21.11.2024
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Dokument-Nr. 24628

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Bundesgerichtshof Beschluss27.07.2017

BGH legt Europäischen Gerichtshof Fragen zum Umfang des urheber­recht­lichen Zitatrechts der Presse vorVolker Beck gegen "Spiegel Online"

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wurden Fragen zur Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Information- und Pressefreiheit sowie zum urheber­recht­lichen Zitatrecht der Presse und zur Schutzschranke der Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse vorgelegt. Dies hat der Bundes­ge­richtshof bekanntgegeben.

Im vorliegenden Streitfall ist der Kläger seit dem Jahr 1994 Mitglied des Bundestags. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexual­straf­rechts wandte, aber für eine teilweise Entkri­mi­na­li­sierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien im Jahr 1988 als Buchbeitrag. Im Mai 1988 beanstandete der Kläger gegenüber dem Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung Änderungen bei den Überschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren erklärte der Kläger auf kritische Resonanzen, der Herausgeber habe die zentrale Aussage seines Beitrags eigenmächtig wegredigiert und ihn dadurch im Sinn verfälscht.

Origi­nal­ma­nu­skript als Beweis für Änderungen an Zeitungs­re­dak­tionen versandt

Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Origi­nal­ma­nu­skript des Klägers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl zur Verfügung gestellt. Der Kläger übermittelte das Manuskript an mehrere Zeitungs­re­dak­tionen als Beleg dafür, dass es seinerzeit für den Buchbeitrag verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Er stellte allerdings auf seiner Internetseite das Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis ein, er distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite durch die Presse war er einverstanden.

Beklagte Autorin stellt Link zum Herunterladen des Manuskript und Buchbeitrag zur Verfügung

Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Beklagte in ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht vertrat, der Kläger habe die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt. Die Origi­na­l­do­kumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Klägers keineswegs im Sinn verfälscht worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag über einen elektronischen Verweis (Link) herunterladen. Die Internetseite des Klägers war nicht verlinkt.

Kläger begehrt Unterlassung und Schadensersatz aufgrund Urheber­rechts­ver­letzung

Der Kläger sieht in der Veröf­fent­lichung der Texte eine Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen.

OLG: Veröf­fent­lichung des Textes ohne Zustimmung nicht gerechtfertigt

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberlan­des­gericht hat angenommen, die Veröf­fent­lichung der urheber­rechtlich geschützten Texte des Klägers ohne seine Zustimmung sei auch unter Berück­sich­tigung der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG*) noch durch das gesetzliche Zitatrecht (§ 51 UrhG**) gerechtfertigt. Mit ihrer vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klage­ab­wei­sungs­antrag weiter.

BGH setzt Verfahren aus

Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft vorgelegt.

Fragen zu Voraussetzungen der Schutzschranken der Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts

Zum einen sind im Streitfall die Fragen entschei­dungs­er­heblich, die der Senat bereits in der Sache "Afghanistan Papiere" zum Gegenstand eines Vorla­ge­be­schlusses gemacht hat (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - I ZR 139/15). Darüber hinaus umfasst der Vorla­ge­be­schluss Fragen zu den Voraussetzungen der Schutzschranken der Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts.

Einholung der Zustimmung vor öffentlicher Zugäng­lich­machung für Presse­un­ter­nehmen zumutbar?

So hat der Bundes­ge­richtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die öffentliche Zugäng­lich­machung von urheber­rechtlich geschützten Werken im Internetportal eines Presse­un­ter­nehmens bereits deshalb nicht als erlaubnisfreie Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG*** anzusehen ist, weil es dem Presse­un­ter­nehmen möglich und zumutbar war, vor der öffentlichen Zugäng­lich­machung der Werke des Urhebers seine Zustimmung einzuholen.

Fehlt es an Veröf­fent­lichung zum Zwecke des Zitats bei untrennbarer Texteinbindung?

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshof stellt sich im Streitfall weiter die Frage, ob es an einer Veröf­fent­lichung zum Zwecke des Zitats gemäß Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG**** fehlt, wenn zitierte Textwerke oder Teile davon nicht - beispielsweise durch Einrückungen oder Fußnoten - untrennbar in den neuen Text eingebunden werden, sondern im Internet im Wege der Verlinkung als selbständig abrufbare PDF-Dateien öffentlich zugänglich gemacht und unabhängig von der Berich­t­er­stattung der Beklagten wahrnehmbar werden.

Wann werden Werke rechtmäßig in Öffentlichkeit zugänglich gemacht?

Der Bundes­ge­richtshof hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, wann Werke im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht wurden und ob darauf abzustellen ist, dass die Werke in ihrer konkreten Gestalt bereits zuvor mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht waren. Das ist vorliegend fraglich, weil der Buchbeitrag des Klägers im Sammelband in einer veränderten Fassung erschienen und das Manuskript des Klägers auf seiner Internetseite mit den Distan­zie­rungs­ver­merken veröffentlicht ist.

Erläuterungen

*§ 50 UrhG lautet:

Zur Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Verviel­fäl­tigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.

**§ 51 UrhG lautet:

Zulässig ist die Verviel­fäl­tigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröf­fent­lichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. […]

***Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG lautet:

Die Mitgliedstaaten können für die Nutzung von Werken in Verbindung mit der Berich­t­er­stattung über Tagesereignisse in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte Ausnahmen und Beschränkungen vorsehen, soweit es der Infor­ma­ti­o­nszweck rechtfertigt und sofern - außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist - die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird.

****Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG lautet:

Die Mitgliedstaaten können für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte Ausnahmen und Beschränkungen vorsehen, sofern sie ein Werk betreffen, das der Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht wurde, sofern - außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist - die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers angegeben wird und sofern die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ ra-online

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