14.11.2024
14.11.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.

Dokument-Nr. 5753

Drucken
Urteil24.01.2002BundesgerichtshofI ZR 102/99
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil24.01.2002

Keine Panora­maf­reiheit für Verhüllten Reichstag

Der u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hat den Rechtsstreit entschieden, den die Künstler Christo und Jeanne-Claude gegen einen Berliner Postkar­ten­verlag angestrengt haben. In diesem Streit ging es darum, ob die Herstellung und der Vertrieb von Postkarten, die das Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" zeigten, nur mit Lizenz der Künstler zulässig war.

Die Künstler Christo und Jeanne-Claude hatten im Juni/Juli 1995 für die Dauer von zwei Wochen das Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" veranstaltet. Das Projekt war u.a. durch den Verkauf von Abbildungen der Modelle und von Bildern des verhüllten Reichstags finanziert worden. Der beklagte Postkar­ten­verlag hatte Postkarten mit unter­schied­lichen Motiven des verhüllten Reichstags vertrieben, ohne eine Lizenz der Künstler einzuholen. Er berief sich auf eine Bestimmung des Urheber­rechts­ge­setzes (§ 59), nach der Aufnahmen von "Werken, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden", auch ohne Zustimmung des Urhebers hergestellt und vertrieben werden dürfen. Mit dieser sogenannten Panora­maf­reiheit – einer Ausnahme von dem ausschließ­lichen Verwer­tungsrecht des Urhebers – erlaubt es das Gesetz, beispielsweise Postkarten oder Bildbände mit Straße­n­an­sichten zu vertreiben ohne Rücksicht auf urheber­rechtlich geschützte Werke (wie Gebäude oder Denkmäler), die möglicherweise auf diesen Ansichten zu sehen sind.

Christo und Jeanne-Claude verklagten den Postkar­ten­verlag daraufhin auf Unterlassung. Dabei ging es strei­tent­scheidend um die Frage, ob sich der verhüllte Reichstag "bleibend" an öffentlichen Straßen und Plätzen befand. Im Schrifttum wurden hierzu bislang immer eher theoretische Beispielsfälle gebildet wie die Skulptur aus Eis oder die Pflastermalerei, die vom nächsten Regen weggewaschen wird. Dabei wurde das Merkmal bleibend immer dann bejaht, wenn sich das Kunstwerk für seine gesamte Lebenszeit an einem öffentlichen Ort befand (bei Eisskulptur und Pflastermalerei zu bejahen). Im Streitfall berief sich der beklagte Postkar­ten­verlag darauf, daß das Kunstwerk "Verhüllter Reichstag" für seine gesamte Lebensdauer an einem öffentlichen Ort gestanden habe. Denn mit dem Abbau der Installation habe das Kunstwerk aufgehört zu existieren.

Der Bundes­ge­richtshof hat sich dieser Sichtweise – wie schon die Vorinstanzen – nicht angeschlossen und die auf Unterlassung gerichtete Verurteilung bestätigt. Dem Gesetz liege die Vorstellung zugrunde, daß Werke, die sich dauernd an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinden, in gewissem Sinne Gemeingut seien. Hiervon gehe auch der Urheber aus, der der Errichtung seines Werks an einem öffentlichen Ort zustimme; er widme damit sein Werk in bestimmtem Umfang der Allgemeinheit. Wenn das Gesetz von dieser "Panora­maf­reiheit" Kunstwerke ausnimmt, die sich nur vorübergehend an dem öffentlichen Ort befinden, geht es – so der Bundes­ge­richtshof – vor allem um zeitlich befristete Ausstellungen und ähnliche Präsentationen. Bei solchen Veranstaltungen bestehe kein Anlaß, die gesetzlichen Befugnisse des Urhebers einzuschränken.

Bei dem Kunstprojekt "Verhüllter Reichstag" habe es sich um eine solche zeitlich befristete Präsentation gehandelt. Der beklagte Postkar­ten­verlag könne sich daher nicht auf die sogenannte Panora­maf­reiheit berufen.

Unberührt hiervon bleiben andere vom Gesetz privilegierte Nutzungen. So sind Aufnahmen eines solchen Kunstwerks für private Zwecke ohne weiteres zulässig. Auch für die Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse enthält das Gesetz eine Ausnahme vom Ausschließ­lich­keitsrecht des Urhebers.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof

der Leitsatz

UrhG §§ 45 ff., 59

a) Die urheber­recht­lichen Schran­ken­be­stim­mungen sind grundsätzlich eng auszulegen. Jedoch kann ein besonders schützenswertes Interesse des Verwerters dazu führen, daß bei der Auslegung der – als abschließend zu verstehenden – Schran­ken­re­ge­lungen ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist.

b) Ein Werk der bildenden Kunst befindet sich dann nicht bleibend an einem öffentlichen Ort, wenn das Werk im Sinne einer zeitlich befristeten Ausstellung präsentiert wird. Unerheblich ist dabei, ob das Werk nach dem Abbau fortbesteht oder ob es mit dem Abbau untergeht.

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil5753

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI