Dokument-Nr. 5753
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Bundesgerichtshof Urteil24.01.2002
Keine Panoramafreiheit für Verhüllten Reichstag
Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Rechtsstreit entschieden, den die Künstler Christo und Jeanne-Claude gegen einen Berliner Postkartenverlag angestrengt haben. In diesem Streit ging es darum, ob die Herstellung und der Vertrieb von Postkarten, die das Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" zeigten, nur mit Lizenz der Künstler zulässig war.
Die Künstler Christo und Jeanne-Claude hatten im Juni/Juli 1995 für die Dauer von zwei Wochen das Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" veranstaltet. Das Projekt war u.a. durch den Verkauf von Abbildungen der Modelle und von Bildern des verhüllten Reichstags finanziert worden. Der beklagte Postkartenverlag hatte Postkarten mit unterschiedlichen Motiven des verhüllten Reichstags vertrieben, ohne eine Lizenz der Künstler einzuholen. Er berief sich auf eine Bestimmung des Urheberrechtsgesetzes (§ 59), nach der Aufnahmen von "Werken, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden", auch ohne Zustimmung des Urhebers hergestellt und vertrieben werden dürfen. Mit dieser sogenannten Panoramafreiheit – einer Ausnahme von dem ausschließlichen Verwertungsrecht des Urhebers – erlaubt es das Gesetz, beispielsweise Postkarten oder Bildbände mit Straßenansichten zu vertreiben ohne Rücksicht auf urheberrechtlich geschützte Werke (wie Gebäude oder Denkmäler), die möglicherweise auf diesen Ansichten zu sehen sind.
Christo und Jeanne-Claude verklagten den Postkartenverlag daraufhin auf Unterlassung. Dabei ging es streitentscheidend um die Frage, ob sich der verhüllte Reichstag "bleibend" an öffentlichen Straßen und Plätzen befand. Im Schrifttum wurden hierzu bislang immer eher theoretische Beispielsfälle gebildet wie die Skulptur aus Eis oder die Pflastermalerei, die vom nächsten Regen weggewaschen wird. Dabei wurde das Merkmal bleibend immer dann bejaht, wenn sich das Kunstwerk für seine gesamte Lebenszeit an einem öffentlichen Ort befand (bei Eisskulptur und Pflastermalerei zu bejahen). Im Streitfall berief sich der beklagte Postkartenverlag darauf, daß das Kunstwerk "Verhüllter Reichstag" für seine gesamte Lebensdauer an einem öffentlichen Ort gestanden habe. Denn mit dem Abbau der Installation habe das Kunstwerk aufgehört zu existieren.
Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Sichtweise – wie schon die Vorinstanzen – nicht angeschlossen und die auf Unterlassung gerichtete Verurteilung bestätigt. Dem Gesetz liege die Vorstellung zugrunde, daß Werke, die sich dauernd an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinden, in gewissem Sinne Gemeingut seien. Hiervon gehe auch der Urheber aus, der der Errichtung seines Werks an einem öffentlichen Ort zustimme; er widme damit sein Werk in bestimmtem Umfang der Allgemeinheit. Wenn das Gesetz von dieser "Panoramafreiheit" Kunstwerke ausnimmt, die sich nur vorübergehend an dem öffentlichen Ort befinden, geht es – so der Bundesgerichtshof – vor allem um zeitlich befristete Ausstellungen und ähnliche Präsentationen. Bei solchen Veranstaltungen bestehe kein Anlaß, die gesetzlichen Befugnisse des Urhebers einzuschränken.
Bei dem Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" habe es sich um eine solche zeitlich befristete Präsentation gehandelt. Der beklagte Postkartenverlag könne sich daher nicht auf die sogenannte Panoramafreiheit berufen.
Unberührt hiervon bleiben andere vom Gesetz privilegierte Nutzungen. So sind Aufnahmen eines solchen Kunstwerks für private Zwecke ohne weiteres zulässig. Auch für die Berichterstattung über Tagesereignisse enthält das Gesetz eine Ausnahme vom Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 11.10.2005
Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof
der Leitsatz
UrhG §§ 45 ff., 59
a) Die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen sind grundsätzlich eng auszulegen. Jedoch kann ein besonders schützenswertes Interesse des Verwerters dazu führen, daß bei der Auslegung der – als abschließend zu verstehenden – Schrankenregelungen ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist.
b) Ein Werk der bildenden Kunst befindet sich dann nicht bleibend an einem öffentlichen Ort, wenn das Werk im Sinne einer zeitlich befristeten Ausstellung präsentiert wird. Unerheblich ist dabei, ob das Werk nach dem Abbau fortbesteht oder ob es mit dem Abbau untergeht.
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