15.11.2024
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Dokument-Nr. 9186

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Urteil08.02.2010BundesgerichtshofII ZR 94/08
Vorinstanzen:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil28.11.2006, 3-5 O 61/06
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil12.02.2008, 5 U 8/07
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil08.02.2010

BGH zur Beschränkung des Frage- und Rederechts der Aktionäre in der Haupt­ver­sammlungRedezeit­be­schränkung und Festsetzung eines Debat­ten­schlusses durch Versamm­lungs­leiter zulässig

Die Haupt­ver­sammlung einer Aktien­ge­sell­schaft kann eine Satzungs­re­gelung beschließen, die den Versamm­lungs­leiter umfassend ermächtigt, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in der Haupt­ver­sammlung zeitlich angemessen zu beschränken. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof.

Der Kläger ist Aktionär der beklagten Aktiengesellschaft. Er wendet sich mit der Anfech­tungsklage gegen einen Beschluss der Hauptversammlung der Gesellschaft. Mit dem Beschluss* wurde in die Satzung der Gesellschaft eine Regelung eingefügt, wonach der Versamm­lungs­leiter ermächtigt wurde, das Frage- und Rederecht der Aktionäre in der Haupt­ver­sammlung zeitlich zu beschränken. Dem Versamm­lungs­leiter wurde die Möglichkeit eingeräumt, die Gesamtdauer der Haupt­ver­sammlung zu bestimmen, die Rede- und Fragezeit jedes einzelnen Aktionärs zu beschränken und um 22.30 Uhr den Debattenschluss anzuordnen.

Das Landgericht Frankfurt hatte die Anfech­tungsklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers erklärte das OLG Frankfurt den angegriffenen Beschluss insgesamt für nichtig.

Versamm­lungs­leiter darf im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens Redezeiten und Debattenschluss festlegen

Die dagegen gerichtete Revision der beklagten Aktien­ge­sell­schaft hatte Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG** eine umfassende Regelung der Ermächtigung des Versamm­lungs­leiters zur zeitlich angemessenen Beschränkung des Frage- und Rederechts des Aktionärs in der Satzung der Gesellschaft erlaubt. Zulässig ist insbesondere die Bestimmung von angemessenen konkreten Zeitrahmen für die Gesamtdauer der Haupt­ver­sammlung und die auf den einzelnen Aktionär entfallenden Frage- und Redezeiten, welche dann im Einzelfall vom Versamm­lungs­leiter nach pflichtgemäßem Ermessen zu konkretisieren sind. Ebenfalls zulässig ist die Einräumung der Möglichkeit, den Debattenschluss um 22.30 Uhr anzuordnen, um eine Beendigung der Haupt­ver­sammlung noch am selben Tag sicherzustellen. Der Versamm­lungs­leiter hat bei der Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens die konkreten Umständen der Haupt­ver­sammlung zu beachten. Er hat sich insbesondere an den Geboten der Sachdien­lichkeit, der Verhält­nis­mä­ßigkeit und der Gleich­be­handlung zu orientieren, ohne dass dies in der Satzungs­be­stimmung ausdrücklich geregelt werden muss.

Regelung soll Missbrauch des Frage- und Rederechts durch einzelne Aktionäre verhindern

Die umfassende Regelungs­be­fugnis der Haupt­ver­sammlung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der im Jahre 2005 in das Aktiengesetz eingefügten Ermäch­ti­gungs­vor­schrift des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG. Ausgangspunkt der Regelung war das Bestreben des Gesetzgebers, den Missbrauch des Frage- und Rederechts durch einige wenige Aktionäre, die später oftmals daraus Anfech­tungs­gründe hergeleitet und dann ihre Interessen eigenmächtig auf Kosten der Gesellschaft durchgesetzt haben, zu verhindern. Der Gesetzgeber hat die Regelungs­be­fugnis der Haupt­ver­sammlung geschaffen, um den Aktionären als den Inhabern des Frage- und Rederechts selbst die Möglichkeit einzuräumen, Vorgaben für eine angemessene Einschränkung durch den Versamm­lungs­leiter zu beschließen.

Erläuterungen
* Der Text des angefochtenen Beschlusses lautete

"§ 20 (a)

Beschränkung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre in der Haupt­ver­sammlung

(1) Der Versamm­lungs­leiter hat das Recht, das Frage- und Rederecht der Aktionäre zeitlich nach der Maßgabe des Folgenden zu beschränken:

a) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minder­heits­ver­langen nach § 122 AktG) nur über die Gegenstände Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung der Mitglieder des Vorstands, Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats, Wahl des Abschluss­prüfers und Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien oder einzelne dieser Gegenstände Beschluss zu fassen, kann der Versamm­lungs­leiter das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in solcher Weise zeitlich beschränken, dass die Haupt­ver­sammlung insgesamt nicht länger als sechs Stunden dauert. Bei der Berechnung der Dauer der Haupt­ver­sammlung bleiben die Zeiträume außer Betracht, die auf Unterbrechungen der Haupt­ver­sammlung und die Rede des Vorstands sowie die Ausführungen des Versamm­lungs­leiters vor Beginn der Generaldebatte entfallen.

b) Ist nach der Tagesordnung (einschließlich etwaiger Minder­heits­ver­langen nach § 122 AktG) auch über andere Gegenstände als nach Buchstabe a) Beschluss zu fassen, kann der Versamm­lungs­leiter das Rede- und Fragerecht der Aktionäre in solcher Weise zeitlich beschränken, dass die Haupt­ver­sammlung insgesamt nicht länger als zehn Stunden dauert. Buchstabe a) Satz 2 gilt entsprechend.

c) Der Versamm­lungs­leiter kann die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je Wortmeldung auf 15 Minuten beschränken und, wenn sich im Zeitpunkt der Worterteilung an den Aktionär mindestens drei weitere Redner angemeldet haben, auf zehn Minuten. Der Versamm­lungs­leiter kann die Rede- und Fragezeit, die einem Aktionär während der Versammlung insgesamt zusteht, auf 45 Minuten beschränken.

d) Die Beschränkungen nach Buchstaben a) bis c) können vom Versamm­lungs­leiter jederzeit, auch zu Beginn der Versammlung angeordnet werden.

e) Beschränkungen nach Maßgabe der vorstehenden Buchstaben a) bis d) gelten als angemessen im Sinne des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG.

(2) Unabhängig von dem Recht des Versamm­lungs­leiters, das Frage- und Rederecht der Aktionäre nach Maßgabe von Abs. 1 zu beschränken, kann der Versamm­lungs­leiter um 22.30 Uhr des Versamm­lungstags den Debattenschluss anordnen und mit den Abstimmungen zu den Tages­ord­nungs­punkten beginnen. Nach Anordnung des Debat­ten­schlusses sind in den Fällen des Satzes 1 weitere Fragen nicht mehr zulässig.

(3) Das Recht des Versamm­lungs­leiters, das Rede- und Fragerecht der Aktionäre über die Bestimmungen in Abs. 1 und 2 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen oder nach Maßgabe sonstiger in der Rechtsprechung anerkannter Grundsätze einzuschränken, bleibt von den Regelungen in Abs. 1 und 2 unberührt."

**§ 131 Auskunftsrecht des Aktionärs

(1) 1Jedem Aktionär ist auf Verlangen in der Haupt­ver­sammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. …

(2) 1Die Auskunft hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. 2Die Satzung oder die Geschäfts­ordnung gemäß § 129 kann den Versamm­lungs­leiter ermächtigen, das Frage- und Rederecht des Aktionärs zeitlich angemessen zu beschränken, und Näheres dazu bestimmen.

Quelle: ra-online, BGH

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