehrs­si­che­rungs­pflichten von Grund­s­tücks­ei­gen­tümern kommen nur unter besonderen Umständen in Betracht

Der Bundes­ge­richtshof wies die Sache an das Oberlan­des­gericht zurück. Er entschied, dass Verkehrs­si­che­rungs­pflichten des Eigentümers eines baumbestandenen Grundstücks wegen der Verwurzelung eines Abwassersystems zwar nicht von vornherein ausgeschlossen sind, jedoch nur unter besonderen Umständen in Betracht kommen. Es hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab, ob und in welchem Umfang bzw. mit welcher Kontrolldichte ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprü­fungs­maß­nahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Dabei sind zunächst die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu dem Abwassersystem sowie Art bzw. Gattung, Alter und Wurzelsystem (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums zu berücksichtigen. Welcher Art die Kontroll­pflichten sind, hängt von der Zumutbarkeit für den Grund­s­tücks­ei­gentümer im Einzelfall ab. Dabei muss er regelmäßig nicht den Kanal selbst überprüfen, zu dem er zumeist keinen Zugang hat.

Beklagte Gemeinde hatte Zugang zu gesamtem ober- und unterirdischen "Gefahrenbereich"

Im konkreten Fall hatte die Gemeinde als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks und zugleich als Betreiberin des öffentlichen Abwassersystems jedoch den unmittelbaren Zugang zum gesamten ober- und unterirdischen von dem Kastanienbaum ausgehenden Gefahrenbereich. Soweit im Rahmen ohnehin gebotener Inspektionen des Kanals die Einwurzelungen erkennbar gewesen wären, hätte sie als Grund­s­tücks­ei­gen­tümerin die Pflicht gehabt, diese rechtzeitig zu beseitigen.

Zu den vorstehenden Voraussetzungen muss das Berufungs­gericht Feststellungen nachholen.

Beklagte Gemeinde haftet im vorliegenden Fall nicht als Kanalbetreiber sondern als Grund­s­tücks­ei­gentümer

Eine Haftung wegen einer möglichen Verkehrs­si­che­rungs­pflicht­ver­letzung der Beklagten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von der Klägerin gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Die aus der Satzung folgende Obliegenheit von Grund­s­tücks­ei­gen­tümern, selbst für eine Sicherung gegen Rückstauschäden zu sorgen, gilt nur im Verhältnis zum Kanalbetreiber. Die beklagte Stadt haftet im Streitfall jedoch nicht in dieser Funktion, sondern als Eigentümerin des Baumgrundstücks. Es kommt daher nur eine Kürzung des etwaigen Schaden­s­er­satz­an­spruchs wegen Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 BGB in Betracht.

§ 254 Abs. 1 BGB

Mitverschulden

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

§ 823 Abs. 1 BGB

Schaden­s­er­satz­pflicht

Erläuterungen

Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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