21.11.2024
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Dokument-Nr. 24181

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Urteil27.04.2017BundesgerichtshofI ZR 247/15
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GRUR 2017, 798Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2017, Seite: 798
  • WRP 2017, 951Zeitschrift: Wettbewerb in Recht und Praxis (WRP), Jahrgang: 2017, Seite: 951
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Vorinstanzen:
  • Landgericht Köln, Urteil04.03.2015, 28 O 554/12
  • Oberlandesgericht Köln, Urteil23.10.2015, 6 U 34/15
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil27.04.2017

"AIDA Kussmund" - Panora­maf­reiheit auch auf nicht ortsfeste Kunstwerke anwendbarBGH zu den Voraussetzungen der Panora­maf­reiheit

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass sich die sogenannte Panora­maf­reiheit auch auf Kunstwerke erstreckt, die nicht ortsfest sind.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls veranstaltet Kreuzfahrten. Ihre Kreuz­fahrt­schiffe sind mit dem sogenannten "AIDA Kussmund" dekoriert. Das Motiv besteht aus einem am Bug der Schiffe aufgemalten Mund, seitlich an den Bordwänden aufgemalten Augen und von diesen ausgehenden Wellenlinien. Das Motiv wurde von einem bildenden Künstler geschaffen. Er hat der Klägerin daran das ausschließliche Nutzungsrecht eingeräumt.

Der Beklagte betrieb eine Internetseite, auf der er Ausflüge bei Landgängen auf Kreuz­fahr­t­reisen in Ägypten anbot. Auf dieser Seite veröffentlichte er das Foto der Seitenansicht eines Schiffes der Klägerin, auf dem der "AIDA Kussmund" zu sehen ist.

Klägerin rügt Verstoß gegen Urheberrecht und verlangt Schadensersatz für unzulässig verwendeten "AIDA Kussmund"

Die Klägerin war der Ansicht, der Beklagte habe damit ihre Rechte am als Werk der angewandten Kunst urheber­rechtlich geschützten "AIDA Kussmund" verletzt. Die Wiedergabe des auf dem Kreuzfahrtschiff aufgemalten Motivs sei nicht von der Schran­ken­re­gelung des § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG* - der sogenannten Panoramafreiheit - gedeckt, da sich das Kunstwerk nicht bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinde. Sie beantragte, dem Beklagten zu verbieten, den "AIDA Kussmund" auf diese Weise öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem begehrte sie die Feststellung seiner Schaden­s­er­satz­pflicht.

Verwendung der Fotografie des Kreuz­fahrt­schiffs mit dem "AIDA Kussmund" nicht zu beanstanden

Das Landgericht Köln wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof wies die Revision der Klägerin zurück. Der Beklagte durfte die Fotografie des Kreuz­fahrt­schiffs mit dem "AIDA Kussmund" ins Internet einstellen und damit öffentlich zugänglich machen, weil sich der abgebildete "AIDA Kussmund" im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindet, so der Bundes­ge­richtshof.

Für Panora­maf­reiheit muss Werk nicht ortsfest sein

Ein Werk befindet sich im Sinne dieser Vorschrift an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, wenn es von Orten aus, die unter freiem Himmel liegen und für jedermann frei zugänglich sind, wahrgenommen werden kann. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn ein Werk nicht ortsfest ist und sich nacheinander an verschiedenen öffentlichen Orten befindet. Ein Werk befindet sich bleibend an solchen Orten, wenn es aus Sicht der Allgemeinheit dazu bestimmt ist, für längere Dauer dort zu sein.

Künstler müssen Fotografieren ihrer Werke an öffentlichen Orten ohne Einwilligung hinnehmen

Die Panora­maf­reiheit erfasst daher beispielsweise Werke an Fahrzeugen, die bestim­mungsgemäß im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden. Dabei kann es sich etwa um Werbung auf Omnibussen oder Straßenbahnen handeln, die den Anforderungen an Werke der angewandten Kunst genügt. Das Fotografieren und Filmen im öffentlichen Raum würde zu weitgehend eingeschränkt, wenn die Aufnahme solcher Fahrzeuge urheber­rechtliche Ansprüche auslösen könnte. Künstler, die Werke für einen solchen Verwen­dungszweck schaffen, müssen es daher hinnehmen, dass ihre Werke an diesen öffentlichen Orten ohne ihre Einwilligung fotografiert oder gefilmt werden.

Zeitweiser Aufenthalt an nicht öffentlich zugänglichen Orten für Panora­maf­reiheit irrelevant

Danach durfte der Beklagte den auf dem Kreuz­fahrt­schiff der Klägerin aufgemalten "AIDA Kussmund" fotografieren und ins Internet einstellen. Das mit dem "AIDA Kussmund" dekorierte Kreuz­fahrt­schiff befindet sich bleibend an öffentlichen Orten, weil es dazu bestimmt ist, für längere Dauer auf der Hohen See, im Küstenmeer, auf Seewas­ser­straßen und in Seehäfen eingesetzt zu werden, und dort von Orten aus, die für jedermann frei zugänglich sind wahrgenommen werden kann. Es kann auf diesen grundsätzlich allgemein zugänglichen Gewässern aus oder - etwa im Hafen - vom jedermann frei zugänglichen Festland aus gesehen werden. Es kommt nicht darauf an, dass sich der "AIDA Kussmund" mit dem Kreuz­fahrt­schiff fortbewegt und zeitweise an nicht öffentlich zugänglichen Orten - etwa in einer Werft - aufhalten mag.

*§ 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG:

Zulässig ist, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Mitteln der Malerei oder Graphik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

der Leitsatz

a) Ein Werk befindet sich "an" öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, wenn es von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus wahrgenommen werden kann; unerheblich ist, ob das Werk selbst für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

b) Wege, Straßen oder Plätze sind im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG "öffentlich", wenn sie für jedermann frei zugänglich sind, unabhängig davon, ob sie in öffentlichem oder privatem Eigentum stehen.

c) Die Nennung von "Wegen, Straßen oder Plätzen" in § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG ist lediglich beispielhaft und nicht abschließend. Die Bestimmung erfasst jedenfalls alle Orte, die sich - wie Wege, Straßen oder Plätze - unter freiem Himmel befinden.

d) Ein Werk befindet sich auch dann im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG "an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen", wenn es den Ort wechselt und es sich bei den verschiedenen Orten, an oder auf denen sich das Werk befindet, um öffentliche Orte handelt.

e) Ein Werk befindet sich im Sinne von § 59 Abs. 1 Satz 1 UrhG "bleibend" an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, wenn es sich dauerhaft und nicht nur vorübergehend an öffentlichen Orten befindet. Das ist der Fall, wenn das Werk aus Sicht der Allgemeinheit dazu bestimmt ist, für längere, meist unbestimmte Zeit an öffentlichen Orten zu bleiben.

f) Wer sich auf § 59 UrhG beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Fotografie des Werkes von öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen aus gemacht worden ist. Zeigt die Fotografie eine Ansicht des Werkes, wie sie sich dem allgemeinen Publikum von einem öffentlichen Ort aus bietet, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Fotografie von einem solchen Ort aus gemacht worden ist. Es ist dann Sache des Inhabers der Rechte am Werk, diese Vermutung durch den Vortrag konkreter Umstände zu erschüttern. Wer sich auf § 59 UrhG beruft, hat dann seine Behauptung zu beweisen.

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