18.10.2024
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Dokument-Nr. 6895

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Urteil27.10.2008BundesgerichtshofII ZR 158/06, II ZR 290/07
Vorinstanzen:
  • Oberlandesgericht Hamm, Urteil26.05.2006, 30 U 166/05
  • Oberlandesgericht Hamm, Urteil12.09.2007, 30 U 43/07
  • Landgericht Essen, Urteil06.10.2005, 16 O 221/04
  • Landgericht Essen, Urteil05.12.2006, 8 O 87/06
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil27.10.2008

BGH: Beschränkungen für schweizerische Aktien­ge­sell­schaften mit Sitz in Deutschland gelten fort"Sitztheorie" oder "Gründungs­theorie"?

Der Bundes­ge­richtshof hatte über die Frage zu entscheiden, nach welchen Regeln schweizerische Aktien­ge­sell­schaften zu behandeln sind, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben und vor den deutschen Gerichten klagen.

Die Klägerin ist eine in der Schweiz ordnungsgemäß gegründete Aktiengesellschaft, die in dieser Rechtsform vor dem Landgericht Essen aufgetreten ist und von den Beklagten Miete wegen der Überlassung von Grundstücken in Gelsenkirchen verlangt hat. Die Parteien haben u. a. darum gestritten, ob die Klägerin ihren Verwaltungssitz in der Schweiz oder in der Bundesrepublik Deutschland hat und welche Folgen sich daraus für die Prozessführung vor deutschen Gerichten ergeben.

"Sitztheorie"

Die Beklagten haben sich auf die sog. "Sitztheorie" berufen, wonach die ausländische Gesellschaft mit der Verlegung ihres Verwal­tungs­sitzes nach Deutschland aufgelöst ist, ihren Status als juristische Person verliert und deswegen nicht mehr vor deutschen Gerichten klagen kann. Die Klägerin hat dagegen gemeint, sie müsse genauso behandelt werden wie eine Gesellschaft, die in einem Staat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) nach deren Recht gegründet worden sei; diese könnte aufgrund der in der EU und dem EWR geltenden Nieder­las­sungs­freiheit ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen und müssten deswegen im Inland mit ihrem Status als ausländische Gesellschaft anerkannt werden.

BGH verwirft die "Gründungs­theorie" und folgt der "Sitztheorie"

Das Oberlan­des­gericht Hamm hatte der Klägerin Recht gegeben und die Revision zugelassen. Der II. Zivilsenat hat – im Ergebnis - dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei hatte er für das Revisi­ons­ver­fahren als richtig zu unterstellen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat. Der Senat ist den Erwägungen des Berufungs­ge­richts nicht gefolgt und hat es abgelehnt, die sog. "Gründungs­theorie" zugunsten der Klägerin anzuwenden. Er hat vielmehr im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung die Klägerin als schweizerische Aktien­ge­sell­schaft wegen des – unterstellten – Verwal­tungs­sitzes in Deutschland als aufgelöst angesehen, sie aber als eine in Deutschland klagebefugte Perso­nen­ge­sell­schaft behandelt. Er hat es abgelehnt, die Schweiz - wie das Oberlan­des­gericht Hamm in der Vorinstanz - wegen deren dem Recht der EU weitgehend angeglichenen Rechts in Bezug auf die Nieder­las­sungs­freiheit wie einen EU-Staat zu behandeln; dass die Schweiz als einziger Mitgliedstaat der EFTA das Abkommen über den EWR nicht unterzeichnet habe, aus der sich die Nieder­las­sungs­freiheit auch für die Unter­zeich­ner­staaten der EFTA ergebe, müsse respektiert werden und dürfe nicht durch eine auf allgemeine Erwägungen gestützte Anwendung dieser Regeln unterlaufen werden. Der Forderung, die für Gesellschaften aus Staaten außerhalb der EU und des EWR geltende "Sitztheorie" grundsätzlich zu verwerfen und alle ausländischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland in ihrer jeweiligen Rechtsform anzuerkennen, hat der Senat nicht entsprochen.

BGH will Gesetzgeber nicht vorgreifen

Er hat es ausdrücklich abgelehnt, insoweit dem Gesetzgeber vorzugreifen, der zwar einen Referen­ten­entwurf zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften vorgelegt hat, mit dem die "Sitztheorie" abgeschafft werden soll, gegen den sich aber beträchtlicher politischer Widerstand gebildet hat, so dass die Verwirklichung des Vorhabens offen ist. Die Klage ist im Ergebnis abgewiesen worden, weil die Klägerin nicht Partnerin des Mietvertrages geworden war, aus dem sich die eingeklagten Ansprüche ergeben sollten.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 197/08 des BGH vom 27.10.2008

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