18.10.2024
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Dokument-Nr. 21610

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Bundesgerichtshof Urteil17.09.2015

Wohnungs­eigentümer­gemeinschaft muss keine Vergütung für Weiter­über­tragung von Satelliten-Programmen über Gemeinschafts­antenne zahlenWeiterleitung von Sendesignalen über Gemein­schafts­antenne stellt keine öffentliche Wiedergabe dar

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass eine Wohnungs­eigentümer­gemeinschaft keine Vergütung für die Weiter­über­tragung der über die Gemeinschafts­antenne der Wohnanlage per Satellit empfangenen Fernseh- und Hörfunksignale durch ein Kabelnetz an die Empfangsgeräte der einzelnen Wohnungs­ei­gentümer schuldet.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Verviel­fäl­ti­gungs­rechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten urheber­recht­lichen Nutzungsrechte wahr. Außerdem führt die Klägerin das Inkasso für auf vergü­tungs­pflichtigen Kabel­wei­ter­sen­dungen beruhende Ansprüche anderer Verwer­tungs­ge­sell­schaften durch. Diese Verwer­tungs­ge­sell­schaften nehmen die ihnen von Urhebern, ausübenden Künstlern, Sende­un­ter­nehmen und Filmherstellern eingeräumten urheber­recht­lichen Nutzungsrechte wahr.

GEMA rügt Verletzung des Kabel­wei­ter­sen­de­rechts durch Weiterleitung der Sendesignale

Die Beklagte ist die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft eines Wohngebäudes mit 343 Wohneinheiten. Sie betreibt in dem Gebäude ein Kabelnetz, mit dem das von einer Gemein­schafts­antenne abgeleitete Sendesignal in die einzelnen Wohnungen weitergeleitet wird. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verletze mit der Weiterleitung der Sendesignale das Kabel­wei­ter­sen­derecht der von ihr vertretenen Urheber und Leistungs­schutz­be­rech­tigten. Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

Weiter­über­tragung stellt keine öffentlichen Wiedergabe dar

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom Oberlan­des­gericht zugelassenen Revision hat die Klägerin ihren Klageantrag weiterverfolgt. Der Bundes­ge­richtshof hat die Revision zurückgewiesen. Das Oberlan­des­gericht hat, so der Bundes­ge­richtshof, mit Recht angenommen, dass die beklagte Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft durch den Betrieb der Kabelanlage nicht das von der Klägerin wahrgenommene ausschließliche Recht von Urhebern, ausübenden Künstlern, Sende­un­ter­nehmen und Filmherstellern zur Kabel­wei­ter­sendung verletzt hat. Eine Kabel­wei­ter­sendung setzt eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG* voraus. Die Rechte der Urheber und Leistungs­schutz­be­rech­tigten wegen einer öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke und Leistungen durch Kabel­wei­ter­sendung beruhen auf Richtlinien der Europäischen Union (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 der Richtlinie 2006/115/EG). Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG ist deshalb in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen dieser Richtlinien und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Danach setzt die Öffentlichkeit einer Wiedergabe voraus, dass einer "unbestimmten Zahl potentieller Adressaten" der Zugang zu denselben Werken und Leistungen eröffnet wird. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Wiedergabe auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören.

Weiterleitung erfolgt nur an "besondere Personen"

Eine Wiedergabe beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf "besondere Personen", wenn sie für einen begrenzten Personenkreis vorgenommen wird. So verhält es sich hier. Die Empfänger der von der Beklagten über eine Gemein­schafts­antenne per Satellit und durch ein Kabelnetz in die Wohnungen der Wohnanlage weiter­ge­leiteten Sendesignale sind in ihrer Eigenschaft als Bewohner der Wohnanlage von anderen Personenkreisen abgegrenzt.

"Private Gruppe" muss nicht nur aus wenigen Personen bestehen

Der für den unions­recht­lichen Begriff der Öffentlichkeit maßgebliche Begriff der "privaten Gruppe" kann nicht ohne Weiteres mit dem für den nationalen Begriff der Öffentlichkeit im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG maßgeblichen Begriff der "persönlichen Verbundenheit" gleichgesetzt werden. Es handelt sich dabei um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der im gesamten Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich nicht, dass eine "private Gruppe" aus wenigen Personen bestehen muss.

Sendesignale werden ausschließlich an die der Gemeinschaft angehörenden Wohnungs­ei­gentümer weitergeleitet

Bei der Beurteilung der Frage, ob im Streitfall die über eine Gemein­schafts­antenne empfangenen und durch ein Kabelnetz weiter­ge­leiteten Sendesignale einer "privaten Gruppe" übermittelt werden, ist zu berücksichtigen, dass diese Sendesignale von einer Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft ausschließlich in die Wohnungen der dieser Gemeinschaft angehörenden Wohnungs­ei­gentümer übermittelt werden. Bei einer wertenden Betrachtung unterscheiden sich der Empfang mittels einer gemeinsamen Satel­li­ten­schüssel und die Weiterleitung über ein Kabelnetz in die einzelnen Wohnungen nicht von der Fallgestaltung, dass jeder einzelne Eigentümer für seine eigene Wohnung eine gesonderte Antenne installiert und die empfangenen Sendesignale über Kabel an die Empfangsgeräte in seiner Wohnung weiterleitet. Im zuletzt genannten Fall liegt keine Wiedergabe für eine Öffentlichkeit vor, weil die Wiedergabe auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören. Wenn die Gesamtheit der Wohnungs­ei­gentümer anstelle zahlreicher Einzelantennen eine Gemein­schafts­antenne installiert und die empfangenen Sendesignale über Kabel an die Empfangsgeräte der einzelnen Wohnungen weiterleitet, ist das daher gleichfalls als eine Wiedergabe anzusehen, die auf "besondere Personen" beschränkt ist, die einer "privaten Gruppe" angehören. Im Ergebnis leiten die einzelnen Eigentümer die Sendungen nur an sich selbst weiter.

*§ 15 Abs. 3 UrhG

Erläuterungen
Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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